Weltkriegsmunition
Vor gut einem Jahr kam es auf dem Sprengplatz im Berliner Grunewald zu mehreren Explosionen. Die Anlage soll modernisiert werden - nach dem Vorbild des Sprengplatzes im brandenburgischen Kummersdorf. Von Wolf Siebert
Die "Munitionszerlegebetrieb" mitten im Wald wirkt idyllisch: Es ist sehr still an diesem Tag, nur Vogelgezwitscher ist zu hören. Auf der Anlage in Kummersdorf (Teltow-Fläming) - die zentrale und einzige Anlage dieser Art in Brandenburg - bestimme das Thema Sicherheit den Alltag, erzählt Norman Römer, der Leiter des Betriebs. Hier soll es nicht zu einer verheerenden Situation wie in Berlin kommen können.
Anfang August 2022 gab es auf dem einzigen Berliner Sprengplatz im Grunewald eine Explosion. Dadurch kam es zu einem Brand und zu weiteren Explosionen. Erst nach Tagen konnte die Feuerwehr das Feuer löschen.
Norman Römer ist 49 Jahre alt. 15 Jahre davon war er bei der Bundeswehr und hat auch in Auslandseinsätzen Kampfmittel und Munition beseitigt. Er erklärt, was in Kummersdorf mit Munition, Bomben und Granaten gemacht wird: "Wir sichten das Material noch einmal, dann wird entschieden: Vernichtung durch Sprengung auf dem Sprengplatz oder Zerlegung." Dies bedeute, dass in der Sortierhalle das Material aufgetrennt werde, und wenn kein Sprengstoff drin sei, werde das Metall an Recyclingbetriebe abgegeben.
Aus Sicherheitsgründen darf Norman Römer nur einen kleinen Teil der Anlage zeigen, also nicht den Sprengplatz und auch nicht die Sortieranlage. Dort prüfen Munitionsfacharbeiter, ob die Sprengmittel tatsächlich frei von explosiven Stoffen sind.
Auf einer asphaltierten Straße geht es durch den Kiefernwald. Wie versuchen Norman Römer und seine elf Mitarbeiter genau, ein Brand- und Explosionsunglück wie in Berlin zu verhindern? "Bei uns werden Elektroleitungen jährlich überprüft, und wir suchen auch nach Spuren von Tierfraß." Dadurch sollen Kurzschlüsse, die zu Bränden führen könnten, ausgeschlossen werden. Dem Brandschutz dient auch, dass zivile Pyrotechnik wie Böller in Kummersdorf nur in Ausnahmefällen angenommen wird.
Inzwischen liegt zu den Explosionen im Berliner Grunewald 2022 ein Gutachten vor, das aber nicht öffentlich geworden ist. Nach Auskunft der Berliner Staatsanwaltschaft müssen nun Folgegutachten gemacht werden. Das könnte darauf hindeuten, dass das Brandgutachten keine eindeutige Ursache benannt hat. Nach rbb-Informationen könnte der Ausgangspunkt des Explosionsunglücks in einem Raum gelegen haben, in dem auch zivile Pyrotechnik gelagert wurde. Als Ursache kommt dabei auch ein Kurzschluss infrage.
In den Wochen nach dem Unglück wurde in der Landespolitik intensiv darüber diskutiert, den Sprengplatz im Grunewald zu schließen. Alternativ wurde über die Lieferung von Weltkriegsmunition und Explosivstoffen nach Brandenburg nachgedacht. Diese Idee wurde aber verworfen. Auch deshalb, weil das Sicherheitsrisiko beim Transport zu groß schien. Deshalb werden nun Konzepte erarbeitet, wie man Lagerung und Sprengung von gefährlichen Stoffen im Grunewald sicherer machen kann. Ein "moderner Störfallbetrieb" soll entstehen, solche Anlagen gibt es in Dresden und eben in Kummersdorf.
Mit 16 Hektar ist Kummersdorf um ein Vielfaches größer als die Anlage im Berliner Grunewald. Dadurch gibt es viel Platz, um zum Beispiel Löschwasser vorzuhalten, sagt Norman Römer. "Wir haben vier Zisternen mit je 100 Kubik Wasser, das reicht der Feuerwehr für zwei Stunden, wir haben einen eigenen Saugbrunnen und auch noch einen Feuerlöschanhänger."
Hinter einem hohen begrünten Erdwall liegt der Sprengplatz. Pro Jahr finden hier bis zu vier Großsprengungen statt. Vor dem Erdwall ist ein Wasserteich mit Seerosen. Dies diene in erster Linie der Sicherheit, sagt Norman Römer: "Bei Sprengungen auf dem Sprengplatz entstehen Detonationswellen, die sich unterirdisch ausbreiten und in einigen Hundert Metern wieder austreten können, das heißt: Gebäude könnten einen Stoß bekommen." Die Teiche sollen laut Römer die Detonationswellen brechen und eine Ausweitung verhindern.
Auch die Architektur der Funktionsgebäude wird von Sicherheitsaspekten bestimmt: "Das Haus hat oben Betonplatten, darauf ist nochmal eine zwanzig Zentimeter dicke Sandschicht mit Begrünung", so Römer. Zudem habe das Gebäude eine Skelettbauweise, das heißt: "Das Dach ist separat gelagert. Und innen drin gibt es eine Containerlösung aus Holz mit separaten Einheiten." Falls Schwingungen, zum Beispiel nach Detonationen, auf das Haus treffen, dann reagiere das Haus nicht starr, sondern flexibel, erklärt er weiter.
In einem begrünten Bunker befindet sich eine Schneid- und Trennanlage. Hier werden Granaten mit nicht explosiven Inhalten zersägt. Die Sicherheit der Mitarbeiter stehe dabei an erster Stelle: "Da ist zum einen der Kontrollstand. Von hier aus bedienen Mitarbeiter die Schneid- und Trennanlage, die siebzig Meter entfernt ist. Dann gibt es auch noch ein Kampfstoffspürgerät, weil manche Munitionssorten chemische Stoffe enthalten können." Sollten solche Stoffe austreten, dann seien die Mitarbeiter geschützt.
Norman Römer sagt, dass er die Sicherheit erhöhen will, dazu gehören auch modernere Lagerbunker: "Die Umwallung, die die Detonationswelle nach oben ableiten soll, ist schon da. Dahinter bauen wir jetzt einen Bunker für unsere Zünd- und Sprengmittel, der den alten Bunker aus den 1950er Jahren ablösen soll."
Außerdem will Römer vier neue Brunnen bauen und in den Lagerräumen eine Sprinkleranlage installieren. Die Fläche des Munitionszerlegebetriebs wird zudem verdoppelt und so gestaltet, dass die Anlage auch vor Waldbränden, die von außen kommen, geschützt ist: "Der Außenzaun hat jetzt eine Schneise von vierzig Metern, und daraus wird später eine Waldbrandschneise. Dann soll dort auch noch eine Flächenregenanlage installiert werden." Sollte also in den kommenden Jahren aufgrund der klimatischen Bedingungen ein Waldbrand von außen auf die Anlage zukommen, können die Flammen ohne großen Personaleinsatz minimiert werden."
Auch wenn die Ursachen des Brandes auf dem Sprengplatz im Grunewald immer noch nicht geklärt sind, hat Kampfmittelbeseitiger Römer für seine Anlage Konsequenzen gezogen: "Die Mitarbeiter werden belehrt, sie sollen über die Arbeit, die sie machen, reflektieren, die Lagerorte werden überprüft, und wir werden die Brandschutzmaßnahmen nach vorne bringen." Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen: Hundertprozentig ausschließen ließen sich Explosionsunglücke auf Sprengplätzen nicht. Dazu sei die Alt-Munition zu unberechenbar. Es gehe vor allem darum, das Risiko so gering wie möglich zu halten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.07.2023, 6 Uhr
Beitrag von Wolf Siebert
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