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Video: rbb|24 | 19.07.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Quelle: dpa/F. Gambarini

Überweisungen in die Türkei

Wohin flossen die Millionen aus dem Betrug mit Corona-Tests in Berlin?

Rund zehn Millionen Euro soll der türkische Geschäftsmann Kemal C. in Berlin mit erfundenen Corona-Testcentern abgezockt haben. Er flog auf, wurde verurteilt. Aber der Großteil der Beute ist verschwunden. Von O. Mayer-Rüth und O. Sundermeyer

Kemal C. wird voraussichtlich noch jahrelang in Berlin in Haft sitzen. Ende März hat ihn das Berliner Landgericht wegen Millionenbetrugs verurteilt. Der türkische Geschäftsmann soll fast zehn Millionen Euro abgezockt haben, über zum Teil frei erfundene Testcenter und fiktive Corona-Tests. Das Urteil gegen Kemal C. und seine mitangeklagte Schwester ist noch nicht rechtskräftig.

Es steht aber auch die Frage im Raum: Wo sind die Millionen aus dem Berliner Corona-Test-Betrug? Denn der Großteil der Beute bleibt verschwunden.

Eine Spur der Ermittler führt nach Zentralanatolien. Dort ist die Familie von Kemal C. zu Hause, auch sein Vater. Und auf dessen türkisches Konto wurde mutmaßlich das Geld der Steuerzahler für die erfundenen Corona-Tests weitergeleitet. Report München und rbb24 Recherche konnten Bankunterlagen einsehen, die diesen Weg des Geldes nachzeichnen. Für Ermittler ist es ein beispielhafter Fall von "familienbasierter Kriminalität" mit Bezug in die Türkei.

Urteil am Landgericht

Berliner erhält wegen erfundener Corona-Testzentren fast vierjährige Haftstrafe

Ermittler warnten vor Betrug

Dabei war es extrem einfach, an das Geld heranzukommen. Noch bevor die ersten der rund 2.500 Berliner Teststellen in Berlin in der Pandemie an den Start gingen, hatten Fachleute des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) eigenen Aussagen zu Folge davor gewarnt, dass die Abrechnungspraxis für die Corona-Tests über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ein Einfallstor für Betrug riesigen Ausmaßes sein würde.

Einer von ihnen war Kommissariatsleiter Jörg Engelhard, zuständig für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "Druckerpresse", mit der man sein Geld auch gleich selbst drucken könne, denn in der ersten Testverordnung sei eine Überprüfung des Betriebs von Teststellen gar nicht vorgesehen gewesen. Im Interview mit rbb24 Recherche sprach Engelhard in diesem Zusammenhang vor einem Jahr von "staatlichem Organisationsversagen".

Geld von der Kassenärztlichen Vereinigung

Kemal C. nutzte den Ermittlungen zu Folge die Gunst der frühen Coronavirus-Testverordnung. Schon wenig später soll bei ihm die Gelddruckpresse angelaufen sein. Kemal C. habe in einem Online-Verfahren mehrere Corona-Testcenter bei der KV in Berlin registrieren lassen, so das Berliner Landgericht. 18 Testcenter wurden in seinen Spätis im Berliner Stadtgebiet angemeldet: von der Turmstraße über die Schönhauser Allee bis zur Badstraße. Häufig in bester Lage in der Nähe von S- und U-Bahn-Stationen [br.de].

Einige Spätverkaufsstellen wurden schon vor der Pandemie offiziell von zwei bulgarischen Staatsbürgern geführt. Im Betrugsverfahren gegen Kemal C. entpuppten sich die letzteren beiden als Strohleute. Kemal C. selbst war den Ermittlungen zur Folge weder offiziell Inhaber des "Späti-Imperiums", von dem Ermittler sprechen, noch sei er steuerlich in Erscheinung getreten.

Überweisungen gingen in die Türkei

Kemal C. soll nach den Feststellungen des Gerichts Zehntausende fiktive Tests über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) abgerechnet haben, die pünktlich zahlte. Seine Schwester habe ihr Konto zur Durchführung der Tat zur Verfügung gestellt, so das Gericht. Über die Konten der Strohleute Ali A. und Krasimir O. wurden die Millionen dann regelmäßig in die Türkei überwiesen - als Überweisungen zumeist sechsstelliger Beträge: Mal waren es 489.231.80 Euro, mal 389.571,83 Euro. Das geht aus den Banküberweisungen hervor, die das LKA nachvollziehen konnte.

Das türkische Konto gehörte mutmaßlich dem Vater von Kemal C., Mehmet C.. Der deklarierte Verwendungszweck lautete meist "Antigen Schnelltest Kit". Ganz so, als seien für das Geld in der Türkei Schnelltests eingekauft worden. Bis schließlich eine Geldwäsche-Verdachtsmeldung der Zentralstelle für Finanztransaktions-Untersuchungen vom Zoll im LKA-Kommissariat von Jörg Engelhard landete. Dort wurde gezählt und hochgerechnet: auf die Testkapazitäten in 18 Teststellen der Spätis, von denen einige überhaupt nicht existierten.

LKA-Ermittlerin Susann Langner, Mathematikerin und Geldwäscheexpertin, deckte den Millionenbetrug dann innerhalb weniger Monate auf. Das Telefon von Kemal C. wurde dafür zwischenzeitlich abgehört. Es zeigte sich den Ermittlern, dass dieser schon in der Vergangenheit einige Immobilien in Berlin erworben hatte, auch Gewerberäume, in denen auf andere Namen die Spätis betrieben wurden, die ihm aber zugerechnet werden.

Außerdem kaufte er im Namen seines Vaters, Mehmet C., Immobilien. Eine entsprechende Vollmacht liegt Report München und rbb24 Recherche dazu vor. Aus den Ermittlungen geht hervor, wie eng Kemal C. und ein Immobilienmakler miteinander verbunden waren – durch offensichtlich erfolgreiche Geschäfte.

Susann Langner fasst eines der durch das LKA abgehörten Telefonate von Kemal C. zusammen: "In dem Gespräch, das Herr C. mit einem Vertreter einer Immobilienfirma führt, geht es um den Ankauf von Gewerbeimmobilien und von Wohneigentum, welches Herr C. vermieten möchte."

Rund 6,5 Millionen Euro sind weg

Und beim Kauf spielt die türkische Familie von Kemal C. eine wesentliche Rolle. "Herr C. ist ja türkischer Staatsangehöriger, und hat dort offensichtlich auch noch verwandtschaftliche Beziehungen", sagt Langner. "Das Geld wird einer Person mit dem gleichen Familiennamen überwiesen." Alles deutet darauf hin, dass es sich um den in der Türkei lebenden Vater handelt, Mehmet C.. Von ihm weiß die Ermittlerin nur auf dem Papier, über die Vollmacht. Sie weiß nicht einmal, ob er noch lebt.

Mit der Verurteilung von Kemal C. enden ihre Ermittlungen. Rund 6,5 Millionen Euro sind weg.

In Cayinli kennen sie den Vater gut

Aus Bankunterlagen geht hervor, wo der Vater von Kemal C. leben soll: In dem kleinen Dorf Cayinli im Hochgebirge von Zentralanatolien, Landkreis Tomarza - dorthin führt die Spur der Millionen aus dem Coronatest-Betrug.

In Cayinli ist Mehmet C. bestens bekannt. Dass sein Sohn in Berlin im Gefängnis ist, weiß er. Aber mit dem Betrug habe er nichts zu tun, sagt er im Interview. Auch nachdem er mit Kontoauszügen der Überweisungen an ihn konfrontiert wird, gibt er sich ahnungslos. "Es gibt hier kein Geld", sagt er gegenüber Report München und rbb24 Recherche.

In Berlin gehören Mehmet C. offiziell mehrere Immobilien. In der Türkei hat er erst kürzlich ein neues Haus gebaut - ein weiteres neben dem großen, in dem er bereits selbst wohnt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 19.07.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Olaf Sundermeyer (rbb24 Recherche) und Oliver Mayer-Rüth (Report München)

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