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Audio: Radioeins | 24.07.2023 | Interview mit Derk Ehlert | Quelle: Gemeinde Kleinmachnow/José Maria Galàn/CyberTracker

Rekonstruktion der Geschichte

Die Löwin von Kleinmachnow - oder wie eine Wildsau durchs Dorf getrieben wurde

Etwa 30 Stunden lang wurde in Kleinmachnow nach einer Löwin gesucht, hunderte Polizisten waren im Einsatz, weltweit wurde berichtet. Am Ende soll das Raubtier ein Wildschwein gewesen sein. John Hennig rekonstruiert die Suche nach einem Phantom.

Sie ist schon jetzt der Sommer(loch)star des Jahres: die Löwin aus Kleinmachnow. Dabei ist sie viel mehr: Phänomen, Phantom - und vor allem wohl doch nur ein Wildschwein.

Hunderte Einsatzkräfte suchten zwei Tage lang ein Waldgebiet in und um Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) ab, über die Landesgrenzen hinweg wurde von der Wildtiersuche berichtet, Menschen fragten sich, von wo die Raubkatze gekommen sein mag - doch nun gibt es keine Spur der mutmaßlichen Löwin mehr.

Wie kam es zu dem Großeinsatz - und was bleibt von der Löwin?

Video soll Wildschwein zeigen

Kein einziger Hinweis auf Löwin - Entwarnung nach Suchaktion um Kleinmachnow

Etwa 30 Stunden lang wurde in Berlin und Brandenburg nach einer Löwin gesucht, hunderte Polizisten waren im Einsatz. Am Freitag wurde Entwarnung gegeben. Das Tier sei höchstwahrscheinlich ein Wildschwein, sagen Experten.

Das Video

Auslöser war ein kurzes Video, sechs Sekunden lang, das der 19 Jahre alte Nico M. aus Kleinmachnow in der Nacht zum Donnerstag aufnahm. Es zeigt einen Waldrand, links entfernt sich ein Wildschwein, rechts stöbert ein Tier hinter einem Busch. M. schaltet das Fernlicht an, hält drauf und zoomt heran. Das Tier erscheint hell und bleibt unbeirrt bei dem, was es tut. Es habe "sich komisch verhalten. Es ist trotz relativ lautem Auto und Fernlicht nicht weggerannt", schildert M. dem rbb auf Nachfrage.

In dem Moment sei ihm aber nicht bewusst gewesen, dass es sich um einen Löwen oder Ähnliches handeln könnte. Er hatte zuvor schon Wildschweine gefilmt, postet die Videos in einer Chat-Gruppe von Freunden. "Erst als ich zuhause ankam, habe ich mir das Video genauer angeguckt", ein Freund aus Bayern habe geschrieben "es sei ein Löwe und man sollte die Polizei rufen".

Die Polizei

Die nimmt den Hinweis ernst und kommt sofort, schon wenige Minuten später. "Gegen Mitternacht kam bei uns die Meldung rein, die wir uns alle nicht vorstellen konnten. Da haben zwei Passanten ein Tier gesehen, das einem anderen nachrennt. Das eine war ein Wildschwein und das andere war offensichtlich eine Raubkatze, eine Löwin", sagt Polizeisprecher Daniel Keip am Donnerstagmorgen. Auch erfahrene Polizisten hätten das bestätigt.

M. wird gebeten, das Video einem Beamten weiterzuleiten und "anschließend in Potsdam auf einen Computer der Kripo" zu laden. Dort wird das Video auch auf Echtheit geprüft. Der Brandenburger Polizei liege das Originalvideo vor, bestätigt sie dem rbb. Es gebe "auch nach einer Analyse keine Anzeichen für eine Verfälschung oder Veränderung". In der originalen Audiospur seien "zeit- und situationsgerechte Umgebungsgeräusche zu hören". Der Aufnahmeort konnte durch den Urheber benannt und durch die Polizei eindeutig identifiziert werden. M. und sein Freund, der das Video sofort in der Nacht online stellte, hatten schon vorher am Abend Wildschweine in Kleinmachnow gefilmt. Alles klingt plausibel.

"Entsprechend des gesetzlichen Auftrages wurden sodann die erforderlichen Maßnahmen getroffen", schreibt die Polizei.

Der Einsatz

Nun wird nach dem Raubtier gesucht. In der Nacht sichten Beamte der Polizei auf Streife ebenfalls das wilde Tier. Aus einer Entfernung von etwa 20 bis 30 Metern, wie die Polizei auf Nachfrage schreibt. "Dies und die vorangegangenen Wahrnehmungen der Bürger und der Vorlage des Videos bei der Polizei reichten nach ersten Einschätzungen aus um eine Gefahrenlage für die Bürgerinnen und Bürger anzunehmen."

Es wird weitflächig gewarnt, auch für die benachbarten Gemeinden sowie den Süden Berlins. "Es gab verschiedene Sichtkontakte, so dass wir tatsächlich im Moment davon ausgehen, dass eine Löwin frei durch Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow beziehungsweise den angrenzenden Bereich der Bundeshauptstadt läuft", sagt Keip am Donnerstagmorgen.

Verantwortlich und zuständig für den Einsatz ist die Gemeinde Kleinmachnow. "Als wir die Lage übernommen haben um 9 Uhr, gab es einen Lagebericht der Polizei, darin standen zwei klare Aussagen: Erstens, das Video ist echt. Zweitens, eigene Sichtung der Löwin um 5 Uhr durch unsere Beamten", sagt Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert (SPD).

Die Polizei leistet sogenannte Amtshilfe und unterstützt den Einsatz mit etwa 250 Polizeikräften des Landes Brandenburg - sowie Drohnen und Wärmebildkameras, Hubschraubern und Spezialfahrzeugen. Hinzu kommen noch einige Kräfte aus Berlin, weil das Tier unter anderem auch in Zehlendorf gesichtet worden sein soll. Auch Jäger, Veterinäre und Spurensucher werden gerufen. Doch kein weiterer Hinweis auf die Löwin erhärtet sich. Sie ist spurlos verschwunden.

Am Freitagmittag wird die Suche nach 30 Stunden abgebrochen und die Gefahrenlage aufgehoben. Die Polizei bleibt nach eigenen Angaben dennoch zunächst in der Region Kleinmachnow mit einer verstärkten Präsenz für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort ansprechbar.

Kleinmachnow

Erster Laborbefund bestätigt: Wildschwein statt Löwe

Nach der Suche nach einer vermeintlichen Löwin bei Kleinmachnow wurde die These einer Raubkatze weiter entkräftet. Erste Laboranalysen von Haar und Kot deuten daraufhin, dass es sich um ein Wildschwein gehandelt haben soll.

Die Zweifel

Zwischen die ersten gesicherten Löwen-Sichtungs-Meldungen, auch beim rbb, mischen sich auch schnell erste Fragen und Zweifel. Der Berliner Wildtierexperte Derk Ehlert etwa sagt im rbb: "Es ist schon sehr auffällig, dass an der Stelle, wo das Tier gesehen und gefilmt wurde, nicht mal ein Trittsiegel zu sehen ist. Grundsätzlich kann ein Löwe nicht einfach weg sein, auch so eine Löwin nicht. Sie hinterlässt Spuren."

Vor allem, dass kein Wildschwein-Kadaver gefunden wird, von dem anfangs die Rede war, verwundert. "Ich jage zufällig in der Region selbst und ich weiß, dass die Jäger dort sehr gute Hunde haben. Es ist völlig undenkbar, dass die Hunde nichts gefunden haben, wenn dort tatsächlich ein Wildschwein zerlegt wurde", sagt Achim Gruber, geschäftsführender Direktor des Instituts für Tierpathologie in Berlin.

Kleinmachnows Bürgermeister Grubert betont im rbb, dass er am Donnerstagvormittag aufgrund der Sachlage zunächst keine Zweifel gehabt habe. Die seien dann aber am Nachmittag bei der ersten Analyse gekommen. Daraufhin habe man als Gemeinde Fährten- und Spurensucher beauftragt, das habe sich dann aber hingezogen.

Auch der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Berlin, Rainer Altenkamp, war schon vor der Entwarnung überzeugt, dass es sich bei dem gesuchten Raubtier um ein Wildschwein handelt. "Schon der kurze, herabhängende Schwanz mit etwa zehn Zentimeter langer, locker behaarter Quaste schließt eine Löwin aus", sagte der Wildtier-Experte mit Blick auf die Videoaufnahmen. Die weiteren erkennbaren Merkmale, zum Beispiel der runde Rücken und der längliche Kopf, passten sehr gut zu einem Wildschwein und sprächen gegen ein Raubtier, so Altenkamp.

Die Beweise

Das kurze Video gilt als authentisch. Doch was genau es zeigt, bleibt bis heute offen. Im Laufe des Donnerstags und vor allem Freitags mehren sich die Stimmen, dass es jedenfalls keine Löwin ist.

Am Freitagmittag um kurz nach 13 Uhr schließlich informiert Grubert, dass zwei unabhängige Spurensucher von Cybertracker zu dem Ergebnis gekommen seien, dass auf dem Video eher ein Wildschwein denn eine Löwin zu sehen ist. Auch bei anderen Experten habe man sich zuvor schon Stellungnahmen geholt. "Und damit hatten wir mehrere unabhängige Bestätigungen, dass es sich nicht um eine Löwin handelt." Der Bürgermeister zeigte sich selbstkritisch und sagte der ARD: "Wir haben viel zu spät das Video gemeinsam ausgewertet."

Eine an dem Ort genommene Haar- und Kotprobe weist nach einer ersten Laboranalyse ebenfalls nicht auf einen Löwen hin. So soll etwa das Haar keine Eigenschaften haben, die man von Katzenhaaren kenne. Die untersuchte Kotprobe enthalte einen hohen Anteil von Pflanzenmaterial und stamme somit mutmaßlich nicht von einem fleischfressenden Tier.

Vermeintliche Löwin

Innenminister Stübgen verteidigt aufwändige Wildtiersuche in Kleinmachnow

Die Auswertung

Schnell wird nach dem Einsatz die Frage gestellt, ob der angemessen war. Die Beteiligten um Bürgermeister Michael Grubert sagen unisono: Ja.

Eine Sprecherin der Polizei betont, der Einsatz fand im Rahmen des gesetzlichen Auftrages der Polizei statt und diente der Gefahrenabwehr. "Wir fahren lieber einmal zu viel raus als einmal zu wenig", sagt die Brandenburger Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Anita Kirsten, "es ist unsere Aufgabe, von einem Ernstfall auszugehen, solange eine mögliche Gefahr nicht gebannt oder eine Situation aufgeklärt ist".

Eine Sprecherin der Polizei vergleicht den Einsatz auch mit einem Amok-Alarm, bei dem die Polizei auf erste Hinweise hin sofort tätig werde, zuletzt etwa in Potsdam, auch wenn sie sich dann vor Ort nicht erhärten. Es sei vor allem zu Beginn immer die Frage, ob die Gefahr ausgeschlossen werden könne oder nicht. Hier konnte sie aufgrund des Videos und der vermeintlichen Sichtung durch Beamte nicht ausgeschlossen werden.

Auch Kleinmachnows Bürger:innen äußern, dass es besser war, zu handeln und warnen, als untätig zu bleiben. Tierpathologe Gruber sagt: Die Suche sei eine hervorragende Übung im Zivilschutz gewesen.

Die Kosten

Weil "der Einsatz im Rahmen der Gefahrenabwehr mit der Feststellung abgeschlossen wurde, dass eine Gefahr nicht besteht, werden die Gebühren im Einzelnen nicht berechnet", antwortet eine Sprecherin der Brandenburger Polizei rbb|24.

Die Kosten würden in dem Fall der mutmaßlichen Löwin nur eine Rolle spielen, wenn es sich tatsächlich um eine gehandelt hätte - und ein Eigentümer ermittelt worden wäre. Dann "wären ihm die Kosten in Rechnung gestellt worden", schreibt die Polizeisprecherin. "Dazu hätte die Polizei einen Gebührenbescheid gefertigt." Da das nun nicht der Fall war, könne auch "gegen niemanden die Kosten des Einsatzes geltend gemacht werden".

Bürgermeister Grubert sagte dem rbb, für die Gemeinde Kleinmachnow seien nicht viele Kosten angefallen.

Berlin und Brandenburg

Wildtier-Ausbrüche in der Region: Nicht jede Raubkatze war am Ende keine

Die Löwin von Kleinmachnow hat sich am Ende vermutlich als ordinäres Wildschwein entpuppt. Es gab aber auch schon Exoten in der Region, die wirklich ausgerissen waren. Einer hatte es besonders schwer, sich zu verstecken. Von Simon Wenzel

Die Aufregung

Somit bleibt vor allem die enorme Aufmerksamkeit. Die Löwin von Kleinmachnow ist nicht nur die aktuell - neben Barbie - beliebteste Grundlage für Witze und Memes im Internet, sondern erhält auch einen Ehrenplatz in der Liste der tierischen Legenden in Berlin und Brandenburg.

Er hätte niemals gedacht, dass "ein einfacher Snap an meine Freundesgruppe so ein Ausmaß nimmt", schreibt Nico M. Dabei ging vor allem der Post seines Freundes viral, mehr als eine Million Menschen haben sein Video allein bei Twitter gesehen. Medien aus aller Welt, darunter die BBC, "The Sun" und "New York Times" berichteten.

Kleinmachnow, bislang im Boulevard für die Villen von Bushido und Abou-Chaker sowie Wildschwein-Rotten bekannt, wird nun für lange Zeit eng mit der vermeintlichen Löwin ohne Namen verbunden sein.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 24.07.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von John Hennig

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