23-Jähriger in Berlin verurteilt
Die Angriffe auf Polizisten in der Berliner Silvester-Nacht haben große Empörung ausgelöst - und ein juristisches Nachspiel. Das Amtsgericht Tiergarten verhängte für einen Böllerwurf eine Haftstrafe auf Bewährung. Von Ulf Morling
"Sie müssen nicht ins Gefängnis", betonte der Einzelrichter im Urteil. Der Arbeitslose, der ohne Schulabschluss von Sozialleistungen lebt, muss in seiner zweijährigen Bewährungszeit zusätzlich 50 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Für zwei Jahre bekomme er einen Bewährungshelfer an die Seite gestellt, damit er sein Leben besser organisieren könne, hieß es im Urteil.
Zu acht Monaten auf Bewährung wurde er am Dienstag verurteilt. Sollte er innerhalb der zweijährigen Bewährungszeit eine Straftat begehen, müsste er die acht Monate Haft aller Voraussicht nach absitzen. In dem Prozess ging es um die Krawalle in der Silvesternacht in Berlin und um einen Böllerwurf auf eine Polizisten.
Der 23-jährige Verurteilte hat bereits acht Eintragungen im Strafregister. Das Werfen des Böllers auf den 36-jährigen Polizeiobermeister wertete das Gericht zusätzlich als versuchte gefährliche Körperverletzung. Er habe vorsätzlich gehandelt in der Silvesternacht, habe zumindest billigen in Kauf genommen, dass der Polizist verletzt werde.
Glücklicherweise habe der Beamte den geworfenen Böller von sich wegtreten können. Der Verteidiger sagte, er halte die Berufung seines Mandanten gegen das Urteil für wahrscheinlich.
30 Minuten nach Mitternacht soll am 1. Januar dieses Jahres die Tat in der Soldiner Straße im Wedding begangen worden sein. Einige Zeit vor dem Böllerwurf, den der Angeklagte von Anfang an eingeräumt hatte, schlugen dort laut Ermittlern mutmaßlich Jugendliche die Scheiben eines Einsatzfahrzeuges der Polizei ein und setzten unter anderem mit Feuerwerksraketen des Autos in Brand.
Die wegen eines Balkonbrandes alarmierte Feuerwehr und mit ihr eintreffende Polizeikräfte hätten schließlich von weiteren alarmierten Kollegen geschützt werden vor circa 100 Menschen auf der Straße, von denen einige die mit Böllern und Raketen die Beamten attackiert hätten. "Deshalb kam ich mit meinen Kollegen", sagte der 36-jährige Polizeiobermeister im Prozess als Zeuge und mutmaßliches Opfer der Böllerattacke des Angeklagten aus.
Der 23-jährige habe ihm die Augen geschaut, dann habe er den Böller angezündet und aus sechs oder sieben Meter aus der Menschenmenge in seine Richtung geworfen. "Er hat es auf jeden Fall mit Absicht gemacht, einen missglückten Wurf kann ich ausschließen", sagte der Polizist vor Gericht.
Er sei wütend auf den 23-Jährigen zugerannt und habe ihn angeschrien, was er da mache, er habe Frau und Kinder. Daraufhin habe sich der Angeklagte mehrfach bei ihm entschuldigt. Er habe ihn gar nicht treffen wollen.
Der 23-jährige Angeklagte entschuldigte sich auch während seines Prozesses im Kriminalgericht Moabit. Er habe auf der Soldiner Straße kurz nach Mitternacht mit ungefähr 20 Mitgliedern seiner Familien gefeiert - mit Mutter, Vater, Kindern, Neffen, Nichten und etlichen anderen, die in der Straße wohnten. Schaulustige seien dabei gewesen. Auf einem Fensterbrett habe eine Schachtel mit kleineren Böllern gestanden, die eigentlich für die Kinder gedacht gewesen seien. Er habe sich einen genommen, angezündet und nur mit wenig Kraftanstrengung weggeworfen.
Er habe niemanden treffen wollen. Dann sei der Böller vor den Füßen des Beamten gelandet. Nachdem der ihn zur Rede gestellt habe und er sich entschuldigt hätte, sei von dem Polizisten beteuert worden, dass er ihn nicht anzeige.
Mit den aufgenommenen Personalien des Angeklagten wurde schließlich von einer Kollegin die Anzeige geschrieben nach der Zeugenaussage des mutmaßlich beschossenen Beamten. "Wenigstens von einem wurden die Personalien dort festgestellt", sagte die 25-jährige Beamtin im Prozess. Sie habe Angst gehabt an diesem Abend in der Soldiner Straße.
Nur der mutmaßlich geschädigte Polizist hatte im Prozess vom Werfen des Böllers durch den Angeklagten berichtet und ihm Absicht unterstellt. Der 23-Jährige wiederum sprach von einem Versehen. Wenn er absichtlich auf den Beamten geworfen hätte, wäre er doch danach geflüchtet, betonte er.
In dieser Aussage-gegen-Aussage-Konstellation entschied sich der Richter für die Angaben des Polizisten. Diese seien nachvollziehbar und glaubwürdig. Zum Glück sei der Vorfall "relativ glimpflich ausgegangen", hieß es im Urteil.
Die bisherigen Entscheidungen zu den Silvesterereignissen sind unter anderem vier Strafbefehle, die per Post den Angeklagten zugestellt, akzeptiert und damit rechtskräftig wurden.
Unter den im Strafbefehlsverfahren Verurteilen befindet sich ein junger Mann, der auf dem S-Bahnhof Lichterfelde-Ost am 31.12. gegen 14 Uhr eine Schreckschusswaffe im Gürtel trug. Zwar benutzte er sie nicht, konnte aber allein deswegen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu 900 Euro Geldstrafe verurteilt werden. "Das sind aber Vorfälle, die jedes Jahr passieren", so der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Sebastian Büchner.
111 der Verfahren, die unter der Bezeichnung "Silvesterkrawalle" geführt werden, seien inzwischen von der Polizei an die Berliner Staatsanwaltschaft abgegeben worden, so Büchner. In 54 Fällen davon gehe es um Angriffe auf Polizei- oder Rettungskräfte.
37 Verfahren, die von der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden, seien noch offen. Darunter werde auch ermittelt, bei dem ein Feuerlöscher gegen einen Rettungswagen geworfen worden sein soll. In einem weiteren Fall soll ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr in einen Hinterhalt gelockt und umzingelt worden sein. Die Feuerwehrleute hätten laut Ermittlern in dieser Situation flüchten müssen, während die Angreifer versucht hätten, das Fahrzeug aufzubrechen und Gerätschaften aus dem Einsatzwagen der Feuerwehr zu stehlen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.06.2023, 14:20 Uhr
Beitrag von Ulf Morling
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