Lachgas-Trend in Berlin?
Kurz an dem Ballon gezogen und schon geht's los mit dem Lachflash: Lachgas ist günstig, leicht zu bekommen und legal. Dann ist der Konsum schon ok, könnte man meinen. Die Wahrheit ist jedoch: Lachgas ist gefährlich. Von Kira Pieper
Tiktok ist voll von vermeintlich lustigen Videos: Junge Menschen, die Lachgas konsumieren und sich dann krümmen vor Lachen [tiktok.com]. Aber auf der Plattform kursieren auch Videos, die weniger witzig, dafür aber besorgniserregend sind: Zum Beispiel das einer jungen Frau, die mit der einen Gesichtshälfte lacht, während die andere Gesichtshälfte völlig bewegungslos ist. Weil sie nach dem Lachgaskonsum eine halbseitige Gesichtslähmung hat [tiktok.com].
Das Phänomen Lachgas ist nicht neu. Bereits 1772 wurde es entdeckt, dann wurde es recht schnell in Großbritannien von der Oberschicht auf "Lachgaspartys" konsumiert. Im Lauf der Jahrzehnte ebbte die Begeisterung an dem Stimmungsaufheller immer mal wieder ab und flammte dann wieder auf. Zuletzt in den 1970er-Jahren. Nun erlebt es offensichtlich ein erneutes Comeback.
In Deutschland fällt Lachgas nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, gilt also offiziell nicht als Droge. Damit sind Konsum und Verkauf erlaubt, aktuell gibt es noch nicht mal eine Altersbeschränkung.
Eigentlich heißt Lachgas Distickstoffmonoxid. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beschreibt es in ihrem Drogenlexikon als farblos und süßlich riechend [drugcom.de]. Ursprünglich wurde es im medizinischen Bereich genutzt, um Schmerzen zum Beispiel bei Zahn-OPs oder während der Geburt zu lindern.
Durch die stimmungsaufhellende Wirkung wird Lachgas aber auch als Partydroge genutzt. Einmal an einem Lachgas-Ballon gezogen oder aus einer Sahnespenderkapsel inhaliert und schon versetzt es den Konsumenten nach wenigen Sekunden in einen Rausch. Dieser hält allerdings nur wenige Minuten an.
Hajo Haase, Toxikologe an der TU Berlin, erklärt auf Nachfrage von rbb|24, was beim Lachgas-Konsum im Körper passiert: "Beim Einatmen wird das Gas relativ schnell über die Lunge in das Blut aufgenommen", sagt er. Ab einem Anteil von 90 Prozent in der Atemluft werden Konsumenten bewusstlos. Und das kann schnell passieren: "In der Lunge ist immer nur Platz für eine bestimmte Menge Gas. Wenn die Lunge komplett voll ist mit Monoxid, kann es ein, dass Sie einfach ersticken, weil Sie keinen Sauerstoff mehr einatmen und Sie nur noch Lachgas in der Lunge haben."
Resultat: Es kommt zu Bewusstlosigkeit, durch den Sauerstoffmangel kann das Gehirn geschädigt werden. Auch die BZgA warnt: Bei häufigem Konsum können die inneren Organe und das Nervensystem geschädigt werden.
Mahmud ist Besitzer eines Tabakladens am Görlitzer Park. Seit diesem Februar hat er auch Lachgas im Sortiment. Die Käufer seien sehr jung, sagt er: "Vor allem zwischen 19 und 22 Jahren." Zwar gebe es keine Altersbeschränkung für Lachgas, dennoch lasse er sich den Ausweis zeigen und verkaufe nur an Konsumenten über 18 Jahre. Denn: Er halte Lachgas für schädlich und würde deswegen auch nicht wollen, dass sein kleiner Bruder das nehme.
Mahmud sagt aber auch: "Die zeigen mir ihren Perso, ich verkauf denen das und fertig ist. Dann können die machen, was sie möchten. Das ist deren Sache." Sein Eindruck: Die Nachfrage nach Lachgas steige. Manchmal verkaufe er 20 Lachgasflaschen am Tag, sagt er rbb|24. Manche Konsumenten kämen mehrfach am Tag. Ob er sich erklären könne, warum die Nachfrage so steige? "Wegen Tiktok", antwortet er sofort.
25 Euro kostet die 640-Gramm-Lachgas-Flasche in Mahmuds Laden. Nach Wahl entweder geschmacklos oder mit Kokos- oder Erdbeer-Geschmack. Da schraube man einen Anschluss drauf und könne dann Ballons füllen, erklärt er. Eine Flasche reiche für eine Tüte Ballons.
Viele glauben, dass die Dosierung über Ballons sicher ist. Doch eine sichere Dosierung gibt es nicht, wie es in dem Bericht der Europäischen Drogenstelle EMCDDA von 2022 heißt [emcdda.europa.eu]. Auch Toxikologe Haase warnt: Da die Wirkung nur kurz anhalte, wollen Konsumenten schnell mehr davon. "Und dann kann man relativ schnell in Probleme geraten." Zwar sei keine körperliche Abhängigkeit von Lachgas möglich, sagt der Experte, aber eine psychische.
In dem EMCDDA-Bericht wird der Missbrauch von Lachgas als "wachsendes Problem" in Europa eingestuft. Eine darin aufgeführte Statistik zeigt: Die Anzahl der Schäden durch Lachgas ist seit 2017 sprunghaft angestiegen [emcdda.europa.eu].
Mehrere europäische Länder schätzen die Risiken ebenfalls als bedenklich ein und haben deswegen bereits reagiert. Im Vergleich zu Deutschland sind sie wesentlich strenger beim Umgang mit Lachgas: In den Niederlanden ist es seit diesem Jahr verboten. Auch in Dänemark gelten seit Kurzem strengere Regeln. Und auch Großbritannien diskutiert bereits über ein Verkaufsverbot.
Berlin sieht bisher keinen Handlungsbedarf in Bezug auf Lachgas. Auf Nachfrage erklärte die Berliner Polizei: Es gebe keine Statistik zu Notrufen und Einsätzen in Zusammenhang mit Lachgas. Denn: Grundsätzlich stelle der Konsum von Lachgas zu Rauschzwecken in Berlin kein nennenswertes Phänomen dar, heißt es in der schriftlichen Antwort. Auch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit erklärte rbb|24 auf Nachfrage: Es gebe diesbezüglich keine Statistik.
Sendung: rbb24 Abendschau, 26.07.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Kira Pieper
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