Klimastress für Bäume
Dürreperioden sind für Bäume ein existenzielles Problem - mit großen Konsequenzen für die Wälder. In Eberswalde setzen Forscher Bäume gezielt unter Klimastress. Sie suchen jene Exemplare, die Wetterextremen trotzen können. Von Thomas Rautenberg
Das sogenannte Drylab (auf Deutsch: Trockenlabor) am Eberswalder Thünen-Institut ist etwa so groß wie ein gewöhnlicher Kleingarten. Doch statt Tomatenpflanzen, Blumen oder Kartoffeln stehen kleine Baumsetzlinge in Reih und Glied. Etwa 50 Zentimeter hoch, ihre Blätter beziehungsweise Nadeln sind tropfnass vom letzten Gewitterschauer. Eichen, Linden und Tannen – alle wichtigen, einheimischen Baumarten sind auf dem Testgelände vertreten.
Das Freilandlabor ist der Arbeitsplatz von Ökologin Tanja Sanders, die hier die Stressfähigkeit von Waldbäumen erforscht. "Wir schauen, wie die Bäume auf die extreme Trockenheit reagieren. Ob sie noch wachsen und wann sie wirklich absterben", sagt sie. "Im Hintergrund haben wir einige Baumpflanzen, die es im vergangenen Jahr nicht geschafft haben."
Die vertrockneten Jungbäume mit kahlen Zweigen: eigentlich ein besorgniserregender Anblick. Doch im Gegensatz zu den benachbarten Wäldern ist der Dürretod der Baumpflanzen auf dem Drylab-Gelände gewollt, zumindest wird er ganz bewusst in Kauf genommen.
Tanja Sander zeigt auf Betonringe, die in den Boden eingelassen sind. Es sind sogenannte Lysimeter: überdimensionale Blumentöpfe, die bis zum Rand eingegraben sind.
Die Lysimeter sorgen dafür, dass Jungbäume nur mit dem Regenwasser auskommen müssen, das oben in den Brunnenring fällt. Seitlich können sich ihre Wurzeln durch die Betonwand nicht ausbreiten. Die Wurzeln können damit nicht nach weiter entferntem Wasser im Boden suchen und müssen gegebenfalls mit dem Wenigen auskommen, was von oben in den Ring tropft.
Im Grunde gehe es darum, die Jungbäume wissenschaftlich genau dem Stress auszusetzen, der sie bei Wetterextremen auch in freier Natur erwartet - und zu beobachten, wie die Bäume reagieren und welche Exemplare einen Wechsel zwischen Starkregen und krasser Trockenheit verkraften.
"In diesem Frühjahr beispielsweise hatten wir die doppelte Niederschlagsmenge des langjährigen Jahresmittels", erklärt Baumforscherin Tanja Sanders. Im Mai und Juni kam dagegen zunächst fast gar kein Regen herunter, zuletzt folgten dann wieder Gewitterfronten mit Starkregen.
"Dieses ständige Hin und Her beim Wetter hat die gute, alte Eiche offenbar noch am besten weggesteckt", sagt die Ökologin. Die Eiche treibe später aus als andere Baumarten. Sie nutze also auch zu einem späteren Zeitpunkt das Wasser im Boden für ihren Wuchs. "Insofern ist die Eiche ganz gut über die sprichwörtliche Dürre im Mai und Juni dieses Jahres gekommen. Für die Kiefer dagegen, die ganzjährige Nadeln trägt, war der krasse Wetterwechsel Stress pur."
Auch die Fichte leide schon seit Jahren unter der Trockenheit und der Borkenkäfer gebe vielen gestressten Bäumen den Rest, sagt Andreas Bolte, Leiter des Thünen-Instituts für Waldökosysteme. Ähnlich schlecht sei es um die Buche bestellt. Sie habe zunehmend Probleme, mit der Trockenheit und Hitze klarzukommen.
"Neue Studien haben ergeben, dass die Buche ihre Transpiration, also die Wasserabgabe über das Laub, nicht reduzieren kann. Und das wird in trockenen Phasen zu einem Problem. Die Buchen verlieren an Laub und werden schwächer", erklärt Bolte. "Über die feinen Verästelungen in die Kronen dringen dann Pilze ein und schädigen die Bäume weiter."
Verschwinden werde die Buche zwar nicht aus den Wäldern, sagt Bolte weiter. Man könne aber sicher sein, dass ihr Bestand deutlich abnehmen werde. Die Winterlinde verdränge die Buche zunehmend.
Doch selbst wenn die Buchen auf Dauer nicht mit großer Hitze und langanhaltender Trockenheit klarkommen sollten und ihre Anzahl abnimmt - das Ökosystem Wald ist insgesamt widerstandsfähiger als viele denken.
Nach der jüngsten Waldzustandserhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sollen vier von fünf Bäumen krank sein. Lichte Kronen, absterbende Äste oder Insektenbefall sind die ersten Zeichen.
Trotzdem rät Waldforscher Andreas Bolte zu etwas mehr Gelassenheit mit Blick auf die nackten Zahlen. "Die Bäume werden in den kommenden fünf Jahren nicht gleich alle sterben. Sie können sich auch wieder erholen", argumentiert er. "Zumal die Anpassung über weniger Laub oder Nadeln in den Kronen gerade in Zeiten großer Trockenheit auch etwas Gutes haben kann. Wichtig ist vor allem, wie viele Bäume absterben - und da sind wir bei rund einem Prozent."
"Natürlich bieten sich auch für unsere Wälder der Zukunft Baumarten an, die anderswo schon mit ähnlichen Wetterextremen leben gelernt haben", sagt Bolte. So könnten die Atlas-Zeder und die Libanon-Zeder in die Wälder integriert werden. Vorausgesetzt natürlich, die Biodiversität nehme durch Verdrängung keinen Schaden.
Andere Baumarten seien bereits dabei, in die heimischen Wälder hineinzuwandern, sagt der Instituts-Chef weiter. Gemeint sind die ungarische Eiche und auch Balkan-Eiche oder die Orient-Buche, die unter vergleichbaren klimatischen Bedingungen sehr gut gedeihen. Auch die Douglasie habe es längst in unsere Wälder geschafft.
Jetzt, so Bolte, sei es wichtig, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um konkret beobachten und beurteilen zu können, welche Auswirkungen die sich ausbreitenden Baumarten in unseren Wäldern haben. Von vornherein einen Wald zu planen, der theoretisch den klimatischen Bedingungen gewachsen sei, sei nicht möglich - die Unsicherheiten seien zu groß, die Einzelfaktoren in unseren Wäldern zu unterschiedlich.
Zurück zum Freilandlabor, dem sogenannten Drylab, wo Baumforscherin Tanja Sanders einheimische Baumarten unter Trockenstress setzt. Aus den bisherigen Untersuchungen könne man eines nun schon gewiss sagen und für die weitere Forschung ableiten: Eiche und Eiche oder Fichte und Fichte seiene nur auf den ersten Blick gleich.
"Wir wollen die Individuen herausfinden, die mit großer Trockenheit klarkommen und extreme Niederschläge für sich nutzen können", sagt Sanders. "Dafür muss man auf jeden einzelnen Baum schauen." Gibt es einen genetischen Schlüssel, der einheimische Bäume in Dürrezeiten leidensfähiger machen kann? Die Antwort darauf könnte der Fortwirtschaft helfen.
Von Katastrophenszenarien, die ein Ende unserer Wälder voraussagen, halten die Ökologen des Thünen-Instituts nichts. Unser Wald brauche Hilfe, sagt Andreas Bolte, aber mit dieser Hilfe habe er eine gute Chance zu überleben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.07.2023, 6:03 Uhr
Beitrag von Thomas Rautenberg
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