Verbände und Bezirke warnen
Neue Verkehrssenatorin, neue Pläne für Berliner Straßen: Geplante Radwege sollen vorerst nicht weiter ausgebaut werden, wenn dafür ein Parkplatz oder Fahrstreifen wegfallen würde. Nicht nur Verbände sehen das kritisch, sondern auch Bezirkspolitiker.
Die Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat bestätigt, dass sie alle Radverkehrsprojekte in Berlin auf den Prüfstand stellen lässt. Ziel sei ein "insgesamt funktionierender Verkehrsmix für alle Berlinerinnen und Berliner", heißt es in einer Mitteilung der CDU-Politikerin. Große Straßen müssten für den Pendler-, Wirtschafts- und Lieferverkehr leistungsfähig bleiben.
Schreiner betonte gleichzeitig, dass die Sanierung und der Ausbau der Fahrradinfrastruktur weiter vorangetrieben werden sollte. Umgesetzt würden weiterhin unter anderem Projekte, die die Verkehrssicherheit erhöhten und Vorhaben in Zusammenhang mit der Schulwegsicherheit. Weiter verfolgt würden auch Projekte, bei denen keine Fahrstreifen wegfielen oder nur eine überschaubare Anzahl von Parkplätzen.
Zuvor war ein Schreiben der Senatsverkehrsverwaltung an einzelne Bezirke bekannt geworden. Darin wurden diese aufgefordert, bereits geplante Radwege vorerst zu stoppen.
"Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen", heißt es in dem Schreiben, das dem rbb vorliegt. Bis auf Weiteres werden die Bezirke demnach aufgefordert, den Ausbau von Projekten auszusetzen, die den Wegfall eines Fahrstreifens oder von Parkplätzen zur Folge haben - "der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus".
Tempo 30 soll dem Schreiben zufolge nicht mehr auf langen Strecken oder zum Lückenschluss ausgewiesen werden. Lediglich Tempo 30-Anträge von Kitas und Schulen würden weiterhin geprüft und umgesetzt.
Aus dem Schreiben an den Bezirk Lichtenberg etwa geht hervor, dass der Radwegeausbau in der Siegfriedstraße bis auf Weiteres auszusetzen ist. Ragnhild Sörensen vom Verein Changing Cities befürchtet, dass auch andere Projekte betroffen sein könnten, da diese in Planung sind und im Verantwortungsbereich des Senats liegen. Es ginge dabei um die Beusselstraße in Mitte, die Grunewaldstraße, die Hauptstraße in Schöneberg sowie die Schönhauser-Allee und die Otto-Braun-Straße in Pankow.
"Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin, die zwar "Miteinander" propagiert, während ihr Herz aber eindeutig für die autogerechte Stadt schlägt", sagte Sörensen. Gegen die angekündigten Radwege-Stopps haben Changing City, der Berliner Landesverband des Fahrradclubs (ADFC) und Respect Cyclists Berlin zu einer spontanen Demo vor der Verkehrsverwaltung aufgerufen. Laut Polizei kamen am frühen Abend rund 300 Teilnehmer zusammen. Sie forderten auf Plakaten unter anderem "Sichere Radwege in ganz Berlin" oder "Mehr Radwege! Weniger Auto!". Der ADFC twitterte: "Ein einziger Parkplatz ist mehr wert, als tausende Radfahrende und deren Sicherheit. Nicht mit uns!"
Bezirksvertreter sprachen von einer "Blockadehaltung" bei der Radinfrastruktur. Vor den Folgen eines - wenn auch vorerst nur vorläufigen Radwege-Stopps - warnte die Verkehrsstadträtin des Bezirks Mitte, Almut Neumann (Bündnis 90/Die Grünen). "Ich mache mir Sorgen, dass nun ein Stillstand für den Ausbau von sicherer Infrastruktur für Menschen mit dem Rad droht", sagte Neumann dem rbb.
Sie verwies auf die fortgeschrittenen Planungen für einen geschützten Radstreifen an der Beusselstraße in Moabit, der ausfinanziert sei und noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll. "Die Strecke ist eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, aber zur Zeit tatsächlich lebensgefährlich für Menschen auf dem Rad." Laut Neumann droht bei einer Verzögerung auch der Verfall von Fördermitteln. Der Bund trage Dreiviertel der Kosten der Maßnahme.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf sieht in dem Stopp einen "eklatanten Vorstoß gegen geltendes Recht". Das Mobilitätsgesetz schreibe sichere Radwege an allen Hauptstraßen vor, teilte er mit. Aus dieser Handlungsanweisung liest er folgendes Signal: "Alles hat sich dem Auto unterzuordnen". Die Ankündigung der Verkehrssenatorin bremse faktisch die gesamte Radwegeplanung in Berlin aus.
Die Linken-Landesvorsitzenden, Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer, nannten den Vorstoß einen "Schlag ins Gesicht" für die über 100.000 Menschen, die 2016 den Volksentscheid Fahrrad unterschrieben hätten. "Während viele europäische Metropolen die Verkehrswende und eine gerechte Verteilung des öffentlichen Raumes mit Tempo vorantreiben, geht es mit der schwarz-roten Rückschrittskoalition zurück in die Vergangenheit."
Der fundamentale Kurswechsel in der Verkehrspolitik kommt für Verbände und politische Beobachter allerding nicht überraschend. Während der alte rot-grün-rote Senat eine Umverteilung des öffentlichen Straßenraumes zugunsten von Fußgängern, Radfahrern sowie Bussen und Bahnen verfolgte, vertritt die CDU eine andere Position.
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hatte bereits im Wahlkampf klar gestellt, dass er keine Politik gegen das Auto machen werde.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.06.2023, 9:25 Uhr
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