Serie: "Bau fällig" | Das Kathreiner-Haus
Direkt am Kleistpark in Schöneberg steht eines der ältesten Hochhäuser Berlins. Doch seit fünfzehn Jahren ist es weitgehend ungenutzt. Bis die Berliner Justiz einziehen kann, ist es noch ein langer, von denkmalgeschützten Steinen gepflasterter, Weg. Von Simon Wenzel
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 23.07.2023.
Wer die Potsdamer Straße auf Höhe des Kleistparks regelmäßig passiert, muss den eingezäunten Hauseingang des Kathreiner-Hauses früher oder später bemerken. Beste Lage, ein riesiges, altes Bürogebäude, noch dazu in äußerlich akzeptablem Zustand - aber niemand kommt herein, seit Jahren. Am Bauzaun hängen Werbeplakate für Veranstaltungen, teilweise sind sie schon ausgeblichen und zerrissen. Es sind nur die jüngsten Zeichen des Leerstands. Bevor der Zaun kam, war der überdachte Eingang das Zuhause eines Obdachlosen, der sich hier eine kleine Burg aus seinen Besitztümern errichtet hatte.
Seit 2008 steht das Kathreiner-Haus fast vollständig leer. Es gehört dem Land Berlin und soll eigentlich für die Berliner Justiz umgebaut werden. Das Verwaltungsgericht soll irgendwann einmal einziehen.
An der südlichen Seite, zum Kleistpark hin, liegt der eigentliche Haupteingang. Aus dem Ehrenhof wird sichtbar, dass hinter der unscheinbaren Fassade zur Straße ein kleiner Riese in die Höhe ragt: immerhin 46 Meter hoch, erbaut Ende der 1920er-Jahre für den Malzkaffeeproduzenten Kathreiner. Das historische Gebäude war zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung das erste Bürohochhaus Berlins. Die Presse nannte den Bau des Architekten Bruno Paul damals "so etwas wie einen Wolkenkratzer" - auch wenn fast zeitgleich in New York das Empire State Building mit seinen 381 Metern Höhe errichtet wurde.
Heute ist der damalige Glanz nur noch zu erahnen. Die Scheiben der gläsernen Eingangstür sind dreckig. Irgendwer hat Botschaften in den Staub geschrieben: Ein Herz und "Borusia Dortmund". Der Borussia fehlt ein "s", dem Kathreiner-Hochhaus eine Reinigung und erste Fassadenteile: Über der Fensterscheibe klafft eine Lücke in den beigefarbenen Steinplatten. Travertin, ein hellbeiger Kalkstein, verkleidet das gesamte Gebäude. Seit einiger Zeit aber beginnen vereinzelt Teile abzufallen oder herauszustehen. Auch deshalb wurde vor einigen Monaten der Zaun ums ganze Gebäude aufgebaut - aus Angst vor Steinschlag.
Die Staubschicht kleidet auch den Boden im Inneren des Gebäudes. Im Foyer, durch das früher die Mitarbeiter von Kathreiner schritten und später die der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), sollen später mal rund 400 Mitarbeiter des Gerichts und ebenso viele Besucher zusammentreffen. Gerade liegen hier noch ein altes Notausgangsschild und etwas Putz auf dem Boden.
Die Pläne für die Zukunft sind groß. Um das zu verdeutlichen, ist das Erdgeschoss ein guter Startpunkt. Der Besuchereingang zur Potsdamer Straße muss umgebaut werden, er braucht eine Sicherheitsschleuse - das erfordert der Umbau für ein künftiges Verwaltungsgericht. Der Innenhof soll überbaut werden - ein Großprojekt. Dort soll ein 150 Quadratmeter großer Plenarsaal entstehen. Insgesamt müssen für das Gericht 15 kleine und große Sitzungssääle ins Gebäue gebaut werden, bisher gibt es hier fast nur Büros.
Für den Baumanager Heiko Klimek von der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) ist der aufwändige Umbau des Kathreiner-Hauses ein Herzensprojekt, wie er erzählt. "Mein halbes Leben wohne ich in Schöneberg, ich habe meine Joggingrunde hier in der Gegend. Als ich die Chance hatte, bei der BIM dieses Projekt zu übernehmen, habe ich mich darauf beworben", sagt Klimek. Als Architekt sieht er das denkmalgeschützte Gebäude ohnehin mit anderen Augen und schwärmt beim Rundgang immer wieder von kleinen Details, die das Bürogebäude auch heute noch besonders machen.
Schon der Grundriss ist außergewöhnlich: Wie ein "H" sieht das Haus aus der Luft aus. Die beiden langen Seitenflügel, an der Straße und zum Kleistpark hin, haben nur fünf Stockwerke. In der Mitte ragt der doppelt so hohe Hochhaus-Trakt in die Höhe. Eine architektonische Raffinesse, die dafür sorgt, dass das Gebäude von der Potsdamer Straße zunächst nicht sonderlich auffällt, denn seine Front ist nicht höher als die anderer Gebäude in der Umgebung. Elf Stockwerke sind es bis ganz nach oben. Heutzutage nimmt man sie zu Fuß. Von den fünf Fahrstühlen funktioniert nur noch einer und der wurde schon lange nicht mehr gewartet.
Trotz des langen Leerstandes wirkt es in manchen Büros, als müsste nur mal durchgefegt und müssten neue Möbel hineingestellt werden, dann könnte hier morgen schon wieder Betriebsamkeit herrschen. Auf einem Schreibtisch liegt ein Schild mit der Aufschrift: "Bitte etwas Geduld - Bin gleich zurück". Es gehörte wohl mal zu einem Kundenschalter der Berliner Verkehrsbetriebe. Die Tür des Büros hat jedenfalls eine Plexiglasscheibe mit Durchreiche und Sprechstelle. Daneben an der Wand hängt ein Poster mit Urlaubsmotiv - ein Strand, eine Palme, sieht nach Südsee aus. Die einzige Farbe, die dem Bild geblieben ist, ist blau.
Prunkvolle Geländer, Stuck an den Decken oder verschnörkelte Türrahmen gibt es im Kathreiner-Haus nicht. Es war schließlich schon immer ein Bürogebäude. Was auffällt, sind die hellen Flure: Gläserne Oberlichter in den Wänden sorgen dafür, dass das Tageslicht, das in die Büros fällt, auch die Gänge erreicht. "Es ist schön zu sehen, wie das hier damals alles umgesetzt wurde, und wir haben die große Aufgabe, das jetzt in die Zukunft umzusetzen", sagt Heiko Klimek. Ihm gefallen auch die "runden Ecken" besonders, wie er lachend sagt: Einige Büroflure schlängeln sich so in die Seitenflügel.
Das Erbe der Vergangenheit ist allerdings auch ein Problem: Seit 1980 ist das Gebäude denkmalgeschützt. Hier muss seitdem jede Umbau- und Modernisierungsmaßnahme mit dem Landesdenkmalamt verhandelt werden. Wenn es das Amt verlangt, müssten schützenswerte Bauteile, wie die gläsernen Oberlichter, Glasbausteine oder Keramikkacheln in den Wänden und hölzerne Treppenstufen katalogisiert, zwischengelagert und später wieder an ihren alten Platz eingebaut werden. Das ist aufwendig und kollidiert in manchen Fällen mit heutzutage vorgeschriebenen Baurichtlinien.
Die Bürowände beispielsweise sind zu dünn, bieten nur wenig Lärmschutz. Erst Recht, wenn hinter einigen später mal Gerichtsverhandlungen stattfinden sollen. Der Holzboden, der ab der sechsten Etage im Treppenhaus verbaut ist, hält den heutigen Brandschutzauflagen nicht stand und auch für die schöne aber bröckelnde Fassade muss eine Lösung her: Die Travertin-Steinplatten sind einen Zentimeter zu dünn, noch dazu ist das Gebäude nicht ausreichend isoliert.
Für den Umbau des Kathreiner-Hauses sind bisland rund 43 Millionen Euro vom Land bewilligt. Wahrscheinlich wird es mehr kosten, vielleicht sogar deutlich mehr. Auch wenn die BIM das noch nicht genau sagen kann. Nur so viel: "Die ganzen Abstimmungen, die wir jetzt noch treffen, die werden Auswirkungen haben, das können wir im Moment aber noch nicht beziffern", sagt Architekt Klimek. Es ist beispielsweise noch nicht klar, wie mit der Fassadendämmung und den sich ablösenden Steinen verfahren wird. Müssten alle Steine abgenommen und hinterher neu angebracht werden, würde das die Kosten enorm erhöhen.
Es dürfte aber schon ausreichen, dass seit dem Planungsbeginn 2018 die Preise für viele Materialien deutlich gestiegen sind. Alleine das wird wohl dafür sorgen, dass die ursprüngliche Kalkulation nicht zu halten ist.
Mindestens sechs Jahre wird der Umbau noch dauern - wenn alles optimal läuft. Anfang nächsten Jahres sollen die wichtigsten Fragen mit dem Denkmalamt geklärt sein, so Klimek. "Wenn wir dann mit den Abstimmungen fertig sind, brauchen wir noch etwa 16 bis 18 Monate für die reine Planungsphase und 40 Monate Bauzeit", sagt er. Sollte er diesen Zeitplan einhalten, wäre der Bau 2030, genau 100 Jahre nach der ursprünglichen Eröffnung des Kathreiner-Hauses fertig. "Das Gebäude genau dann in seine Zukunft zu überführen wäre natürlich eine schöne Geschichte", sagt Klimek.
Der Vollständigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass schon einmal, im Sommer 2019, ein ähnlicher Zeitplan aufgestellt wurde: Nach dem sollte der Umbau 2024 abgeschlossen werden.
Sie kommen auch oft an einem besonderen, leerstehenden Gebäude vorbei und fragen sich, was es damit eigentlich auf sich hat? Schreiben Sie uns Ihre Vorschläge an internet@rbb-online.de mit dem Betreff "Bau fällig", wir freuen uns über Ihre Anregungen!
Beitrag von Simon Wenzel
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