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Video: rbb|24 | 16.08.2023 | Quelle: rbb

Fragen und Antworten | Selbstbestimmungsgesetz

Was sind trans Menschen und warum bekommen sie ein neues Gesetz?

Das Bundeskabinett hat den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Es gibt viele Vorurteile zu dem Thema und viele offene Fragen. Wir versuchen, die wichtigsten zu beantworten. Von Naomi Donath

Was sind cis Menschen und was sind trans Menschen?

Trans und cis sind keine Wertungen, sondern Beschreibungen verschiedener Erfahrungswelten. Jedem Mensch wird kurz nach der Geburt ein Geschlecht zugewiesen. Cis Menschen können sich mit diesem zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Trans Menschen und nicht-binäre Menschen können sich nicht oder nicht vollständig mit diesem zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Sie werden sich irgendwann bewusst, dass das Geschlecht, das ihnen zugewiesen wurde, nicht oder nicht vollständig für sie passt. Das erzeugt großen Leidensdruck. Daher möchten sie ihren Vornamen und/oder Geschlechtseintrag ändern, sodass er ihrer Geschlechtsidentität entspricht.

Jeder Mensch hat eine Geschlechtsidentität, das heißt, ein inneres Wissen um die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit. Auch cis Menschen haben eine Geschlechtsidentität. Sie müssen sich aber meistens darüber keine Gedanken machen, weil ihre Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen kurz nach der Geburt zugewiesen wurde.

Begriffserklärung

Können jetzt alle, auch cis Menschen, einfach ihren Vornamen wechseln?

Nein. Das Selbstbestimmungsgesetz richtet sich an trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen. Es soll ihnen ermöglichen, ohne psychologische Begutachtung und ohne gerichtliches Verfahren den Vornamen und/oder den Geschlechtseintrag zu ändern. Den Vornamen innerhalb eines Geschlechts zu ändern, zum Beispiel von einem männlich konnotierten zu einem anderen männlich konnotierten Vornamen, ist nach dem Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes nicht erlaubt. Erlaubt sind nur Wechsel zu Vornamen, die geschlechtlich anders konnotiert sind, etwa von männlich zu genderneutral oder von männlich zu weiblich. Für cis Menschen, die ihren Vornamen (oder Nachnamen) ändern möchten, gilt weiterhin das Namensänderungsgesetz von 1938. In diesem Zusammenhang ist in der Regel ein psychologisches Gutachten notwendig, das den Leidensdruck der antragstellenden Person belegen muss. Damit ist allerdings nicht garantiert, dass die zuständige Behörde der Argumentation des Gutachtens folgt und dem Antrag zur Namensänderung zustimmt.

Wie viele Menschen betrifft das Gesetz?

Das Bundesfamilienministerium, das den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz federführend erarbeitet hat, rechnet mit bundesweit 4.000 Anträgen auf Änderung des Vornamens und/oder Geschlechtseintrags jährlich.

2021 gab es bundesweit 3.232 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz. In Berlin waren es 2021 insgesamt 273 Verfahren. In diesen Verfahren können trans Menschen bereits jetzt beantragen, dass ihr Vorname und Personenstand (Geschlechtseintrag) geändert werden soll - allerdings nicht per Selbstauskunft auf dem Standesamt, sondern über ein gerichtliches Verfahren, das psychologische Begutachtungen vorsieht und bei dem es keine Gewähr gibt, dass der Antrag bewilligt wird.

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Könnte das Selbstbestimmungsgesetz von heterosexuellen cis Männern missbraucht werden, um in Frauen-Schutzräume zu gelangen?

Die Frage unterstellt eine missbräuchliche Nutzung des Gesetzes: Cis Männer würden ihren Geschlechtseintrag zu weiblich wechseln wollen, um in Frauenschutzräume einzudringen, zum Beispiel Toiletten, Umkleidekabinen, Duschen. Ein oft diskutiertes Beispiel ist die Frauensauna. Allerdings verweist der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz explizit auf das Hausrecht. Das heißt, die Änderung des Geschlechtseintrags hat keine rechtliche Auswirkung auf den Zugang zu geschlechtsspezifischen Schutzräumen, in denen auch schon jetzt das Hausrecht gilt – etwa zu geschlechtsspezifischen Toiletten und Umkleideräumen sowie zu geschlechtsspezifischen Saunen.

Ermöglicht/erleichtert das Selbstbestimmungsgesetz, dass Kriminelle ihren Vornamen und Geschlechtseintrag missbräuchlich ändern, um einer Strafverfolgung zu entgehen?

Nein. Es ist zwar ein Offenbarungsverbot vorgesehen. Das heißt, dass der frühere Vorname und Geschlechtseintrag einer trans Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden darf - es sei denn, es gibt besondere Gründe des öffentlichen Interesses oder ein rechtliches Interesse. Daher gilt das Offenbarungsverbot nicht für Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitsbehörden. Diese haben Zugriff auf das Bundeszentralregister, das auch frühere Vornamen und Geschlechtseinträge speichert. Somit kann keine Person über eine Änderung des Vornamens oder Geschlechtseintrags einer Strafverfolgung entgehen.

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Ermöglicht / erleichtert das Selbstbestimmungsgesetz Geschlechtsangleichungen, zum Beispiel bei Kindern?

Der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz trifft keine Aussagen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen. Das juristische Geschlecht zu ändern, ist keine medizinische Angleichung. Sondern es ermöglicht trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen, ihren Vornamen und/oder Geschlechtseintrag auf amtlichen und nicht-amtlichen Dokumenten zu ändern, z.B. auf dem Personalausweis, auf dem Reisepass, auf der Gesundheitskarte, auf Verträgen, auf der Geburtsurkunde und anderen Dokumenten.

Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) beschreibt, warum es ein Problem ist, wenn die Dokumente nicht passen: "Jedes Mal, wenn eine transgeschlechtliche Person ihre Legitimität unter Beweis stellen muss und die amtlichen Dokumente noch nicht korrigiert wurden - zum Beispiel bei der Führerscheinkontrolle oder Fahrscheinkontrolle, beim Unterzeichnen eines Mietvertrags oder Abschließen eines Mobilfunkvertrags - dann führt das dazu, dass die transgeschlechtliche Person in äußerst unangenehme Situationen kommt, weil sie sich nicht mit passenden amtlichen Dokumenten legitimieren kann. Und dann muss sie unbeteiligten Dritten ihre Transgeschlechtlichkeit erklären und rechtfertigen."

Worin besteht der Leidensdruck bei trans Kindern?

Kindern wird aufgrund ihrer körperlichen Merkmale ein Geschlecht zugewiesen. Trans Kinder werden sich teilweise schon in der frühen Kindheit bewusst, dass dieses zugewiesene Geschlecht nicht oder nicht vollständig für sie passt. Irgendwann werden sie sich dessen bewusst (inneres Coming-out) und teilen sich dann möglicherweise auch anderen Menschen mit (äußeres Coming-out). Mindestens bis dahin werden sie aber in einem Geschlecht und einer Geschlechterrolle bestärkt, die nicht zu ihrer Identität passen. Dieses Spannungsfeld zwischen einem Verhalten, das die Eltern bzw. Bezugspersonen aufgrund des zugewiesenen Geschlechts erwarten, und dem inneren Wissen des Kindes führt dazu, dass sich trans Kinder falsch fühlen, im eigenen Körper nicht wohl fühlen und das Gefühl haben, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Diese negativen Gefühle werden als Leidensdruck bezeichnet.

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Geschlechtsidentität ist das innere Wissen um die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit. Es ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens in der Medizin und Psychologie, dass nur jeder Mensch selbst weiß und sagen kann, welche Geschlechtsidentität er hat. Geschlechtsidentität ist keine Sache des Gefühls, sondern des (inneren) Wissens. Trans Menschen und nicht-binäre Menschen werden sich teilweise schon in der frühen Kindheit bewusst, welche geschlechtliche Identität sie haben. Geschlechtsidentität hängt mit dem Gehirn zusammen. Deswegen stimmt die geschlechtliche Fremdzuweisung auf Basis von Genitalien, Gonaden oder Chromosomen bei trans Menschen und nicht-binären Menschen nicht.

Jeder Mensch hat eine Geschlechtsidentität, das heißt, ein inneres Wissen um die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit. Auch cis Menschen haben eine Geschlechtsidentität. Sie müssen sich aber meistens darüber keine Gedanken machen, weil ihre Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen kurz nach der Geburt zugewiesen wurde.

Sind trans Menschen psychisch krank?

Nein. Bis Ende 2021 galt, laut dem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation, "Transsexualismus" als Störung der Geschlechtsidentität - und trans Menschen als psychisch krank. Dieses pathologisierende Verständnis von Transgeschlechtlichkeit findet sich auch im Transsexuellengesetz, das seit 1981 gilt: Trans Menschen müssen sich psychologisch begutachten lassen, um ihren Vornamen und Personenstand ändern zu können. Seit Januar 2022 gilt der ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation. Trans gilt nun nicht mehr als psychische Störung, sondern wertungsfreier als "Geschlechtsinkongruenz".

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An welcher Stelle des Gesetzgebungsverfahrens befindet sich das Selbstbestimmungsgesetz?

Am 23. August 2023 hat das Bundeskabinett den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz [bmfsfj.de] beschlossen - nachdem der Termin seit Juni 2023 mehrmals verschoben wurde. Jetzt hat der Bundesrat sechs Wochen Zeit, eine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf zu erarbeiten.

Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig, d.h. der Bundesrat kann es nicht blockieren. Danach kann das Bundeskabinett schriftlich auf diese Stellungnahme reagieren. Erst danach, voraussichtlich im Oktober, wird der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden. Dann kommt die erste Lesung und eine allgemeine Aussprache im Plenum. Dann geht das Gesetz in die Ausschüsse. In der Regel wird dort eine Expert:innenanhörung beschlossen, zu der die Fraktionen einzelne Expert:innen laden können.

Dann können die Fraktionen Änderungsanträge formulieren, die dann im Ausschuss nochmal vordiskutiert und beschlossen werden können. Und am Ende, wenn es eine parlamentarische Mehrheit gibt, kann das Gesetz in einer zweiten und dritten Lesung im Plenum mit möglichen Änderungsanträgen verabschiedet werden. Dann würde das Selbstbestimmungsgesetz zum 1. November 2024 in Kraft treten.

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Warum sind nur Grüne und FDP im Text/Video vertreten?

Das liegt am Stadium des Gesetzgebungsverfahrens: Bisher hat es sich beim Selbstbestimmungsgesetz um einen Referentenentwurf [bmfsfj.de] gehandelt, veröffentlicht am 9. Mai 2023, erarbeitet federführend vom Bundesfamilienministerium (Grünen-geführt) und dem Bundesjustizministerium (FDP-geführt). Mit dem Kabinettsbeschluss vom 23. August 2023 hat sich die Bundesregierung nun auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf [bmfsfj.de] geeinigt. Der Gesetzentwurf ist noch nicht an den Bundestag übergeben worden. Jetzt hat der Bundesrat sechs Wochen Zeit, eine Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf zu erarbeiten. Danach kann das Bundeskabinett schriftlich auf diese Stellungnahme reagieren. Erst danach, voraussichtlich im Oktober, wird der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden.

Tessa Ganserer (Grüne) und Jürgen Lenders (FDP) haben als Bundestagsabgeordnete nichts mit dem Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz zu tun, da dieser von Fachreferent:innen aus den Bundesministerien erarbeitet wurde. Nach eigener Aussage lag ihnen der Referentenentwurf erst am 9. Mai 2023 vor, als er vom Bundesfamilienministerium veröffentlicht wurde. Herr Lenders ist Fachabgeordneter seiner Fraktion zu diesem Themenkomplex. Frau Ganserer hat öffentlich gemacht, dass sie trans ist und sich für ein Selbstbestimmungsgesetz einsetzt.

Transparenzhinweis: Die Autor:in ist Mitglied bei TransInterQueer e.V.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.08.2023, 6:00 Uhr

Beitrag von Naomi Donath

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