Geplante Ernährungsempfehlung
Seit einiger Zeit behaupten manche Politiker und Medien, den Deutschen drohe ein Fleischverbot. Hintergrund ist eine geplante Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Was ist dran an den angeblichen Fleischverbrauchs-Limits? Von Silvio Duwe, Chris Humbs und Markus Pohl
Die Currywurst gehört zu Berlin wie das Brandenburger Tor und der Fernsehturm. Doch an den Buden in der Hauptstadt geht seit kurzem die Angst vor der Fleischrationierung um. "Nur noch eine Wurst pro Monat für jeden!" schreibt die Bild-Zeitung [bild.de]. Aber auch in anderen Medien waren diese und ähnliche Überschriften in den letzten Wochen zu lesen. Will die Bundesregierung jetzt die Wurst rationieren?
"Da sollen die erstmal da oben anfangen, eine Wurst pro Monat und den Rest den grünen Salat oder so," sagt ein Imbissbesucher gegenüber ARD-Kontraste. Und er ist mit seinem Unmut nicht allein: Selbst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) griff auf Twitter [twitter.de] die Zeitungsberichte auf, schrieb: "Warum soll immer alles verboten werden? Was die Menschen essen, sollen sie selbst bestimmen. Wir leben in einer Demokratie." Und der Bundestagsabgeordnete Oliver Vogt, der für die CDU im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sitzt, hält in einem Video auf Instagram eine Packung Fleisch in die Kamera und erklärt, "das sollte ja jetzt für 14 Wochen reichen". Hinter all dem stünde "grüne Ideologie". Über eine Million Mal wird das Video aufgerufen.
Doch woher kommt die Aufregung um die angebliche Wurstrationierung? Begonnen hat sie mit einem Artikel in der Lebensmittel-Zeitung [lebensmittelzeitung.net]. Darin wird berichtet, dass die unabhängige Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) derzeit ihre Ernährungsempfehlungen überarbeitet. Der Artikel übernimmt außerdem einfach die Behauptung von Industrievertretern, die DGE habe sich bereits darauf festgelegt, künftig nur noch 10 Gramm Fleisch am Tag zu empfehlen. Der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbands MIV, Eckhard Heuser, rechnet in dem Text vor: "Das entspräche einer Currywurst im Monat!" Diese Rechnung wird kurz darauf von der Bild-Zeitung und weiteren Medien aufgegriffen.
Doch die Ausgangsthese, die DGE habe sich bereits festgelegt, künftig nur noch zehn Gramm Fleisch täglich zu empfehlen, stimmt nicht. Gegenüber Kontraste erklärt DGE-Präsident Professor Bernhard Watzl, dass diese Zahl aus einer Betaversion der Empfehlung stamme. Bis zur Fertigstellung der Empfehlung würden aber noch 750 Kommentare aus Wissenschaft und Industrie dazu berücksichtigt. "Insofern macht es keinen Sinn, jetzt wirklich auf zehn Gramm am Tag die Diskussion weiterzuführen, weil wir definitiv so eine Empfehlung nicht machen werden", so Watzl. Für Fleischesser empfiehlt die DGE momentan einen Fleischkonsum von nicht mehr als 300 bis 600 Gramm pro Woche. Der Maximalwert von 600 Gramm bezieht sich dabei auf Menschen, die "schwere körperliche Arbeit" verrichten.
Für den Kommunikationswissenschaftler Professor Christian Stöcker von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ist die Debatte um die angebliche Currywurst-Rationierung eine klassische Strohmann-Argumentation. Der politische Gegner, in diesem Fall die Grünen, werde für eine Ernährungsempfehlung verantwortlich gemacht, die es gar nicht gebe. "Die Demokratie leidet unter dieser Art von politischem Diskurs, die mit drastischen Verzerrungen und Unwahrheiten und Desinformation arbeitet", sagt Stöcker zu "Kontraste".
Hinter der Desinformationskampagne stecken wohl auch wirtschaftliche Interessen. Nicht nur wegen gesundheitlicher Aspekte gibt es Druck den Fleischkonsum zu reduzieren. Auch Klimaschutzgründe sprechen dafür: 14,5 Prozent der menschenverursachten Treibhausgase gehen nach UN-Schätzungen auf die Haltung und Verarbeitung von Nutztieren zurück. Tatsächlich will die DGE auch Klimaschutzaspekte künftig in ihren Empfehlungen berücksichtigen.
Gegen die "Diskriminierung" tierischer Produkte aus Klimagründen wehrt sich der Milchindustrie-Verband schon seit Längerem. 2020 ging sogar eine eigene Webseite [milchindustrie.de] online, mit der der Verband beweisen will, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Rinderhaltung und dem Klima gebe. Es handle sich um einen geschlossenen CO2- und Methankreislauf, zusätzliche Emissionen entstünden nicht, so die Botschaft in dem 14-minütigen Film, der auf der Webseite präsentiert wird.
Der Agrarökonom Professor Matin Quaim von der Universität Bonn, der sich für Kontraste den Film angesehen hat, hält die Aussagen dort für irreführend: "In der Darstellung wird ja unterstellt, dass die Kuh nur das Gras frisst. Auf der Weide, auf der sie steht", so Quaim. Was dabei völlig außen vorbleibe, sei, dass Kühe und Rinder zusätzlich mit einer großen Menge Getreide und Soja gefüttert würden, so Quaim. Gerade die Produktion von Tierfutter ist jedoch CO2-intensiv. In Südamerika wird für die Sojaproduktion für deutsche Rinderherden sogar großflächig Regenwald gerodet.
Produziert hat den Film der Ökonom Prof. Peer Ederer, der darin auch als Experte vor der Kamera steht. Seiner Ansicht nach enthalten die Ernährungsempfehlungen der DGE schon heute eher zu wenig Fleisch. Das sagt er im Interview mit Kontraste. Die Frage, wer seine Arbeit finanziert, möchte Ederer vor der Kamera nicht beantworten. Er sei jedoch in seinen wissenschaftlichen Aussagen vollkommen unabhängig.
Sendung: Kontraste, 15.06.2023, 21:45 Uhr
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