Klimaschutz in Potsdam
Starkregenereignisse kennt auch Potsdam zu gut. Die Behörden versuchen, sich darauf einzustellen. In den neuen Außenvierteln der Stadt möchten sie Fehler der Vergangenheit vermeiden. Das Rezept: Entsiegelung. Von Hanno Christ
Das Bild ging um die Welt: Ein Stand-up-Paddler unterwegs auf der Potsdamer Zeppelinstraße. Paddelnd, mit ausreichend Wasser unter dem Brett. 2017 machte dies ein Starkregen möglich – und eine versiegelte Kreuzung in der Innenstadt. Das Regenwasser konnte nicht abfließen, zudem waren die Kanäle für solche Mengen nicht ausgelegt.
Potsdam ist nicht Saragossa, nicht Kassel, nicht das Ahrtal, wo Starkregen in der jüngeren Vergangenheit enorme Schäden anrichteten, Häuser und Autos wegspülten und Menschen starben. Die brandenburgische Landeshauptstadt liegt im Flachland, der Pfingstberg ist die höchste Erhebung, aber frei von Bächen, die sich vom Rinnsal zum reißenden Fluss entwickeln könnten. Die relativ flache Topographie kommt der Stadt entgegen, sie ist umgeben vom Wasser der Havel. Ein ideales Ventil, wenn es doch mal dicke von oben kommen sollte. Und dennoch wappnet sich die Stadt gegen Extremwetter, die durch den Klimawandel immer häufiger vorkommen sollen.
Potsdam hat sich als eine der ersten Kommunen des Landes ein Hitzekonzept gegeben und eine öffentlich einsehbare Starkregenkarte. Dort ist - teils gebäudegenau - vermerkt, welche Bereiche von größeren Wassermassen gefährdet sein könnten und welche nicht – je nach Topographie des Geländes. Bei Starkregen wäre demnach vor allem die westliche Potsdamer Innenstadt gefährdet. Sie liegt in einer Senke. Die Karte ist Teil einer Stadtklimakarte, die die Stadt zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Potsdam im Projekt Ex-Trass erarbeiten ließ.
Dass eine solche Karte öffentlich einsehbar ist, ist für Axel Bronstert keine Selbstverständlichkeit in Deutschland. Der Professor für Hydrologie und Klimatologie an der Universität Potsdam kennt Fälle aus anderen Bundesländern, in denen eine Offenlegung der Regen-Gefahren politisch nicht gewünscht schien. "Wegen der Auswirkungen auf Immobilienpreise ist es nicht beliebt, Überflutungsgebiete öffentlich zu machen."
Nicht so in Potsdam, obwohl auch hier die Immobilienpreise hoch sind. Die Stadt ist neben Würzburg und Remscheid Praxispartner von Ex-Trass, um stadtplanerische Karten zu legen, angepasst an die Herausforderungen der globalen Erwärmung. Die Karten sind auch eine Orientierung für die Feuerwehr- und Rettungseinsatzkräfte, wenn mal wieder ein Unwetter über die Stadt fegen sollte.
Potsdam hat pro Kopf einen der höchsten Grünflächenanteile unter den größeren Städten Deutschlands. Von einer Schwammstadt - einer Stadt, die möglichst viel Wasser aufnehmen kann und nach und nach auch wieder abgibt, ist Potsdam aber weit entfernt. Die Innenstadt ist historisch gewachsen - dicht besiedelt und bebaut. Nach und nach versuchen sie hier, Flächen zu entsiegeln, Frischluftschneisen zu schaffen und möglichst viel Wasser im Boden zu versickern anstatt es über Kanäle abzuleiten. Bebauungspläne schreiben den Bewohnern vor, Regenwasser an Ort und Stelle versickern zu lassen. Das entlastet im Ernstfall das Abwassersystem, vermeidet eine nachträgliche aufwendige Klärung und ist obendrein gut für die Grundwasservorräte.
Während in der Innenstadt nach und nach die Stadt an Extremwetter angepasst wird, versuchen sie in den Neubaugebieten Potsdams, die Fehler der Vergangenheit erst gar nicht zu wiederholen. Ein paar Kilometer nördlich des Kerngebietes entsteht Potsdams neuer Stadtbezirk Krampnitz. Das Areal ist so groß, dass es schon als eigene Stadt durchgehen könnte. Bis zu 10.000 Menschen sollen hier leben und arbeiten. Ab 2024 sollen hier die ersten Bewohner einziehen. Wenn es nach den Vorstellungen der Planer geht, werden die Menschen hier in einer Schwammstadt leben.
Vor der Wende war Krampnitz Kasernengelände der Roten Armee, das Areal großflächig versiegelt damit Panzer und anderes schwere Gerät dort unterwegs sein konnten. Nun reißen Bagger die harten Böden auf, Schuttberge türmen sich meterhoch. Wo es heute noch mächtig staubt, soll morgen Platz für viel Grünfläche sein, Häuser mit Gründächern das Gelände säumen. Neben den militärischen Hinterlassenschaften ist der lehmige Boden eine der wohl größten Herausforderungen. Wie soll hier jemals Wasser versickern können?
Birgit Peseke-Lusti ist Projektleiterin für die Erschließung von Krampnitz und führt Besucher gerne an die sogenannten Regengärten, ein etwa zwei Meter breites, grünes Band, das zwischen Geh- und Fahrradweg und den Straßen verläuft. Die bis zu zwei Meter aufwachsenden Gräser werden vom abfließenden Wasser der Straßen gespeist. In den begrünten Becken kann das Regenwasser entweder verdunsten oder versickern und wird dabei durch das Erdreich gefiltert. Das neue, auffallend parkreiche Viertel ist gespickt mit Mulden und Rigolen. Und wenn es doch mal zuviel regnen sollte, fließt das Wasser in den nahegelegenen Fahrländer See und Krampnitzsee.
Rein rechnerisch, meint Projektleiter Christoph Kasper, kann das neue Viertel eine Menge auffangen. "60 Prozent der anfallenden Regenmenge könnten allein durch Verdunstung wieder dem natürlichen Kreislauf zugeführt werden. Um den Rest muss man sich anderweitig kümmern, zum Beispiel mit Bevorratung in einer Zisterne," so Kasper.
Die neue Bebauung setzt aber auch einige Grundsatzentscheidungen voraus. So sollen in Krampnitz möglichst wenige Autos verkehren. Entsprechend wurden weniger Straßen gebaut. Für die Regengärten wurden die Straßen nicht breiter, sondern sogar schmaler gemacht. Weniger Autos bedeutet auch weniger Versiegelung, dafür mehr Fläche für durchlässige Wege. Wirklich neu sind alle diese einzelnen Maßnahmen nicht, für Potsdam aber dennoch eine kleine Revolution.
"Es ist wie ein Baukastensystem, aber man muss wirklich auswählen, welche Bausteine man nutzt, um hier ein effektives und auch resilientes System zu etablieren", sagt Projektleiter Kasper. Das sei der "innovative Moment" in der Entwicklungsmaßnahme Krampnitz. Kasper sieht aber auch die Gratwanderung, gerade für Projekte der öffentlichen Hand. Alle Systeme auf maximale Starkwetterereignisse auszulegen, sei zu kostenintensiv. Bislang orientieren sich Maßnahmen für Entwässerung und Versickerung an Regenereignissen der Vergangenheit. Maßgeblich sind dabei die letzten fünf Jahre. Doch reicht das für die prognostizierten Herausforderungen der Zukunft, wenn die globale Erwärmung für immer heftigere Wetterereignisse sorgt?
Während sie in Krampnitz Ent- und Bewässerung komplett neu auflegen können, um Puffer zu schaffen, besteht in den älteren Potsdamer Stadtteilen weiterhin hoher Anpassungsbedarf bei gleichzeitig beschränkten Möglichkeiten. Deswegen nun aber mehr und breitere Kanäle anzulegen, hält Potsdams Fachbereichsleiter Klima, Umwelt und Grünflächen Potsdam, Lars Schmäh, nicht für sinnvoll. "Alle Kanäle sind nur für ein fünfjähriges Wiederkehrsintervall ausgelegt. Wenn ich die Kanäle aber größer auslege, führt das im Normalfall auch zu Schäden, zu Problemen, zu Gestank, zu Verstopfungen. Insofern ist es wichtig, viele Grünflächen freizuhalten."
Das größte Risiko seien sich die Menschen letztlich auch selbst, meint Schmäh. Die Bewohner der Stadt könnten helfen, Schäden einzugrenzen, indem sie sich rechtzeitig über Unwetter informieren, Tiefgaragen sichern und wertvolle Gegenstände erst gar nicht in den Keller packen. Das ist auch ein Starkregenkonzept. Und wahrscheinlich auch das unkomplizierteste, das derzeit zu haben ist.
Sendung: rbb24, 13.07.2023, 13:00 Uhr
Beitrag von Hanno Christ
Artikel im mobilen Angebot lesen