Baustellenchaos im Ferienverkehr
Auf der B96 Richtung Rügen reiht sich aktuell eine Baustelle an die nächste Umleitung. Geschäfte verlieren Kundschaft, Anwohner sind genervt - und ein Kater musste offenbar wegen einer Google-Empfehlung mit dem Leben büßen. Von Karsten Zummack
Schlicht unermüdlich rauscht hier normalerweise der Verkehr vorbei. Der Ort Nassenheide nördlich von Oranienburg ist so etwa die direkteste Verbindung zur Ostsee. Die B96 zählt zu den Hauptschlagadern des Auto- und Lkw-Verkehrs in Brandenburg. Doch dieser Tage bleibt die Hauptstraße nahezu verwaist, es dominieren Baufahrzeuge, Sackgassen- und Einfahrtverbotsschilder.
Auch Jürgen Thiele lebt plötzlich defacto in einer Sackgasse. Wenn der 82-jährige Unternehmer im Ruhestand ins benachbarte Oranienburg will, schafft er das normalerweise in wenigen Minuten. Nun dauert der Weg mal locker eine Stunde. "Es ist natürlich ein mittleres Erdbeben, für die Anlieger schon dramatisch", schimpft Thiele über den Verkehr. Schließlich ist die offizielle Umleitung über Herzberg/Mark und Löwenberg 50 bis 60 Kilometer lang.
Für das Wochenende vom 11. bis 13. August plant der umtriebige Rentner ein riesiges Truckertreffen in Nassenheide. Obwohl die Besucher nur unter erschwerten Umständen anreisen können, denkt er nicht an eine Absage. Schließlich stecken viel Geld, Zeit und Herzblut in den Vorbereitungen. Wer die glitzernden Laster sehen möchte, sollte sich allerdings auf eine längere Anreise einstellen.
Unter Baustellen und Umleitung leiden natürlich viele Unternehmen in der Umgebung. Wenn der Durchgangsverkehr wegfällt, spiegelt sich das in den Umsätzen nieder. Die Bäckerei Plessow in Teschendorf hat erst mal Betriebsferien gemacht, muss nun wahrscheinlich mit kleineren Brötchen vorliebnehmen. Imbissstände, Restaurants, Tankstellen oder Gemüsehändler verbuchen ebenfalls Einbußen.
Betroffen ist auch der Getränkegroßhandel Quak in Teschendorf. Mit seinen zehn Beschäftigten beliefert der Betrieb vor allem Gastronomen in Berlin. Doch das ist durch die weiträumigen Umleitungen im Moment eine große Herausforderung. "Da die Umfahrung einfach zu kompliziert ist, haben unsere Fahrer täglich etwa zwei Stunden längere Arbeitstage", klagt Juniorchefin Sandra Quak. Hinzu kämen ein höherer Spritverbrauch sowie der Verschleiß der Lkw.
An der B96 in Oberhavel gibt es aktuell gerade zwei Baustellen. Die eine wird laut Plan noch bis 1. Dezember abschnittsweise bei Nassenheide und Teschendorf für Vollsperrungen sorgen. Laut Landesbetrieb Straßenwesen ist dort die Fahrbahn verschlissen, Binder- und Deckschicht müssen teilweise erneuert werden. "Wenn wir jetzt noch länger warten würden, wäre der Sanierungsstau noch größer", rechtfertigt die stellvertretende Behördensprecherin Dorothee Lorenz die Baumaßnahmen.
Ähnlich sei es an der zweiten Baustelle auf der B96 in Gransee. Bis Ende August müssen Auto- und Lkw-Fahrer auch hier mit Einschränkungen rechnen.
Doch warum muss das alles in der Urlaubszeit sein, wenn viele auf dem Weg an die Ostsee sind? Das fragen sich viele in der Umgebung. "Wir machen das jetzt in den Sommerferien, damit wir den Schülerverkehr nicht beeinträchtigen. Der hat für uns oberste Priorität", so Lorenz. Dass die Straße teilweise gleich voll gesperrt wird, begründet sie mit der Sicherheit der Bauleute. Für einseitige Arbeiten sei die B96 an den betroffenen Stellen nicht breit genug.
Genervte Schleichweg-Anrainer
Und so bleibt es eben bei weitläufigen Umleitungen. Doch wo ein Wille, ist für viele Autofahrer offenbar auch ein Schleichweg. Sie kämpfen sich — wie von Google Maps oft empfohlen — seit zwei Wochen über eine schmale Straße durch die kleinen Orte Neuhof und Neuendorf. Dabei ist die weder für Durchgangsverkehr noch für einen zweispurigen Betrieb ausgelegt.
Schon jetzt sind Risse und Schlaglöcher zu sehen. Auch ein Kater wurde bereits totgefahren. Besitzerin Chantal Haarbach hat daraufhin eine Bürgerinitiative gegründet.
"Wir machen uns Sorgen, dass es auch mal ein Kind treffen könnte", sagt die Studentin. Sie organisierte am vergangenen Sonntag vor Ort eine Demonstration mit 50 bis 60 Teilnehmern. Die Gemeinde Löwenberger Land hat inzwischen reagiert und die Durchfahrt für Nicht-Anlieger gesperrt. Doch daran halten sich noch längst nicht alle. Die Polizei kontrolliert jetzt verstärkt die Einhaltung der Regelung.
Die Bauarbeiten auf der B96 gehen derweil gut voran. Trotzdem brauchen Anwohner, Ostsee-Urlauber und Pendler für die kommenden Monate starke Nerven. Bis mindestens Anfang Dezember ist noch mit Umleitungen und Sperrungen zu rechnen.
Sendung: rbb24, 29.07.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Karsten Zummack
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