90. Jahrestag
Extrem brutal ging die nationalsozialistische SA während der "Köpenicker Blutwoche" gegen Hunderte Oppositionelle und Juden vor. Menschen wurden verschleppt und gefoltert, einige starben. Und die Öffentlichkeit? Sie schaute zu.
Sie prügelten, sie folterten, sie töteten. 500 Menschen wurden am 21. Juni vor 90 Jahren von den Berliner Rollkommandos der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) verschleppt und im ehemaligen Amtsgerichtsgefängnis in Berlin-Köpenick gequält. Mindestens 23 Menschen starben.
Es war nicht nur eine brutale Machtdemonstration gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Juden. Sondern auch ein Testfall, eine organisierte Machtsicherung, die zeigte: Dieses noch junge Regime kann foltern und morden, ohne dass sich Polizei, Richter und große Teile der Zivilgesellschaft ihm in den Weg stellen.
Fast 50 Jahre nach den brutalen Morden, konkret im Mai 1980, wurde in der Kellerzelle des früheren Amtsgerichtsgefängnisses in der Puchanstraße 12 eine erste Gedenkstätte für die Toten der "Köpenicker Blutwoche" eingerichtet. Die Schau wurde 1987 erweitert und als "Traditionskabinett des antifaschistischen Widerstandskampfes in Berlin-Köpenick 1933-1945" präsentiert. Nach dem Ende der DDR wurde die Schau in die Gedenkstätte "Köpenicker Blutwoche Juni 1933" überarbeitet.
Im Jahr 2013, zum 80. Jahrestag, wurde schließlich eine neue Dauerausstellung eröffnet. Sie stellt die Ereignisse in Zusammenhang mit der NS-Machtübernahme 1933. Denn die "Köpenicker Blutwoche" war aus Sicht von Historikern ein hervorstechendes Ereignis. Dem Göttinger Historiker Stefan Hördler zufolge zeigten die Morde auf offener Straße ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß von Gewalt gegen Oppositionelle des NS-Systems. Tödliche Folter, Prügelorgien und systematisches Morden im offenen Stadtraum durch die SA habe es vorher in dieser organisierten Form nicht gegeben, so der Historiker, der auch die Dauerausstellung zur "Blutwoche" in der Köpenicker Gedenkstätte kuratierte.
"Die Gewalt baute sich systematisch auf. Viele der Opfer aus Köpenick waren längst im Visier der SA, waren in Listen erfasst und hatten schon den Terror der Straße erlebt", sagt Hördler im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Dass die Gewalt in einer der sozialdemokratischen Hochburgen Berlins derart eskaliert sei, habe auch daran gelegen, dass Gauleiter Joseph Goebbels die Aktion zentral mitgesteuert habe.
Dass die Gewalttaten zu keinen nennenswerten Protesten in der Zivilgesellschaft führten, war Hördler zufolge für die NS-Führung nahezu unerwartet. "Es war eine Bankrotterklärung gegenüber einem System, das noch keineswegs gefestigt war und nicht hoffen konnte, mit extremer Gewalt fast komplikationslos durchzukommen", so der Historiker. Die Gewalt habe vor Augen geführt, "wie groß bereits die Handlungsräume und Einflusssphären der Nationalsozialisten im Sommer 1933 waren".
Wenige Monate vor der "Köpenicker Blutwoche" war Adolf Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden. Unmittelbar danach breitete sich der Terror der paramilitärischen SA gegen NS-Gegner im ganzen Land aus. Während der "Köpenicker Blutwoche" wurde die SA von SS- und Gestapo-Verbänden unterstützt [bpb.de]. Gemeinsam trieben sie Oppositionelle aus Köpenick und den angrenzenden Bezirken zusammen.
Zu den prominenten Personen, die im stillgelegten Köpenicker Amtsgerichtsgefängnis gefoltert und dort vermutlich erschossen wurden, zählten Johannes Stelling, früherer Ministerpräsident des damaligen Freistaats Mecklenburg-Schwerin (SPD), und Paul von Essen. Er war Sekretär des Deutschen-Metallarbeiter-Verbandes.
Wie brutal Täter der SA vorgingen, zeigen Blicke in die Obduktionsberichte: Über das Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands Josef Spitzer, heißt es: "Dieser Mann hat viele auf stumpf einwirkende Gewalt (Stock, Gummiknüppel?) zurückzuführende Verletzungen am Gesäß und Beinen mit erheblichen Blutungen in das darunter liegende Gewebe erlitten. (...) Der Rücken war von oben bis zu den Fersen ohne Haut, das nackte, blutige Fleisch guckte heraus."
Anlass für die gezielten Verhaftungen hätten der SA das Verbot des "Deutschnationalen Kampfrings" und der SPD geboten, schreibt das Amt für Weiterbildung und Kultur [berlin.de]. Ein hervorzuhebendes Ereignis sei auch wie das SPD-Mitglied Anton Schmaus in Notwehr drei SA-Männer niederschoss. Joseph Goebbels habe daraufhin den Tod der Parteisoldaten propagandistisch ausgeschlachtet.
Die Hauptverantwortlichen der "Köpenicker Blutwoche" wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges vor Gericht gestellt.
Der Eintritt in die Gedenkstätte "Köpenicker Blutwoche" in der Puchanstr. 12 ist kostenlos. Es gibt Angebote für Schulklassen, Ausstellungsbegleitungen und Audiowalks.
Das Archiv der Gedenkstätte befindet sich am Standort der regionalgeschichtlichen Archive der Museen Treptow-Köpenick [berlin.de]. Dort werden Berichte von Zeitzeugen, Akten des Gerichtsprozesses gegen die Täter sowie eine Sammlung von Reaktionen aus der Öffentlichkeit verwahrt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2022, 19.30 Uhr
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