Interview | Ermittlungen gegen Beamte
Wenn Polizisten unter Verdacht geraten, ermittelt gegen sie die Polizei - also die eigene Behörde. Die Öffentlichkeit erfährt in solchen Fällen meist wenig. Polizeiforscher Rafael Behr schildert im Interview Ideen, wie mehr Transparenz erreicht werden könnte.
In Niederlehme (Dahme-Spreewald) und in Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) sind Einsätze der Brandenburger Polizei zuletzt tödlich verlaufen. Im Fall Niederlehme starb ein 45-Jähriger. Gegen die Beamten gibt es Vorwürfe, den Tod verursacht zu haben. Angehörige erstatteten Strafanzeige. In Senftenberg erschossen Polizisten einen 35-Jährigen. In beiden Fällen ist wenig bekannt, was genau abgelaufen ist - und noch weniger über die Ermittlungen innerhalb der Polizei. Der Kriminologe Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg erklärt, wo die Fallstricke liegen, wenn die Polizei gegen Polizisten ermitteln muss.
rbb|24: Herr Behr, wie bewerten Sie das Verhalten der Polizei und Staatsanwaltschaft, wenn gegen die Polizei selbst ermittelt wird?
Rafael Behr: Nach meiner Erfahrung halten sich Staatsanwaltschaft und Polizei in Ermittlungen gegen das eigene Personal noch extremer mit Informationen zurück als in anderen Fällen, in denen Polizeibeamte nicht involviert sind. Das ist durch die Bank in fast allen Bundesländern so. Es gibt einige wenige Ausnahmen. Ansonsten halten sich die Staatsanwaltschaften aber doch sehr deutlich zurück mit Informationen, die der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung helfen würden, die Dinge besser zu verstehen.
Warum?
Zum einen steht der Schutz der Betroffenen im Vordergrund. Es geht aber auch darum, nicht vorschnell Urteile zu fällen, die den Ruf und das Vertrauen in die Polizei beschädigen könnten. Man versucht extrem neutral zu bleiben oder wenig zu informieren, um sich Ermittlungsergebnisse nicht von vornherein kaputtzumachen. Es ist eine große Sorge um das Wohl der Betroffenen. Und eine große Diskretion hinsichtlich der Handlungszusammenhänge, in die Polizeibeamte verstrickt sind.
In Senftenberg, wo vor drei Monaten ein Mann bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen ist, kursieren viele Gerüchte über den Einsatz. Ist da die Zurückhaltung von Informationen seitens der Polizei die richtige Herangehensweise? Oder sorgt das nicht sogar für viel mehr Vertrauensverlust?
Von der Informationspolitik ist es schlimm, dass hier überhaupt keine Anstrengung unternommen wird, Verschwörungstheorien vorzubeugen. Verfahrensmäßig ist das allerdings nachvollziehbar, weil man wenig Ermittlungsergebnisse schon von vornerein kolportieren will. Sie können nicht verhindern, dass sich in der Bevölkerung Fantasien entwickeln.
Was wäre aus ihrer Sicht sinnvoll, wenn es um Ermittlungen gegen eigenes Personal geht?
Wenn Polizei involviert ist - nicht nur als Zeuge, sondern tatsächlich möglicherweise auch in der Vermutung als Beschuldigte - sollte nicht nur die Polizei ermitteln. Das ist der normale Instanzenweg und die traditionelle Form, dass die Polizei eigenes Personal einsetzt, um gegen Kollegen zu ermitteln. Natürlich im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Aber die Staatsanwaltschaft ist in der Regel nicht vor Ort, sondern delegiert diese Ermittlungsarbeit an die Polizei. Das halten viele Fachleute heute für obsolet.
Was fordern Sie stattdessen?
Meine Forderung, und die vieler anderer, wäre die Einführung von Polizeibeauftragten. Also neutrale Stellen zu installieren, die auch Ermittlungsbefugnisse haben, die strafprozessuale Maßnahmen durchführen können, wenn sie es für wichtig halten, die auch darüber hinaus noch weitere Befugnisse haben.
Die Ermittlungsbehörden ermitteln rein strafprozessual und ermitteln Tatbestände. Das heißt: Nur das, was im Strafgesetzbuch steht, wird hier ermittelt. Darüber hinaus gibt es aber oftmals noch andere Konflikte, zum Beispiel das, was heute Racial Profiling genannt wird. Also Vorwürfe an die Polizei, diskriminierend zu handeln. Das kriegt man nicht mit Strafrecht weg. Da braucht man Aufklärung, da braucht man Auseinandersetzung. Das alles kann ein Polizeibeauftragter initiieren.
Was könnte für mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit sorgen?
Es gibt Mittel, die auch schon eingesetzt werden, aber sehr einseitig nur zum Schutz der Polizeibeamten. Ich spreche hier von Bodycams oder anderen Möglichkeiten, das Handeln transparent zu machen. Und es stünde jetzt dringend an, die Einführung der Bodycams zu forcieren, sodass sie tatsächlich jede und jeder mitnehmen kann.
Heute werden die Bodycams nur eingeschaltet, wenn Handlungen der Beschuldigten sichergestellt werden sollen. Also wenn Beschuldigte der Polizei gegenüberstehen und etwas tun - dann wird die Bodycam eingeschaltet. Und ich fordere mit vielen anderen Kollegen, dass regelmäßig Polizeibeamte die Bodycams dann einschalten, wenn sie in Situationen kommen, in denen es zum Beispiel Gewalt, Eskalationen gibt, damit sie ihr eigenes Handeln transparent und überprüfbar machen.
Denn wir wissen: Wenn es ausschließlich polizeiliche Aussagen gibt, ist die Möglichkeit der Aufklärung geringer, als wenn es objektive Beweismittel gibt, die einen anderen Informationsgrad haben, als die Rekonstruktion der Polizisten vor Ort. Hier würden diese Bodycams ganz einfach eine Objektivität sicherstellen.
Bei den beiden angesprochenen Einsätzen in Brandenburg kam es zu tödlichen Schüssen durch Polizeibeamte. Könnten Polizisten in solchen Situationen mit Tasern besser agieren?
Ich verspreche mir von der Bodycam als defensiven Schutz der Polizeibeamten mehr als durch das Mitführen zusätzlicher Instrumente, die Schmerzen verursachen, wie zum Beispiel die Elektroschocker. Ich halte solche Geräte für hochgradig gefährlich, weil sie Situationen stärker eskalieren, weil man noch mehr Mittel zur Verfügung hat, um Menschen wehzutun. Ich halte es für besser, wenn Bodycams tatsächlich großflächig eingesetzt würden. Das ist ein Medium, das defensiv ist und das niemandem wehtut, das aber Klarheit schafft im Ablauf einer Szene.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 08.06.2023, 19:30 Uhr
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