Geothermie für Berlin
Heißes Wasser tief in der Erde – wie sehr kann es helfen, Berlin klimaneutral zu machen? Der Senat will bald bekanntgeben, wo es Probebohrungen für die Geothermie geben soll. Wie groß ist das Potenzial? Von Angela Ulrich und Franziska Hoppen
Auf dem Telegrafenberg in Potsdam, beim Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum (GFZ), greifen zwei Forscherinnen in eine unscheinbare Plastiktüte. Darin: ein dunkler Sandstein, schon leicht zerbröselt. Obwohl er rund 150 Millionen Jahre alt ist, könnte er zur Zukunft Berlins eine Menge beitragen. "Das ist sehr kostbar", sagt Magdalena Scheck-Wenderoth und lächelt. "Denn es ist eben nicht nur ein Stein, sondern ein erbohrter Stein aus einer großen Tiefe, aus einer Bohrung, die sehr viel Geld kostet."
In die Tiefe gehen ist Scheck-Wenderoths Spezialität. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Geo-Chemikerin Simona Regenspurg, untersucht die Geologin, welcher Schatz in der Tiefe unter Berlin und Brandenburg schlummert. Heißes Wasser, das durch tiefe Gesteinsschichten fließt, zum Beispiel in Muschelkalk oder Sandstein, wie dem in der Tüte. Mal einige Hundert Meter tief, mal mehrere Tausend. Dieses Wasser anzubohren und aus den tiefen Schichten hochzuholen, um die natürliche Wärme aus dem Boden zu nutzen, als Geothermie – das könnte bei der Wärmewende in der Region eine Rolle spielen, sagt Scheck-Wenderoth.
Auch wenn die Bohrungen kosten: zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro pro Kilometer. Aber das Potenzial sei da, sagt Scheck-Wenderoth. "Es ist warm im Untergrund, es wird alle 100 Meter um drei Grad wärmer. Diese Wärme ist immer da - und sie ist auch unerschöpflich. Es geht nur darum, die richtige Technologie am richtigen Ort einzusetzen."
Nah an der Oberfläche wird Geothermie in Berlin bereits genutzt, zum Beispiel in Neubaugebieten. 2018 waren bereits mehr als 3.500 Geothermie-Anlagen verzeichnet [geothermie.de]. Unter dem Deutschen Bundestag gibt es einen Erdwärmespeicher und das Berliner Stadtschloss hat ebenfalls eine Geothermie-Anlage.
Noch deutlich tiefer in den Boden zu gehen und Wasser aus mehreren Hundert oder Tausenden Metern hochzuholen, soll nun erprobt werden.
So kann zum Beispiel heißes Wasser aus rund 500 bis 1.000 Metern Tiefe nach oben gepumpt werden, wo ihm die Wärme mit Hilfe eines Wärmetauschers entzogen und diese ins Netz gespeist wird. Das kalte Wasser geht zurück in die Tiefe - und wird wieder aufgewärmt.
Auch überschüssige Wärme, etwa von Solaranlagen oder Blockheizkraftwerken, die im Sommer nicht gebraucht wird, kann durch Geothermie im Boden gespeichert werden, bis sie im Winter wieder gebraucht wird.
Und: Berlin plant drei besonders tiefe Bohrungen, mehrere Kilometer in den Boden, erstmal nur als Test. Das Wasser wäre dort mehr als 100 Grad heiß.
Wo genau diese Probestandorte für Tiefen-Geothermie in Berlin sein sollen, ist noch unklar. Die rot-grün-rote Vorgänger-Regierung hatte das Projekt angeschoben. Die CDU-SPD-Koalition führt es jetzt fort und schreibt in ihrem Sofortprogramm aus dem Juni, dass sie mehr auf Geothermie setzen wolle: "Wir wollen Berlin unabhängig von fossilen Energieträgern machen und frühestmöglich und deutlich vor den bundespolitisch gesetzten Zielen klimaneutral werden", heißt es da. "Dafür erproben wir die Nutzung von Erdwärme durch Tiefengeothermie (…) Noch diesen Sommer werden wir die Pilotstandorte bekannt geben."
Holger Staisch, den Geschäftsführer der Berliner Erdgasspeicher GmbH, interessiert das sehr. Er ist der Herr über den Berliner Gasspeicher nahe des Olympiastadions in Charlottenburg. Dort wurde seit den 1990er Jahren in rund 800 Meter Tiefe in porösem Sandstein überschüssiges Erdgas eingelagert. Feste Tonschichten darüber verhinderten, dass Gas entweicht.
Inzwischen ist das unrentabel geworden, die Bohrlöcher des Speichers werden derzeit verfüllt und zurückgebaut. Aber könnte das Areal nun für Tiefen-Geothermie genutzt werden? "Wir haben an diesem Standort über die vielen Jahre, die wir die Anlage errichtet und betrieben haben, sehr gute Kenntnisse über den Untergrund", sagt Staisch. "Ein Alleinstellungsmerkmal und ein Schatz, den wir besitzen", sagt der Bergbauingenieur.
Ob diese gute Kenntnis helfen wird, damit sich der alte Gasspeicher als Standort für eine der Probebohrungen für Tiefen-Geothermie durchsetzt?
Holger Staisch sieht jedenfalls Potenzial in dieser Technik auf dem Weg in die Klimaneutralität Berlins. Es gebe hier keine Gefahr durch Erdbeben. sagt er. Außerdem müsse man keine Sorge haben, das Grundwasser durch tiefe Bohrungen zu verschmutzen.
Allerdings ist Tiefen-Geothermie eine sehr kostspielige Technik. Damit sie sich lohnt, muss die gewonnene Wärme vor Ort in ein Netz fließen können – oder aus einem Netz überschüssige Wärme zur Speicherung im Boden abgezogen werden können.
All das ist am Standort beim Olympiastadion noch nicht gegeben. "Wir haben hier kein Fernwärmenetz, das in der Nähe ist, an das wir uns anschließen könnten und aus dem wir im Sommer die Wärme entnehmen und im Untergrund speichern könnten", erklärt Staisch. Solaranlagen auf Dächern, vielleicht großflächig auf dem Olympiastadion, könnten das womöglich leisten – aber das ist teuer. "Das ist zurzeit nicht wirtschaftlich attraktiv", sagt Staisch.
Denn am Ende müssten die Kosten auch auf den Verbraucher umgelegt werden. Ebenso aufwändig wäre es, ein Nahwärmenetz zu schaffen, um das besonders heiße Wasser aus mehreren Kilometern Tiefe auf die Häuser in der Nachbarschaft zu verteilen, die auch noch sehr unterschiedliche Bedarfe haben.
Wenn er sich außerdem etwas wünschen könnte, sagt Staisch, dann wäre es eine Versicherung bei den Bohrungen. "Denn es besteht immer das Risiko, dass eine Bohrung nicht fündig wird und das Geothermie-Projekt funktioniert nicht, wie man es auf dem Papier geplant hat. Diese Risiken müssen abgesichert werden." Trotzdem: Geothermie sollte ihr "Mauerblümchen-Dasein" verlieren, sagt Staisch, und "um im Bild zu bleiben, sich Richtung 'Sonnenblume' entwickeln."
Auch für die beiden Geologinnen am Geo-Forschungs-Zentrum in Potsdam hat Geothermie aus der Tiefe in Berlin und Brandenburg Potenzial. Simona Regenspurg sagt, sie freue sich darüber, dass die Forscherinnen jetzt viel mehr angefragt würden, weil Geothermie mehr im Fokus stehe. "Man merkt, dass die Arbeit relevant ist und wir sehr, sehr viel zu tun haben."
Beide wünschen sich, wie sie sagen, dass häufiger nach den Bohrungen auch ein Testbetrieb läuft. Gerade bei den besonders tiefen Bohrungen gebe es noch deutlichen Forschungsbedarf.
Für Magdalena Scheck-Wenderoth aber ist klar: "Wenn wir auch nur einen Bruchteil des Geldes, das wir in die Forschung nach fossilen Rohstoffen oder in die Atomkraft gesteckt haben, in die Geothermie-Forschung stecken würden, dann würden wir da sehr schnell sehr große Fortschritte machen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.07.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Angela Ulrich und Franziska Hoppen
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