Junge Party-Heimkehrer
Erneut bietet Brandenburg Jugendlichen an, die Hälfte der Taxikosten für den nächtlichen Heimweg zu übernehmen. Statt Zettelwirtschaft nun per App. Bisher haben sich Taxifahrer in 26 Städten und Gemeinden registriert. Von Micha Bärsch
"Komm nicht zu spät nach Hause!" Keine elterliche Mahnung wird zuverlässiger mit einem Augenrollen quittiert. Dabei sind die Eltern nicht nur besorgt - oft wollen sie auch einfach nur ins Bett, statt stundenlang auf einen Anruf zu warten, der das Elterntaxi anfordert.
Seit gut einer Woche können Eltern in Brandenburg nun früher und beruhigter schlafen: Mit dem wiederbelebten 50:50-Taxi des Ministeriums für Infrastruktur werden die Hälfte der Taxikosten erstattet, wenn Jugendliche abends von der Party nach Hause wollen. Die andere Hälfte übernimmt das Land, 250.000 Euro stehen bereit. So sollen Jugendliche sicher nach Hause kommen und vor allem: nicht selber Auto fahren.
Das Angebot gilt für 16 bis 25-Jährige, die vergünstigten Fahrten werden Freitag, Samstag und vor Feiertagen zwischen 20 und 8 Uhr angeboten. Zur App kommen Interessiere über die Seite des Ministeriums [www.mil.brandenburg.de].
Ein heißer Renner ist sie noch nicht: Im Google Play Store wird die Download-Zahl eine Woche nach dem Start mit "+100" angegebenen. Der Apple Store zeigt keine Download-Zahl, aber auch hier gibt es noch nicht genügend Feedback, um eine Bewertung im bekannten Sterne-Ranking anzuzeigen. Laut Ministerium haben sich rund 1.000 Nutzer in der ersten Woche registriert.
Doch das wird sich wohl ändern. Die Vorgänger-Version des 50:50-Tickets startete 1995 und wurde laut Ministerium gut genutzt. Dabei musste Interessierte vor dem Wochenende bei der AOK Nordost umständlich Gutscheine erwerben. Dennoch seien pro Jahr rund 30.000 Gutscheine verkauft worden, heißt es vom Ministerium. Auch mehrere Taxi-Unternehmen bestätigten gegenüber rbb|24: Das Angebot kam bei den Jugendlichen sehr gut an.
Dennoch ging im Laufe von 25 Jahren die Nutzung langsam, aber stetig zurück. Zu umständlich war das Gutschein-Modell für die mittlerweile Smartphone-affine Jugend. 2020 liefen dann die Verträge aus.
Ein Neustart via App war in Planung - doch dann kam Corona. Niemand brauchte mehr ein Taxi nach Hause, denn dort war man ja schon. Das Projekt lag auf Eis.
Nun also ein neuer Anlauf. Die Gutscheine aus Papier sind passé - alles läuft ab nun über die App. Sowohl Kunden als auch die Taxizentralen und die Fahrer müssen sich dafür registrieren. Fahrten zum halben Preis können ausschließlich über die App gebucht werden - einfach so vom Straßenrand aus ein Taxi heranwinken gilt nicht.
Bisher haben sich (Stand 9. August) Fahrer aus 26 verschiedenen Orten in der App angemeldet, wie das Ministerium mitteilt. Darunter sind natürlich die Großstädte Cottbus, Frankfurt (Oder), Potsdam und Brandenburg/Havel.
Darüberhinaus ist im Norden Brandenburgs die App auch bei Fahrern in Wittenberge, Pritzwalk, Kyritz, Neuruppin, Templin und Prenzlau freigeschaltet.
In der Mitte des Landes haben sich Fahrer aus Rathenow, Groß Kreutz, Borkwalde, Falkensee, Königs-Wusterhausen, Blankenfelde-Mahlow, Nuthetal, Nauen, Eisenhüttenstadt und Wandlitz registriert.
Im Süden Brandenburgs kann die App außer in Cottbus auch in Bad Liebenwerda, Doberlug-Kirchhain, Lübbenau, Ruhland, Spremberg und Forst genutzt werden.
Unklar ist, wie weit ins Umland die registrierten Taxifahrer zu fahren bereit sind, um den Service auch auf dem Dorf anzubieten. Jeder Fahrer könne in der App selber bestimmen, aus welchem Umkreis er Aufträge annehmen will - und da habe jeder eine andere Schmerzgrenze, sagt Detlev Baatz von der Taxigenossenschaft Potsdam.
Da müssten die Jugendlichen Verständnis haben. Die "können nicht davon ausgehen, dass jemand von sonstwoher kommt, nur um mich zu befördern. Der Fahrer muss schon in der Nähe ansässig sein" - denn die Anfahrt werde nicht vergütet, so Baatz.
Aber auch in den Städten, in denen schon jetzt registrierte Fahrer unterwegs sind, sollten sich Jugendliche auf Wartezeiten einstellen. Zu wenig planbar sind die Nächte für die Taxiunternehmen. "Natürlich sind am Freitag und Samstag mehr Taxen als unter der Woche unterwegs. Aber Potsdam ist nun mal nicht die große Eventstadt wie Berlin", so Baatz. Er schätzt, dass in einer durchschnittlichen Wochenendnacht 15 bis 20 Taxis in Potsdam unterwegs sind - die Zahl der in der 50:50-App registrierten Fahrer taxiert er noch im einstelligen Bereich.
Auch in Rathenow (Havelland) sind Taxen in beiden Nächten verfügbar. "50:50 haben wir jahrelang erfolgreich genutzt", sagt Fred Meier. Auch er sitzt im Vorstand des Taxiverbands Berlin-Brandenburg. "Das war eine tolle Sache und hat immer gut funktioniert". Nun sei es aber ein etwas größerer Aufwand. "Die Taxifahrer müssen aktiv mit der App arbeiten - wir werden nun unseren Mitgliedsbetrieben ans Herz legen, dass sie dies auch machen".
Aber auch er warnt: Natürlich könne es dann zu Wartezeiten kommen. "Unsere Dienstleistung ist nicht planbar - mal passiert fünf Wochen lang nichts, dann strandet irgendein Zug und 30 Leute wollen plötzlich nach Berlin", so Meier.
Auch wenn Samstag bis 3 Uhr und Sonntag bis 5 Uhr Taxen auch auf Abruf bereitstünden - es sei auch in Rathenow besser, ein Taxi vorzubestellen, wenn man die gewünschte Zeit der Heimfahrt schon wisse, sagt Meier. "Schwierig wird es, wenn plötzlich um 3 Uhr auf einen Schlag eine große Gruppe an Jugendlichen zurück nach Hause will. Wir können nicht für eine Stunde den gesamten Fuhrpark losschicken." Unterm Strich habe dies aber vor Corona gut geklappt. Man habe Fahrten bis ins 25 Kilometer entfernte Friesack gemacht, so Meier.
In Brandenburg/Havel sind an den Wochenenden nachts insgesamt fünf bis zehn Taxen unterwegs, wie Adrian Jordanov schätzt, dessen Familie seit 30 Jahren im Taxigewerbe in Brandenburg arbeitet. "Hier sind nachts die Bürgersteige hochgeklappt - das kann schonmal auch eine Stunde dauern, bis ein Taxi kommt", sagt er.
In Forst (Spree-Neiße) wurde das alte Ticket laut David Sommer vom gleichlautenden Taxiunternehmen gut angenommen. Auch am vergangenen Wochenende habe er schon eine Fahrt gehabt, die erfolgreich über die neue App gebucht worden sei.
Doch "die App ist sicher gewöhnungsbedürftig, ich bin mir nicht sicher, ob da alle Taxi-Unternehmen mitmachen", sagt er. Manche in der Branche seien "konservativ und wollen damit nix zu tun haben", sagte Sommer.
Am Wochenende würden mehrere Anbieter auch nachts unterwegs sein. Das sei "größtenteils unproblematisch" - von großen Events mit Stoßzeiten wie dem Rosengartenfest mal abgesehen.
Auch deshalb glaubt Detlev Baatz an die App, wie er sagt. Die von ihm vertretene Taxigenossenschaft Potsdam ist seit 1995 an der Aktion beteiligt und hat nun auch die App in Zusammenarbeit mit dem Ministerium mitentwickelt. Für ihn steckt sie nach einer Woche "natürlich noch in den Kinderschuhen".
Am vergangenen Wochenende war die App zumindest in Rathenow unter den Gästen einer Schülerdisko noch unbekannt. "Ich wohne etwas weiter weg, der letzte Zug fährt bei mir um 23 Uhr - also mir würde sie echt was nützen", sagte Partyteilnehmerin Sarah aus Großwudicke einer rbb-Reporterin.
Und auch ein Vater, der grade sein Kinder abholte, zeigte sich angetan: Es gebe auch Eltern, "die arbeiten im Schichtdienst - da hast du echt Probleme, die Kinder nach Hause zu bekommen. Wenn man da so eine App hat, ist das doch super."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 06.08.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Micha Bärsch
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