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Quelle: imago images/Steinach

Interview | Geübte Aufreißer in Berlin

"Vor Pick-Up-Artists ist man als Frau in keiner Altersklasse sicher"

Sie treiben sich an beliebten Plätzen herum und sprechen scheinbar wahllos Frauen an, um sie abzuschleppen: sogenannte Pick-Up-Artists, neudeutsch für Aufreißer. Dafür besuchen die Männer spezielle Kurse und erlernen Techniken.

"Pick-Up-Artists" - selbsternannte Verführer - sprechen an belebten Orten in Berlin und anderen Städten gezielt und methodisch Frauen an. Um sie ins Bett zu kriegen, setzen die Männer auf emotionale Manipulation. rbb-Reporterin Jule Jank hat sich eingehend mit dem Phänomen beschäftigt.

rbb|24: Jule Jank, Pick-Up-Artists sprechen in aller Öffentlichkeit massenweise Frauen an – in der Hoffnung, dass möglichst eine (oder am besten möglichst viele) mit ihnen im Bett landen. Das ist nicht verboten. Was ist das Problem? Ist nur nervig – oder geht es um mehr?

Jule Jank: Eins der Hauptprobleme ist, dass einfach nicht mit offenen Karten gespielt wird. Außerdem spielt Manipulation eine große Rolle. Der Frau wird vorgegaukelt, dass ihr Gegenüber gerade hin und weg von ihr ist. Eigentlich war sie aber zufällig die nächste Frau, die gerade am Alexanderplatz vorbeikam.

Pick-Up-Szene

Dabei ist es auch spannend zu wissen, dass es in der Pick-Up-Szene drei Eskalationsstufen beim Ansprechen von Frauen gibt: Numbers-Close, Kiss-Close und Fuck-Close. Numbers-Close heißt, man hat die Nummer klargemacht, Kiss-Close heißt, man hat einen Kuss bekommen. Die Erklärung für Fuck-Close erübrigt sich. Es macht aber klar, dass es eher nicht um die große Liebe geht. Ganz im Gegenteil. Das wird den Frauen im Vorfeld aber nicht offen kommuniziert.

Es wird Männern außerdem in dieser Szene eine Rechtfertigung gegeben, gegenüber Frauen übergriffig zu sein. Denn es wird mitunter gesagt, dass ein Nein einer Frau nicht Nein heißen würde. Da heißt es, grundsätzlich würden erstmal alle Frauen "nein" sagen.

Es geht aber nicht darum, etwas gegen den expliziten Willen der Frauen zu tun?

Es geht im Wesentlichen um freiwilligen Sex. Ich habe aber in Pick-Up-Foren schon Beiträge gelesen, bei denen ich denke, dass die Grenzen verschwimmen. Da berichtet beispielsweise ein Mann davon, wie er eine Frau auf einen Tee zu sich nach Hause eingeladen hat. Diese Frau hätte dabei zum Ausdruck gebracht, dass sie nur Freundschaft wolle. Er habe sie dann so lange bedrängt, bis sie doch mit ihm geschlafen hat.

Das hat mich schon geschockt. Und dass auch die Männer wissen, dass sie mitunter an der Grenze agieren, zeigt für mich ein anderer Beitrag, auf den ich gestoßen bin. Da wurde gefragt, wie man es schaffe, eine Frau nach einem One-Night-Stand in einem "möglichst guten Zustand" zurückzulassen, ohne dass sie sich am Ende manipuliert oder vergewaltigt fühle.

Wo lernen die Pick-Up-Artists denn, welche Sprüche sie drauf haben sollten?

Es gibt Pick-Up-Foren, wo sich die Männer zu bestimmen Themen wie beispielsweise dem Ansprechen von Frauen austauschen. Da werden dann auch oft Erfahrungsberichte geschildert. Außerdem gibt es mehrere Whatsapp-Gruppen. Auch für verschiedene Städte oder zu speziellen Themen. Ich habe mich vor einiger Zeit in einer angemeldet, in der knapp 500 Männer drin waren, die sich ausgetauscht und gezielt verabredet haben, um gemeinsam Frauen anzusprechen. Dann sind da noch die sogenannten Flirt-Coaches. Sie bringen den Männern die Strategien bei und begleiten sie auch beim Ansprechen von Frauen.

Wie sehen diese Männer Frauen? Herrscht ein bestimmtes Frauenbild vor?

Da geht es um ein sehr konservatives und sexistisches Frauenbild. Es findet außerdem eine Objektivierung von Frauen statt, indem sie beispielweise auf einer Attraktivitäts-Skala eingeordnet werden. Obwohl sich die Szene offiziell von Frauenfeindlichkeit distanziert, beispielsweise im Pick-Up-Forum, sieht das in der Realität anders aus. In der Whatsapp-Gruppe, von der ich schon berichtet habe, wurden Frauen beispielsweise mit Hunden verglichen. So nach dem Motto: Mit Frauen sei es wie mit Hunden, man müsse sie mit der eigenen Begeisterung verzaubern.

Da wurden sogar Fotos der Frauen herumgeschickt. Teilweise waren die Frauen nackt. Das sollte der Beweis sein, dass man eine Frau "abgeschleppt" hat. Dafür gab es dann auch Anerkennung. Bei den Fotos, die ich gesehen habe, wurde ein Balken über die Augen der unbekleideten Frau gelegt, auch wenn es das nicht besser macht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Frau nicht wusste, dass sie gerade fotografiert wird. Und selbst wenn – dass das Foto in einer Whatsapp-Gruppe mit knapp 500 Mitgliedern landet, wird wohl nicht mit ihr abgesprochen worden sein.

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In dieser Whatsapp-Gruppe musste man sich aber als Mann anmelden?

Man konnte in dem Pick-Up-Forum jemanden anschreiben, das habe ich unter einem Männernamen getan und gesagt, dass ich gern Teil der Whatsapp-Gruppe werden wolle, weil ich mehr über die Szene erfahren möchte. Und schon habe ich einen Einladungslink zugeschickt bekommen.

Welche Männer sind da und auch in der Szene selbst unterwegs?

Darüber habe ich mit dem Psychologen Andreas Baranowski gesprochen. Er hat zur Pick-Up-Szene geforscht. Er sagte, es seien vor allem junge Männer, die nicht sehr erfolgreich in der Liebe und beim Dating gewesen seien. Als die Pick-Up-Szene Anfang des Jahrtausends neu aufkam, seien es eher gebildete Männer gewesen, beschrieb er, weil die Herangehensweise ja eine gewisse strategische Denkweise erfordere. Das habe sich danach aber geändert und mittlerweile seien alle Bildungsschichten vertreten.

Als ich das Thema am Alexanderplatz recherchiert und mir die Szene angeschaut habe, waren die meisten Männer etwa im Alter zwischen 20 und 35.

Ich will auch nicht ausschließen, dass mitunter Männer dabei sind, die sich eigentlich nach der großen Liebe sehnen und die deshalb da mitmachen. Aber die müssen sich ja auch Fragen, ob sie später mit dieser Szene in Verbindung gebracht werden wollen. Vielleicht müssen sie Ihrer Freundin dann irgendwann mal erklären, unter welchen Umständen sie sich eigentlich kennengelernt haben.

Mit welchen Methoden "arbeiten" diese Männer? Es soll ja viel um Komplimente, andererseits aber auch um Beleidigungen gehen. Ist das so?

Die Strategie mit den Beleidigungen gibt es. Sie nennt sich "Push and Pull". Da geht es darum, Komplimente mit Beleidigungen zu mischen. Die Idee dahinter ist, die Frau zu verunsichern, um dann die Oberhand über sie zu gewinnen.

Ich wurde auch so angesprochen. Ein Mann sagte zu mir, ich wäre ihm wegen meiner supersympathischen Ausstrahlung aufgefallen. Er hätte sich aber gedacht, ich wäre bestimmt eine, die nicht oft angesprochen wird. Einer Kollegin ist etwas Ähnliches in der Berliner U-Bahn passiert. Da sagte der Mann, sie sähe gut aus, erinnere ihn an eine gute Freundin – sie sei aber dicker als besagte Freundin.

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Gibt es noch mehr Vorgehensweisen?

Ein Pick-Up-Artist, mit dem ich für eine Radio-Interview gesprochen habe, hat mir erzählt, dass tagsüber Frauen an belebten Orten angesprochen werden. Das heiße "Day Game". Dann gibt es noch das "Night Game". Da sind die Männer in Clubs unterwegs. Oft hat der aktive Pick-Up-Artist auch noch einen "Wingman" dabei. Er soll die Freundinnen der angesprochenen Frau ablenken, während sich der andere an die avisierte Frau heranmache.

Eine weitere Strategie ist, schnell durch gezielten Körperkontakt Nähe herzustellen. Da wird der Frau im Gespräch schon gern umstandslos die Hand auf die Schulter gelegt.

Ein beliebter Gesprächseinstieg scheint außerdem zu sein, den Style der Frau zu loben. Viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe meinten, dass sie auf ihren "coolen Style" angesprochen wurden.

Welche Frauen sind die Zielgruppen dieser Männer?

Meiner Beobachtung nach werden vor allem junge Frauen angesprochen. Aber es sind einfach auch viele recht junge Männer in der Szene unterwegs. Aber während meiner Recherche habe ich auch mit einer Fünfzigjährigen Kontakt gehabt, die schon angesprochen wurde. Ich glaube, vor Pick-Up-Artists ist man als Frau in keiner Altersklasse sicher.

Wie jung sind die angesprochenen Frauen mitunter – auch deutlich minderjährig?

Ich habe beobachtet, dass Pick-Up-Artists tatsächlich darauf zu achten scheinen, dass die Frauen nicht unter 18 Jahre alt sind. Ich habe mehrere Frauen gefragt, nachdem ich gesehen habe, dass sie angesprochen wurden, was die Männer gesagt hatten. Sie haben häufig geantwortet, dass eine der ersten Fragen ihrem Alter gegolten habe. Und wenn die Frau noch nicht 18 Jahre alt war, war der Pick-Up-Artist meist auch sehr schnell wieder verschwunden. Ich kann aber natürlich nicht sagen, ob das wirklich immer so abläuft.

Wie merkt man als Frau am besten, ob das charmante Gegenüber ein Pick-Up-Artist sein könnte?

Man sollte darauf achten, ob vielleicht tatsächlich Komplimente mit Beleidigungen gepaart werden – das ist auf jeden Fall ein Indiz. Aber was auch auffällig ist: Wenn man an einem recht belebten Ort aus dem nichts – ohne, dass es vorher einen netten Augenkontakt oder irgendetwas anderes gegeben hätte – angesprochen wird. Pick-Up-Artists warten nicht auf einen Flirt, der sich nonverbal entspinnt.

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Wie wird man die Männer am besten wieder los – am besten indem man sagt, dass man eine Beziehung habe?

Das ist nicht unbedingt immer zielführend. Ich habe das ein Mal gemacht. Die Antwort des Pick-Up-Artists war denn, dass ich in der Beziehung nicht besonders glücklich sein könne, weil ich mich ja nun schon länger mit ihm unterhalten würde. Auf Sprüche, die ihnen häufiger begegnen, sind die Männer vorbereitet. Am besten klar sagen, dass man dieses Gespräch nicht führen möchte und gehen. Im Zweifelsfall, wenn das nicht hilft, kann man natürlich auch Menschen, die drumherum sind, ansprechen und um Unterstützung bitten.

Ich hatte mir auch überlegt, worauf kein Flirt-Coach und kein Pick-Up-Forum die Männer vorbereitet haben wird. Als mich dann einer von ihnen im Shoppingcenter ansprach und fragte, was ich hier gerade so mache, habe ich gesagt, dass ich auf dem Weg in die Apotheke sei, um ein Mittel gegen meinen aktuell sehr heftigen Vaginalpilz zu kaufen. Der Mann war dann relativ schnell weg. Das mag ein bisschen speziell sein, war aber effektiv.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Beitrag von Sabine Priess

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