Interview | Internationaler Hurentag
Stefanie Klee arbeitet als Sexarbeiterin. Gern und freiwillig, wie sie sagt. Sie ist eine der wenigen Frauen in der Branche, die kein Doppelleben führt, wie sie im Interview zum Internationalen Hurentag sagt.
rbb|24: Frau Klee, Sie arbeiten als Sexarbeiterin. Machen Sie ihren Job gern und freiwillig?
Stefanie Klee: Ja. Ich mache meine Arbeit schon sehr lange und das immer freiwillig und zumeist auch gern. Natürlich gibt es da, wie bei jedem Beruf, auch Höhen und Tiefen. Inzwischen arbeite ich vor allem als Sexualassistentin. Das heißt, ich biete meine sexuellen Dienstleistungen Menschen mit Behinderungen, Senioren und Pflegebedürftigen an. Ich mache meine Arbeit gern, weil ich sehe, wie viel positive Resonanz ich bekomme und wie glücklich sie meine Kunden macht.
Wie kam zu Ihrer Berufswahl?
Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Im Nachbardorf gab es ein Bordell und darüber wurde nur unter vorgehaltener Hand getuschelt. Ich lernte den Bordellbetreiber dann eines Tages kennen. Ich fand das spannend und habe es mir zunächst angeschaut. Erst hinter der Theke. Dann habe ich mich von den Sexarbeiterinnen ermutigen lassen, auch vor die Theke zu gehen - und der nächste Schritt war, sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Das war dann nicht mehr so schwierig. Ich bin dann immer mal wieder für längere Zeit in der Prostitution gewesen. Ich habe aber auch andere Sachen gemacht. Ich bin studieren gewesen, dann wieder anschaffen gegangen, habe bei der Verwaltung gearbeitet, bin wieder anschaffen gegangen. Meine jetzige Situation, dass ich sexuelle Dienstleistungen anbiete und gleichzeitig als Vorstand des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen (BSD) mit Kolleginnen, Bordellbetreibern und Kunden politisch arbeite, empfinde ich als eine tolle Kombination.
Am 2. Juni findet alljährlich der Internationale Hurentag statt. Das Wort Hure gilt ja vielfach als Schimpfwort. Ist die Bezeichnung für Sie trotzdem ok? Und welche Bezeichnungen für die Sexarbeit gehen – welche nicht?
Wir haben in der deutschen Hurenbewegung das negative Wort Hure umgedreht und es stolz in den Vordergrund gesetzt. Wir haben Hurenkongresse, Hurendemos und es gibt das Wort Hurenarbeit. Das Wort war im politischen Kontext auch eine Art Kampfbegriff. Durch die Internationalisierung ist dann aus den USA der Begriff Sexarbeit zu uns rüber geschwappt. Der Begriff ist toll, denn er sagt einerseits, dass es um Arbeit rund um Sexualität geht. Ich bin aber auch glücklich damit, wenn jemand sagt, dass ich als Hure arbeite. Prostituierte hingegen ist ein schwieriges Wort, wird aber im gesetzlichen Kontext benutzt und ist von daher auch okay. Dadurch, dass ich politisch aktiv bin, wechsle ich – je nachdem, mit wem ich spreche. Den Begriff Nutte finde ich doof, Bordsteinschwalbe finde ich verniedlichend und daher nicht toll. Liebesdienerin wiederum ist völlig verpeilt. Denn wir bieten keine Liebe an, sondern sexuelle Dienstleistungen.
Sie selbst bieten, Sie sagten es schon, sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen an. Gibt es hierfür mehr Akzeptanz in der Gesellschaft? Allein die Bezeichnung ist schon mal anders: Sexualassistentin. Ist das besser?
Ja, die Arbeit als Sexualassistentin hat positive Aspekte im Vergleich zur sonstigen Sexarbeit. Ich bin da relativ frei in der Zeiteinteilung. Der Kunde, die Angehörigen oder die Angestellten einer Einrichtung vereinbaren mit mir einen festen Termin. Darauf stelle ich mich ein, muss aber nicht den ganzen Tag für diesen Termin parat stehen. Ich habe mir im Laufe der Zeit auf diesem Gebiet einen Namen erarbeitet. Leider findet der in den Einrichtungen immer wieder dann Zuspruch, wenn es zu Übergriffen gekommen ist. Wenn Senioren oder behinderte Menschen so ein Bedürfnis nach sexuellem Kontext haben, dass sie die Pflegekräfte beim Waschen an der Brust betatschen oder nackt über den Flur rennen und rufen, dass sie ficken wollen. Dann muss die Einrichtung sich kümmern, um ihr Personal zu schützen. An dieser Stelle wird nach einer Sexualassistenz gesucht.
Den Begriff haben wir selbst gewählt – weil er eine Parallele aufweist zur Arbeits- und Pflegeassistenz aufweist. Da komme ich mit Kunden zusammen, für die ich bestimmte Fertigkeiten einsetze, die ich mir im Laufe der Zeit erarbeitet habe und die nicht zum normalen Prostitutionsgeschäft gehören. Denn ich muss auch mit Personal und Angehörigen sprechen, die oft sehr schamhaft und überfordert sind. Normalerweise hat man es ja nur mit dem Kunden selbst zu tun.
Enorm erfreulich ist, dass das Umfeld meiner Kunden in den Einrichtungen sieht, wie fröhlich und ausgeglichen diese dann sind. Dadurch wird mir sehr viel Akzeptanz und positive Rückmeldung entgegengebracht. Da sagen mir dieselben Menschen, die gegen Sexarbeit im Allgemeinen sind, wie super es ist, dass ich den Beruf der Sexualassistentin ausübe und dass es ihn gibt. Dabei ist beides Sexarbeit.
Angeblich führen Sexarbeiterin im Regelfall ein Doppelleben. Stimmt das? Und wie kann man sich das vorstellen? Sagt man in der Schule des Kindes, man sei beispielsweise Friseurin? Welche Repressalien wären zu befürchten?
Es gab tatsächlich schon Mütter, die dachten, sie könnten offen damit umgehen. Manche von ihnen haben erlebt, dass die Kinder nicht zu Kindergeburtstagen eingeladen wurden, dass Kinder nicht zu ihnen nach Hause kommen durften. Ich kann von mir selbst berichten, dass ich gerade umgezogen bin. Bei der Wohnungssuche haben mehrere Hauseigentümer mich über Google recherchiert und dann gesagt, dass sie mir ihre Wohnung als Sexarbeiterin nicht vermieten wollen. Auf meine Rückfrage hieß es, es gebe ja die Gefahr, dass ich in dieser Wohnung dann Sexarbeit anbiete. Schwierig ist es auch mit Partnern. Die wollen oft auch nicht offen zugeben, womit ihre Partnerin Geld verdient und man sich so auch schöne Urlaube leisten kann.
Ich verstehe das, wenn Kinder im Spiel sind. Aber oft sind es ja vor allem Befürchtungen. Und die Befürchtung, die ich hatte, dass Freunde oder Angehörige sich von mir abwenden könnten, hat sich nicht bewahrheitet. Aber solche Ängste sitzen so tief, dass fast alle Frauen ein Doppelleben führen. Den meisten fällt das auch leicht, weil sie Erfahrung in anderen Berufen haben. Wer auch einmal Sekretärin war, sagt einfach, dass sie beim Rechtsanwalt oder Steuerberater arbeitet. Aber das kann sich schnell zum Drama entwickeln, wenn die Kinder mal schauen wollen, wie man arbeitet, oder einen jemand bei der Arbeit abholen möchte. Dann muss man immer wieder lügen. Hinzu kommt, dass man in den genannten Jobs oft gar nicht so viel Geld verdienen würde, wie man es als Sexarbeiterin verdienen kann.
Es gab auch schon den Fall, dass eine Sexarbeiterin nach einem Unfall ins Krankenhaus kam. Als dann bei der Durchsuchung der Tasche nach Personalien der Hurenausweis, früher Bockschein genannt, gefunden wurde, wurde sie im Anschluss abfällig behandelt. Das ist ein gesellschaftliches Problem, weil das Stigma von Seiten der Gesellschaft und der Politik nicht angegangen wird. Und wir, das muss ich kritisch sagen, tun auch selbst zu wenig, sondern richten uns in diesem Doppelleben ein.
Was müsste passieren, damit sich die Situation verändert?
Ein gutes Beispiel sind Demos. Die, wie sie am 2. Juni in Berlin stattfindet. Da gehen wir, Frauen und Männer, auf die Straße, zeigen uns und bringen unsere Forderungen in die Öffentlichkeit. Die meisten sind dabei gut zu erkennen – einige wenige tragen Masken.
Im Endeffekt geht es um eine Wechselwirkung. Wenn die Regierung mit der Verabschiedung des Prostituiertenschutzgesetzes 2016/17 auch eine Kampagne zur Anerkennung von Sexarbeit mit Plakaten angestoßen hätte – wie sie es ja in anderen Bereichen permanent macht – und wir ebenfalls in die Öffentlichkeit gegangen wären, dann wäre die Situation heute sicherlich eine andere.
Welche Männer kommen als Kunden - ein Querschnitt durch die Gesellschaft? Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums gehen täglich rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland in ein Bordell.
Diese Zahl hat das Ministerium der Hurenorganisation Hydra geklaut. Da gab es eine Studie, in der hochgerechnet wurde, dass so viele Menschen zu Sexarbeiterinnen geht. Um deutlich zu machen: Jeder dritte Mann könnte ein Kunde sein. Oder einmal in seinem Leben einer sein. Sämtliche Studien, die es gibt und auch die Erfahrungen der Praktikerinnen zeigen: Die Kunden sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Alle kommen. Der Taxifahrer, der Bruder, der Richter, der Priester, der Kollege, der Polizist.
Denken Ihrer Einschätzung nach viele Männer darüber nach, ob die Sexarbeiterin, deren Dienste sie in Anspruch nehmen, freiwillig arbeitet?
Nein. Das kann man auch nicht erwarten. Die Kunden kommen für zehn Minuten, 20 Minuten, eine halbe Stunde – da gibt es nicht viel Zeit zum Reden oder Nachfragen. Das von den Kunden zu erwarten, finde ich auch zu viel. Wenn ich im Restaurant bin, gehe ich auch nicht in die Küche und schaue, ob da schlechte Arbeitsbedingungen sind. Das ändert sich in dem Moment, wo ein Kunde zu einem Stammkunden wird oder man längere Zeit miteinander verbringt. Wo man sich ein Stück weit näher kommt und sich auch begegnet. Doch die Forderung an Kunden, da tätig zu werden, sensibler zu sein oder auch die neue Strafbestimmung, dass Kunden härter bestraft werden, wenn sie mit gezwungenen Sexarbeiterinnen, also Menschenhandelsopfern, Sex haben, sind fern der Realität.
Kennen Sie auch Frauen, die zur Sexarbeit gezwungen werden?
Ich persönlich treffe in meinem Kontext – also in der Politik und in Bordellen - sehr selten auf Frauen, bei denen es um Ausbeutung und Gewalt geht. Diese Frauen trifft man eher im Dunkelfeld. Sie sind in Bereichen, wo sie nicht mit mir in Kontakt kommen.
Nichtsdestotrotz habe ich auch in Bordellen Frauen erlebt, die Partner haben, die sie nicht zur Prostitution zwingen, die ihnen aber trotzdem ihr Geld wegnehmen. Sie dort rauszuholen, ist – genau wie bei geschlagenen Ehefrauen – ein langer und schwieriger Prozess.
Sie haben das Prostituiertenschutzgesetz schon erwähnt. Was ist daraus in der Realität geworden? Es sollte ja eigentlich die Sexarbeiterinnen schützen.
Indem man regelmäßige gesundheitliche Beratungen und Registrierungen zur Pflicht gemacht hat, hat man keinen Schutz angeboten. Auch nicht darin, dass man die Bordelle kontrolliert. Schutz sehe ich ausschließlich in Professionalisierung und Empowerment. Das ist in dem Gesetz nicht enthalten. Es gibt den Betrieben ein bisschen mehr Sicherheit, weil sie, wenn sie die Mindeststandards einhalten, auch eine Konzession bekommen.
Doch die Registrierung und die gesundheitliche Beratung empfinden wir alle als abwertend und diskriminierend. Da muss ich mir jedes halbe Jahr eine Beratung anhören von einer Person, die unter Umständen gar keine Ahnung von Sexarbeit hat. Eine Sozialarbeitern verlangte beispielsweise, dass wir an einem Holzpenis zeigen, wie man ein Kondom überzieht. Dafür braucht man kein Gesundheitsamt, das lernt man innerhalb von zwei Tagen in der Prostitution.
Und zuletzt: Um in einem Bordell arbeiten zu können, muss ich die gesundheitliche Bescheinigung und den Hurenausweis bei mir tragen. Worüber dann gegebenenfalls mein Doppelleben auffliegt.
Die Corona-Zeit wollten einige Politiker dazu nutzen, Sexarbeit ganz abzuschaffen. Ganz abwegig ist das nicht: In Skandinavien und Frankreich gibt es ein Sexkauf-Verbot. Da werden also die Freier kriminalisiert.
Ja, während Corona haben die Prostitutionsgegner gesagt, dass, wo die Bordelle sowieso schon geschlossen sind, man sie auch gleich geschlossen lassen und das nordische Modell einführen könne. Doch weder die geschlossenen Bordelle noch das Prostitutionsverbot, das es vielfach in dieser Zeit gab, haben dazu geführt, dass Sexarbeiterinnen aufgehört haben zu arbeiten. Viele sind nicht im sozialen Absicherungssystem integriert und brauchten Geld zum Leben. So mussten sie im Dunkelfeld – zu Hause, im Hotel, in Ferienwohnungen – weitermachen. Da waren sie sehr viel mehr mit Gewalt und Ausbeutung konfrontiert. Die Kunden wussten genau, dass die Frauen sie nicht anzeigen würden, weil sie sich damit selbst angezeigt hätten.
Und genau diese Rückmeldung gibt es auch aus den nordischen Ländern. Wenn man Prostitution verbietet, taucht sie ins Dunkelfeldfeld ab. Und trifft dort auf Kunden, die auch bereit sind, Gewalt anzuwenden. Denn außerhalb der Bordelle gibt es ja keinen Kontakt mehr mit den Kolleginnen. In einem Bordell wagt kein Kunde, übergriffig zu werden. Denn die Frau müsste nur ihre Kolleginnen rufen oder den Notrufknopf drücken.
Warum sollte die Sexarbeit überhaupt abgeschafft werden?
Da geht es, aus dem bürgerlichen Kontext kommend, um die Frage der Moral. Da darf Sex nur in einer Beziehung, wobei beide etwas davon haben sollen, stattfinden. Was völlig weltfremd ist.
Und dann geht es um die Fokussierung einzelner schlimmer Zustände, die abgeschafft hören. Doch wenn eine Frau oder ein Mann sich schlecht behandeln lässt, bedarf es Stärke und Professionalität und eines Bewusstseins der eigenen Rechte, um sich daraus zu befreien. Ein Verbot bringt nur noch mehr Vulnerabilität und das Abtauchen ins Dunkelfeld.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess.
Sendung: rbb24 Abendschau, 03.06.2023, 19:30 Uhr
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