Verletzter nach Aquadom-Unglück
Jorge Marin hatte Nachtdienst im Hotel Radisson, als dort der Aquadom platzte. Mit viel Glück überlebte er den Vorfall, die Feuerwehr befreite ihn aus den Trümmern. Das Geschehene machte ihm lange zu schaffen, erzählt er im Gespräch mit dem rbb.
Am frühen Morgen des 16. Dezember platzte der Aquadom im Foyer des Hotel Radisson an der Berliner Karl-Liebknecht-Straße. Die Wassermassen des riesigen Aquariums schossen in alle Richtungen nach draußen, sie rissen Wände und Trümmer mit sich, 1.500 Fische verendeten. Bis heute ist die Ursache nicht geklärt.
Der 42-jährige Hotelangestellte Jorge Marin befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Erdgeschoss und wurde verletzt. Über das Geschehene sprach er mit dem rbb.
rbb|24: Herr Marin, Sie haben Schreckliches erlebt im Dezember. Wie geht es Ihnen mittlerweile?
Jorge Marin: Es geht mir deutlich besser, seit ich das Hotel verlassen und einen neuen Job begonnen habe. Eigentlich war das Hotel ein richtig angenehmer Arbeitsplatz, meine Kollegen waren top und Klasse. Und ich war richtig motiviert, dort weiterzuarbeiten. Aber es war für mich zu schmerzhaft, jeden Tag diese Erinnerungen an den Unfall zu haben. Ich wollte weg davon. Seit Juli arbeite ich woanders und fühle mich deutlich besser.
Sie hatten Nachtdienst, als es passiert ist?
Eigentlich war das gar nicht meine Schicht. Ich bin spontan eingesprungen, weil eine Kollegin nicht arbeiten konnte. Ich saß im Backoffice-Büro am Computer. Plötzlich habe ich etwas Lautes gehört. Ich bin aufgestanden und wollte in die Lobby. Eine Sekunde später war ich komplett unter Wasser. Es kam zu mir durch die Wand, dann bin ich richtig schnell durch die andere Wand geflogen und im Schokoladenshop nebenan gelandet. Dann lag ich unter allen möglichen Trümmern und konnte mich nicht bewegen - aber ich habe geatmet. All das ging blitzschnell. Ich habe mich ein bisschen gefühlt wie bei einem Surfunfall am Meer in Malaga, woher ich komme.
Wie wurden Sie gerettet?
Ich habe erstmal Ruhe bewahrt, habe ungefähr alle 30 Sekunden nach Hilfe gerufen. Die Feuerwehr war maximal fünf Minuten später da. Sie haben mich gehört und von den Trümmern befreit. Sie haben mich gerettet. Daran erinnere ich mich sehr gerne. Auch an ein absurdes Detail: Ich liebe Schokolade, und habe auf dem Weg zum Rettungswagen aus dem Shop ein Schoko-Bonbon mitgenommen – das war total nass. Die Feuerwehr hat mich zum Ausgang begleitet. Ich erinnere mich, dass es richtig kalt war. Sie haben mir eine kleine goldene Decke gegeben und mich zum Rettungswagen geführt.
Wie lange waren Sie im Krankenhaus?
Fast drei Tage. Im Krankenhaus haben sie mich untersucht, zum Glück war nichts gebrochen. Aber nach einiger Zeit hatte ich überall blaue Flecken vorn und hinten an den Beinen. Ich hatte auch offene Wunden an den Beinen. Zwei Muskeln im Bein waren zerrissen, sie können nicht mehr operiert werden. Ich habe mich fast einen Monat lang gefühlt, als hätte ich überall Muskelkater. Die ersten Wochen konnte ich nicht richtig laufen. Nach vielen Monaten Physiotherapie geht es jetzt besser.
Wie ging es Ihnen psychisch nach diesem Erlebnis?
Psychisch war ich am Anfang nach dem Unfall richtig stark und motiviert. Ich dachte: Ok, das Leben geht weiter, ich habe überlebt, was ist so schlimm? Nach ein paar Wochen hat sich das alles geändert: Ich hatte Schlafstörungen und den ganzen Tag Unruhe.
Das war so eine Achterbahn der Gefühle. Am Anfang war ich richtig glücklich, dass ich lebendig war, dass ich zwar etwas Schreckliches erlebt habe, aber trotzdem am Leben bin. Aber dann irgendwann ging es nach unten.
Ich fühlte mich auch ein bisschen aggressiver. Ich war nicht ich, ich war eine andere Person. Ich bin eigentlich eine nette Person und streite mit niemandem. Aber in diesen Tagen konnte ich mich wegen jeder Kleinigkeit streiten.
Haben Sie Unterstützung bekommen?
Ich habe Hilfe bekommen: Eine Psychotherapie in meiner eigenen Sprache Spanisch. Mit Übungen, mit darüber sprechen – das hat mir richtig geholfen. Es ist ok, über diesen Unfall zu reden - zur Normalisierung des Unfalls. Deswegen mache ich auch dieses Interview.
Aber ich möchte natürlich irgendwann diesen Unfall komplett vergessen. Deshalb will ich nachfragen, ob es möglich ist, diese Narben an den Beinen wegzubekommen. Jeden Tag sehe ich sie, das ist natürlich auch unangenehm. Da hätte ich gerne eine OP.
Hatten Sie jemals Angst, es könnte sich um einen Anschlag handeln?
Nein, ich hatte nie das Gefühl, dass das ein Anschlag war. Ich denke, das war ein Unglück – und eigentlich Glück im Unglück: Die Reinigungsarbeiten sind normalerweise um 5:15 Uhr vorbei, und um 6 Uhr fängt das Frühstück an. Um 5:43 Uhr ist es passiert, das heißt, die Kollegen waren nicht da und ich war der einzige im Backoffice in der Lobby. Zum Glück habe ich überlebt.
Aber es wäre für mich wichtig zu wissen, was die Ursache ist. Wir reden hier über Menschenleben. Ich habe Glück gehabt. Aber ich möchte wissen: Warum ist es passiert, warum habe ich diese Schäden bekommen, wie kann man so etwas in Zukunft vermeiden? Ich würde mich freuen, wenn es darauf eine vernünftige Antwort gibt. Es sollte Licht ins Dunkel gebracht werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Herr, rbb24 Abendschau.
Sendung: rbb24, 25.08.2023, 18 Uhr
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