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Audio: rbb88,8 | 19.06.2023 | Ingo Hoppe | Im Gespräch: Kerstin Jüngling | Quelle: imago images/J.Eckel

Interview | Neue Studie zu Cannabiskonsum

"Das Gefährliche an Cannabis ist die Manipulation von Gefühlen"

In Berlin wird viel gekifft, aber oft fehlt es an Wissen darüber. Das ist die Erkenntnis einer Studie über Cannabiskonsum, für die über 2.000 junge Berliner und Berlinerinnen befragt wurden.

Eine neue Studie zum Cannabiskonsum in Berlin wurde von der Fachstelle für Suchtprävention Berlin in Kooperation mit dem Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung Hamburg (ISD) durchgeführt. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege unterstützte die repräsentative Befragung junger Menschen zum Thema Cannabis. Die Ergebnisse der Studie wurden am Montag vorgestellt.

rbb|24: Frau Jüngling, mit durchschnittlich 14,6 Jahren fangen Jugendliche in Berlin an, Cannabis zu konsumieren. Ist das richtig?

Kerstin Jüngling: Das stimmt und es ist sehr früh. Da sind Jugendliche mitten in der Pubertät. Sie sind vom Erwachsenenalter wirklich noch eine ganze Ecke entfernt. Ihr Gehirn ist noch in der Entwicklung. Da sollten keine toxischen Substanzen eine Rolle spielen.

Zur Person

Sie sagen ganz klar, das ist nicht harmlos. In dem Alter also Finger weg von Cannabis?

Jeder, der in dem Alter konsumiert, ist einer zu viel – bitte Finger weg von Cannabis und anderen Drogen.

Warum geht es so früh los? Mitten in der Pubertät, viele Dinge sind neu und interessant und wir wollen uns vielleicht auch erwachsen fühlen. Sind das Gründe?

Wir müssen uns in Berlin kritisch die Frage stellen, warum es bei uns so früh los geht, früher als im Bundesdurchschnitt. Warum wird mehr gekifft? Erwachsenwerden wollen eigentlich alle Jugendlichen, das will man eben in der Pubertät. Man ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Man will schon groß sein. Aber warum bei uns in Berlin so viel signifikant höher und früher eingestiegen wird, das ist doch eine Frage, die wir uns als Erwachsene stellen müssen. Aus meiner Sicht ist es auch eine Art Haltung: Wie laissez-faire sind wir eigentlich?

Gehen wir zu locker damit um?

Wir gehen absolut zu locker mit dem Thema Cannabis um. Viele Erwachsene, auch Lehrer:innen, Menschen bei Elternabenden, Menschen in der Jugendarbeit, sagen uns immer noch: Cannabis ist doch längst legal. Wir tun so, als ob es legal ist und extrem ungefährlich. Beides ist falsch.

Dennoch will die Politik ja legalisieren. Ist das aus ihrer Sicht sinnvoll?

Legalisierung betrifft in der politischen Vorgabe, wie wir sie jetzt haben, Erwachsene. Erwachsene müssen lernen, mit den Risiken im Leben umzugehen. Und wenn Cannabis so eine große Rolle für sie spielt, dann eben auch mit einem verantwortungsvollen Cannabiskonsum.

Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen stärken, und dafür braucht die Suchtprävention in Berlin ein deutlich stärkeres Gewicht.

Werden gesundheitliche Gefahren unterschätzt?

Die gesundheitlichen Gefahren von Cannabis werden extrem unterschätzt. Deswegen konsumieren auch so viele Jugendliche. In einem internationalen Test zeigt fast jeder zweite problematisches Konsumverhalten. Das ist dann eben nicht mehr das Ding: "Die Jugendlichen probieren mal was aus und das verwächst sich wieder". Wenn wir nicht aufpassen, sind wir dabei eine neue Zahl von abhängigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen heranzuzüchten. Und da müssen wir endlich handeln.

Untersuchung von illegalen Drogen im Labor

Drug-Checking ab sofort in Berlin möglich

Die Zusammensetzung von Partydrogen ist oft eine unkalkulierbare Angelegenheit. Ein Projekt mit Drogentests in Beratungsstellen soll den Konsum in Berlin jetzt risikoärmer machen. Das Drug-Checking hat in der Hauptstadt eine lange Vorgeschichte.

Ist Cannabis eine Einstiegsdroge?

Ich glaube, das ist eine veraltete Diskussion. Einstiegsdroge kann heute alles sein: eine Zigarette, Cannabis oder Alkohol. Aus meiner Sicht ist das Gefährliche an Cannabis, die Manipulation von Gefühlen. Einerseits beeinflusse ich mein Gedächtnis, auch das Kurzzeitgedächtnis. Das heißt, schulische Leistungen gehen wirklich runter. Andererseits ist es eine harte psychoaktive Substanz, die auch was mit der psychischen Gesundheit machen kann – bis hin zu Wahnvorstellungen.

Sie haben gesagt, Eltern und auch andere Personen verharmlosen den Konsum. Warum ist das so?

In Berlin sind wir irgendwie cool auf unseren Status, immer lockerer und unbeschwerter als der Rest der Nation zu sein. Und das hat Schattenseiten. Vielleicht haben einige Eltern oder wer auch immer selbst gekifft.

Wir leben im Jahr 2023. Die Belastung von Jugendlichen durch die Covid-Pandemie ist nachweislich da. Wenn die sich jetzt ihre Belastungen einfach wegkiffen, tun wir Ihnen und dem Erwachsenwerden echt keinen Gefallen.

Könnten Sie noch konkretisieren, wer konsumiert eigentlich?

Quer durch die Gesellschaft wird konsumiert. Jugendliche und junge Erwachsene aus allen Schichten, aus allen Berliner Bezirken konsumieren. Da habe ich den Hauptschüler, jemanden aus einer Jugendeinrichtung, jemanden, der studiert oder auch eine Ausbildung macht. Cannabis zu konsumieren, und zwar regelmäßig bis zu 20 Tage im Monat, das machen alle querbeet.

Reden wir über die Eltern. Wenn ich feststelle, mein Kind konsumiert, was raten Sie mir?

Wenn ein Elternteil weiß, mein Kind konsumiert, heißt es in allererster Linie, das Gespräch zu suchen und selbst eine Haltung einzunehmen, die klar und deutlich ist, nämlich: Ich möchte es nicht.

Das Eltern pubertierenden Kindern etwas sagen und pubertierende Kinder dagegen verstoßen, gehört zur Pubertät. Eltern müssen sich wieder trauen zu sagen: "Hey, ich möchte das nicht, mein Sohn, meine Tochter. Das greift in deine Hirnentwicklung ein und wirkt sich auf deine schulischen Leistungen aus." Eltern sind extrem oft unsicher. Darf man einem 15-Jährigen sagen: "Ich möchte nicht, dass du kiffst"? Ja. man darf nicht nur, man muss. Eltern müssen das Gespräch suchen und sagen: "Hey, du bist jung. Du machst höchstwahrscheinlich deine Sachen trotzdem. Aber ich sag' dir erstens, du kannst immer mit mir reden. Zweitens, ich glaube an dich, ich liebe dich, mein Kind. Und drittens, ich will nicht, dass du kiffst."

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ingo Hoppe. Bei diesem Text handelt es sich um eine redigierte Fassung.

Sendung: rbb88,8, 19.06.2023, 18:12 Uhr

rbb|24 explainer auf Youtube: Wird Cannabis in Berlin bald legal?

Beitrag von Ingo Hoppe

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