Interview | Suchtberater nach Drogentod von 15-Jähriger
Nach dem Drogentod einer 15-Jährigen in Rathenow diskutieren Politik und Experten über die Konsequenzen. Der Brandenburger Suchtberater Michael Leydecker plädiert für mehr Prävention. Eine davon könnte das in Berlin gestartete Drug-Checking sein.
rbb: Herr Leydecker, angesichts des 15-jährigen Mädchens aus Rathenow, das nach dem Drogenkonsum verstorben ist: Wie sieht es in Brandenburg aus mit der Drogenszene?
Michael Leydecker: Ich denke, dass beide Todesfälle, in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern, Anm. d. Red.) und in Rathenow, sehr große Ausnahmen sind. Das sind tragische Unglücksfälle, die sind ganz schlimm, aber man kann daraus nicht schließen, dass wir in Brandenburg ein überbordendes Drogenproblem aktuell hätten. Nichtsdestotrotz muss man das sehr ernst nehmen und schauen, was man daraus für Schlüsse ziehen kann, gerade für die Prävention.
Welche Schlüsse könnte man ziehen?
Ich denke, dass gerade bei Jugendlichen, die in der Experimentierphase sind, wo es natürlich ist, dass sie Dinge ausprobieren, ab der sechsten oder siebten Klasse Präventionsunterricht machen sollte. Der sollte regelmäßig mit Gleichaltrigen stattfinden, ohne moralischen Zeigefinger. Und eben darauf hinweisen, dass so eine Pille, bei der ich nicht weiß was drin ist, immer mit einem großen Risiko verbunden ist. Das ist anders als bei einem Bier - da weiß ich, das ist hergestellt mit so und so viel Prozent, auch wenn ich erst einmal nicht weiß, wie das bei mir wirkt. Aber bei einer Pille kann ich nicht davon ausgehen zu wissen, was drin ist.
Gibt es mehr Menschen, die Amphetamine nehmen, oder ist die Hemmschwelle geringer geworden?
Der Konsum von Amphetamin in den Altersgruppe von 30 bis 35 Jahren hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Weil das einfach eine Droge ist, die die Leistungsfähigkeit erhält.
Gerade bei Berufen, bei denen viel Druck da ist - im Logistikbereich, auf Montage, bei Akkordarbeitern - wie ein Kaffee-Ersatz konsumiert wird. Noch dazu hat es relativ wenige körperliche Auswirkungen außer dass auf Dauer der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander gerät und sich irgendwann so eine Erschöpfung einschleicht. Aber erstmal hat man das Gefühl, ich nehm das und kann es auch wieder lassen, deshalb ist es sehr beliebt. Und wir haben auch sehr viel Mischkonsum in den Altersgruppen bis 35, wo Alkohol und Amphetamin oder eben auch Cannabisprodukte gemischt konsumiert werden.
THC wird Ihrer Aussage nach heute viel selbstverständlicher genommen. Was meinen Sie damit?
Wir haben ja die Lage, dass Delikte einerseits von der Polizei verfolgt werden, die Polizei macht sich da sehr viel Mühe. Andererseits werden diese dann von Staatsanwaltschaften und Gerichten sehr schnell niedergeschlagen wegen Eigenkonsum. Da passiert dann nicht viel. Bei den jungen Erwachsenen und Jugendlichen kommt die Botschaft an: Eigentlich ist es egal.
Jetzt kommt sogar die Cannabis-Legalisierung dieses Jahr auf uns zu. Das gibt nochmal mehr das Gefühl, eigentlich ist es in Ordnung und legal. Das hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass der Konsum langsam aber stetig in Brandenburg ansteigt.
Wir haben in den Beratungsstellen, wenn man sich die Jahresberichte anschaut, als erste Droge natürlich immer Alkohol. Weiterhin haben die Beratungsstellen zu 70 bis 80 Prozent mit Alkoholproblemen zu tun.
Wir haben aber auch zehn bis 15 Prozent Anteile, die in Richtung Cannabis gehen. Gerade bei jungen Leuten ist das Thema, bei jungen Männern. Deshalb ist es wichtig, dass es gezielte und methodische Angebote gibt, die die Familien mit ins Boot holen, wo die Angehörigen gehört werden und dadurch entsprechende Lösungen entstehen.
Gibt es eine Art Rangfolge, was in welchem Umfang konsumiert wird?
Die Hauptdroge, das muss ich immer wieder wiederholen, ist Alkohol. Dann haben wir eine große Dunkelziffer, was den Medikamentenmissbrauch angeht, weil ganz viel über Ärzte verschrieben wird und deshalb gar nicht erst in der Beratungsstelle auftaucht. Dazu hätten Hausärzte und Notfallstationen viel mehr zu sagen als Beratungsstellen.
Und bei illegalen Drogen haben wir die Rangfolge, dass Cannabis an erster Stelle steht, dann kommen die Amphetamine. Im Süden Brandenburgs würden dann Amphetamine noch eher durch Crystal Meth ausgetauscht werden. Dann kommt erstmal lange nichts. Und dann kommt die Partyszene, die am Wochenende auch mal in den Club geht, mal eine Ecstasy-Pille ausprobiert und darüber entsprechende Erfahrungen macht. Aber das ist dann wirklich im Prozentbereich, das ist nicht die große Gruppe.
Wenn man das im Verhältnis zu dem 15-jährigen Mädchen setzt: Ecstasy scheint es überall zu geben und scheinbar nimmt es auch jeder schon mit 15 Jahren. Der Eindruck täuscht?
Die Verfügbarkeit ist mit Sicherheit vorhanden und Jugendliche in der Altersgruppe sind gefährdet, weil sie in einer Explorationsphase sind, weil sie Dinge ausprobieren wollen. Weil sie das den Erwachsenen nachmachen wollen. Und wenn sie sich so anschauen: Raves oder Partys haben eine ganz große Anziehungskraft, deshalb ist es wichtig, dass man in dieser Zielgruppe vermittelt: Leute, seid problembewusst, bitte erkundigt euch, bevor ihr das probiert! Hat das schon mal jemand genommen? Wie sind die Erfahrungen damit? Fangt mit kleinen Dosierungen an, wenn ihr das unbedingt ausprobieren müsst. Und vertraut Menschen nur mit gutem Kontakt, nehmt nichts, wovon ihr euch nicht sicher seid!
Was würden Sie denn empfehlen: In welcher Form müsste man mehr machen?
Wichtig ist, dass die Strukturen in Brandenburg, die sowieso schon unterfinanziert sind, dass die erhalten bleiben. Und auch aufgestockt werden, gerade im Hinblick auf Cannabis-Legalisierung erwarten wir, dass wir sehr viel mehr zu tun bekommen in Richtung Prävention, im Schul- und Freizeitbereich. Da ist es wichtig, dass die Gelder fließen.
Wichtig ist auch, dass wir die Bundesinitiativen, die es im Moment gibt, in Richtung von Drug-Checking verbessern, um Menschen, die konsumieren wollen, zeigen zu können, was sie da konsumieren. Das ist keine Lösung, um Todesfälle zu vermeiden, aber ein zusätzlicher Baustein, um eine sinnvolle Prävention zu machen.
Mehr Polizeikontrolle, Drug-Checking - was wären die Allheilmittel?
Allheilmittel werden wir keine bekommen, es muss ein Bündel von Maßnahmen sein. Einerseits ist es glaube ich gut, wenn von der Polizei der Druck auf die Organisierte Kriminalität und auf die Dealer weiter hoch bleibt. Gleichzeitig braucht es eine flächendeckende Prävention beginnend mit Klasse 6 oder 7 - und die Bundesinitiative: dass es eine Möglichkeit geben soll an bestimmten Orten ein Drug-Checking zu machen.
Ich rede eher von erwachsenen Konsumenten, das ist kein Angebot für Kinder und Jugendliche. Im Gegenteil. Aber für Erwachsene, die Konsum in Ordnung finden, die in den Club gehen wollen, dass die dann die Möglichkeit haben, auch bestimmte Substanzen überprüfen zu lassen, um zu sehen, wie der Wirkungsgrad ist und dass das Risiko ein Stück weit eingeschränkt ist. Als eine Blume in einem Strauch von Maßnahmen, die notwendig sind, um solche furchtbaren Unglücksfälle zu vermeiden.
Drug-Checking hätte vermutlich den Drogentod der 15-Jährigen nicht verhindert, oder?
Wie gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jugendliche mit 13, 14 Jahren dann in eine Beratungsstelle gehen und sagen: Hier ich habe eine Substanz und die möchte ich ausprobieren. Aber möglicherweise schauen die Zwischenhändler, die das, bevor sie das, was sie in die Hand bekommen, an junge Leute weitergeben, erstmal schauen: Was ist da drin? Wie stark ist der Stoff? Darüber könnte man ein bisschen das Risiko minimieren. Aber eine Sicherheit bekommt man darüber nicht zu 100 Prozent.
Was halten Sie vom Drug-Checking?
Ich hoffe, dass die Bundesinitiative an der einen oder anderen Stelle in Brandenburg solche Projekte umsetzt. Kollegen wie die Drogenpräventions- und Suchtberater von Chill Out e.V. in Potsdam setzen sich dafür schon sehr lange dafür ein, dass bei Raves und bestimmten Partys die Möglichkeiten bestehen. Und bis jetzt hat es die Gesetzgebung verboten, weil es unter das Betäubungsmittelrecht fällt und da wird jetzt eine Öffnung diskutiert und das ist glaube ich ganz ganz sinnvoll.
Aber lassen Sie mich vielleicht zum Schluss nochmal sagen, dass ich diese furchtbaren Todesfälle immer wieder in dem Zusammenhang sehen muss: Wir haben in Deutschland ungefähr 75.000 Menschen, die jedes Jahr an den Folgen von Alkohol sterben. Deshalb sollte die große Relation im Blick behalten werden, wenn man dann über Maßnahmen spricht. Man muss bei Prävention wirklich breit ansetzen. Und so schlimm, wie diese einzelnen Todesfälle sind: Das strukturelle Problem ist ein viel größeres.
Das Interview führte Theresa Majerowitsch.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 28.06.2023, 19:30 Uhr
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