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Audio: rbb|24 | 23.06.2023 | Interview mit Natasha A. Kelly | Quelle: picture alliance/Westend61/I.Kojic

Interview | Soziologin Natasha A. Kelly

"Wir schaffen keine Safer Spaces um Menschen zu ärgern, sondern um unsere Kinder zu schützen"

Eigentlich brauchen alle einen "Safe Space". Einen wertungsfreien Rückzugsort. Doch Gruppen mit Ausgrenzungserfahrungen brauchen den besonders dringend, sagt die Berliner Soziologin Natasha A. Kelly. Sie thematisiert auch, wer draußen bleiben sollte.

In Berlin bietet die Organisation Empoca Outdoorprogramm für schwarze Kinder und Jugendliche an. Ein "Safe Space", um in geschützter Gruppe die Umwelt erleben zu können. Darüber hatte "Der Spiegel" [spiegel.de/Bezahlschranke] im Mai berichtet. Seitdem wird die Organisaiton mit Hass- und Hetznachrichten überzogen. Ein Vorwurf: weiße Menschen würden ausgegrenzt.

Die Soziologin Natasha A. Kelly aus Berlin erklärt, was "Safe(r) Spaces" leisten können und wollen. Und warum der Ausschluss von Gruppen nicht negativ bewertet werden sollte.

Zur Person

Natasha A. Kelly

rbb|24: Frau Kelly, kann ein Kinderzimmer, an dem "Eltern unerwünscht"-Schild an der Tür hängt, ein Safe Space sein?

Natasha A. Kelly: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, dass Kinder definitiv auch ihre Privatsphäre brauchen.

Wer braucht Safe Spaces? Jeder, der ein bestimmtes Thema hat oder gehört eine bestimmte Belastung dazu?

Wenn man Safe Spaces mit Privatsphäre vergleicht, brauchen wir alle Safe Spaces.

Gibt es Gruppen, für die das wichtiger ist als für andere?

Definitiv. Gerade marginalisierte und diskriminierte Gruppen suchen und brauchen auch als Kollektiv Safe Spaces.

Sind Safe Spaces ein Städterthema? Ist ganz Berlin für viele, die vom Land hierher kommen, nicht ein Safe Space?

Nein, das würde ich nicht so sehen. Aber Berlin ist für sich gesehen eine sehr kreative Stadt, die den Menschen die Möglichkeit lässt, Dinge, die es auf dem Dorf vielleicht nicht gibt, zu erkunden. Das mit einem Safe Space zu vergleichen, ist ein großer Sprung.

Treffen die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen von selbst auf einen Safe Space oder hilft es, sich diesen gezielt zu suchen?

Sowohl als auch. Ich denke es ist sehr wichtig, dass sich Einzelpersonen marginalisierter Gruppen angehörige einen Safe Space suchen. Dass sie sich also Communities suchen, mit denen sie sich austauschen können. Genauso ergeben sich diese Räume aber auch organisch. Weil wir uns ja manchmal zurückziehen und an diesem Rückzugsort häufig Menschen treffen, denen es ähnlich geht.

Was alles kann ein Safe Space sein?

Safe Spaces sind in erster Linie Gruppenräume. Das kann der Fußballverein sein, in dem man sich vor Stress in der Schule zurückzieht bis hin zu politischen Räumen. In einem Safe Space kann man sich unabhängig von den Strukturen und dem Unterdrückungssystem auch über ganz andere Dinge austauschen.

Was ist kein Safe Space? Der Berliner Senat beispielsweise stellt ja Tiny Houses als Rückzugsort für Obdachlose zur Verfügung. Oder es gibt immer mehr Awareness-Teams bei Events wie beispielswiese kürzlich dem Karneval der Kulturen.

Man muss zwischen Awareness und Safe Spaces unterscheiden. Ein Safe Space ist ein geschützter Raum innerhalb bestehender Strukturen, in dem sich bestimmte Gruppen zusammenfinden können, um sich auszutauschen. Ein Awareness-Team hat die Aufgabe, in gesamtgesellschaftlichen Räumen – wie beispielsweise beim Karneval der Kulturen – dafür zu sorgen, dass diese weitestgehend diskriminierungsfrei bleiben. Das sind zwei verschiedene Strategien und Ansätze.

Welchen Gewinn können Menschen und auch Gruppen aus Safe Spaces ziehen?

Safe Spaces sind vor allem Orte, wo ein Austausch über Diskriminierungserfahrungen ohne Anwesenheit der Unterdrücker:innen erfolgen kann. Wir kennen das aus der feministischen Bewegung sehr gut. Da wurden in den frühen 80er Jahren Frauenräume erschlossen, in die Männer nicht eingeladen waren. Damals haben die Männer auch laut geschrien. Aber man hat ja gesehen, wie notwendig das war, um Dinge anzusprechen, die in Anwesenheit der Unterdrücker nicht zu Wort gekommen wären. Diese Räume sind existentiell wichtig. Wir brauchen sie, sollten sie respektieren und auch fördern.

Rückzugsräume für marginalisierte Gruppen

Was einen Safe(r) Space ausmacht

Immer wieder ist von "Safe Spaces" die Rede. Doch was ist das eigentlich? Wer braucht sie, was können sie leisten und welche gibt es in Berlin? Außerdem: Warum die Bezeichnung schon gar nicht mehr ganz richtig ist. Von Sabine Priess

Ist es legitim, Gruppen explizit auszuschließen?

Ja, und es sollte gar nicht negativ bewertet werden, wenn Männer nicht in Frauenräumen oder weiße Personen nicht in Schwarzen Räumen erwünscht sind. Denn die Gruppe kommt ja aus diesen Räumen gestärkt wieder heraus. Davon profitieren alle. Man kann natürlich alles negativ betrachten und das als Ausschluss bewerten. Aber es ist gar nicht das Ziel, jemanden nicht mitmachen zu lassen. Sondern es geht darum, einen Raum der Fürsorge zu schaffen. Einen geschützten Raum in dem Sinne, dass sich betroffene Menschen mitteilen können. Das muss ja im Sinne der Gesamtgesellschaft sein.

Was denken Sie, warum es vielen schwerfällt zu akzeptieren, dass sie selbst nicht in einem Safe Space erwünscht sind. Geht es da um Kränkung?

Ich glaube, dass wir in der deutschen Gesellschaft ein Problem haben, wenn es um Schwarze deutsche Geschichte geht. Diese Geschichte ist weitgehend unsichtbar und von Diskontinuitäten und Leerstellen geprägt. Wenn Schwarze Personen oder die schwarze Community nicht nur eine Sichtbarkeit aufgrund der Hautfarbe fordert, sondern eine Sichtbarkeit für ihre Belange, ihr Empfinden und ihre Gefühlswelt, dann wird häufig nicht verstanden, warum das so ist. Unsere Geschichte ist aber genau von dieser Unsichtbarkeit geprägt und viele neigen dazu zu sagen, dass nicht existiert, was sie nicht sehen. Deshalb wird schon allein die Existenz dieser Räume in Frage gestellt. Es wird einfach nicht verstanden, warum es diese Schutzräume geben muss. Weil das Gesamtproblem nicht gesehen wird.

Und das ist, sagen Sie, eine typisch deutsche Reaktion. Hängt das mit der unaufgearbeiteten Kolonialgeschichte zusammen?

In Deutschland geht es in jedem Fall um die nicht aufgearbeitete Kolonialgeschichte. Um die Verkennung der Kontinuitäten aus Schwarzer Perspektive zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus. Es geht darum, dass der Rassismus der deutschen Nachkriegszeit nicht gesehen wird, darum, dass der der Wendezeit nicht gesehen wird. Bis in die Gegenwart wird uns eine Verortung in Deutschland extrem schwer gemacht. Das ist etwas, was Safe Spaces auffangen können. Vor allem für unsere Kinder. Sodass sie sich nicht ständig selbst infrage stellen müssen, weil die weiße Mehrheitsgesellschaft sie infrage stellt. Es ist ein ganz klares strukturelles Problem. Das wirkt sich auf die Kleinsten aus. Deshalb ist es nur gut, ihnen Räume zu geben, in denen sie sich selbst erkunden können. Damit sie merken, dass sie eine absolute Berechtigung haben, hier zu sein. Und zwar in ihrem ganzen Wesen.

Denken Sie, einer muslimischen Gruppe würde nicht dieselbe Empörung entgegenschlagen?

Ich glaube, dass dieser Vergleich nicht möglich ist. Denn es gibt ja Safe Spaces für muslimische Menschen. Beispielsweise eine Moschee sollte ein Safe Space sein. Was Schwarze Communities von anderen unterscheidet, ist, dass sie kein gemeinsames Herkunftsland und keine gemeinsame religiöse Zugehörigkeit und Sprache haben. Die Schwarze Community ist von Diversität geprägt. Deshalb bedeuten Safe Spaces in diesem Kontext etwas anderes. Obwohl ich muslimischen Menschen ihre politischen Safe Spaces absolut zugestehe.

So wichtig Safe Spaces sind. Was können sie nicht? Schließlich kann es ja auch innerhalb von Safe Spaces zu Diskriminierungen, Vorurteilen oder Gewalt kommen.

Ganz genau so ist es. Denn ein Safe Space kann sich nicht jenseits der gegebenen Strukturen befinden. Die Safe Spaces befinden sich innerhalb gegebener Machtstrukturen. Und innerhalb rassistischer, sexistischer und heteronormativer Strukturen. Natürlich sind sie auch ein Stück weit davon berührt. Deshalb sprechen wir immer weniger von Safe Spaces, sondern mehr von Safer Spaces. Sicherere Räume. Denn ein Raum ist nie sicher und nie frei von Unterdrückungsmechanismen und Machtverhältnissen. Das ist ganz wichtig zu betonen. Ein Safer Space ist aber ein Erholungsort davon.

Interview | Clubcommission zu Awareness

"Das Team muss vor und hinter der Bühne ansprechbar sein"

Nach den Vorwürfen gegen den Rammstein-Frontmann ist eine Diskussion über die Sicherheit von Frauen auf Konzerten entbrannt. Forderungen nach Safe Spaces kommen auf. Katharin Ahrend von der Clubcommission meint: Awareness-Arbeit sieht anders aus.

Was würden Sie sich wünschen?

In diesen ganzen Debatten sind die Fragen, ob dies oder jenes rassistisch ist oder nicht oder es etwas gibt oder nicht, die falschen. Wir befinden uns vielmehr in einer Menschenrechtsdebatte. Es geht um den Schutz bestimmter Menschengruppen. Und Menschenrechte sollten weiterhin indiskutabel sein. Man sollte sich mehr die Frage stellen, wie man diesen Gruppen als Gesamtgesellschaft entgegenkommen, sie stützen und stärken kann. Ich würde mir wünschen, dass man diese Debatten in Zukunft mehr professionalisiert und sich nicht so viel im Kreis dreht. Man sollte eine emotionale Distanz einhalten. Wir schaffen keine Safer Spaces, um Menschen zu ärgern, sondern um unsere Kinder zu schützen, sie zu lehren, dass sie geschützt sind und um sie zu empowern.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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