Mehrwertsteuer
"To go"-Getränke mit Kuhmilch werden geringer besteuert als solche mit pflanzlichem Milchersatz. Gastronomen hinterfragen den entsprechenden Paragraphen im Steuerrecht, eine schnelle Lösung ist aber nicht in Sicht. Von Simon Wenzel
Trinken Sie ihren Cappuccino mit Hafermilch oder mit Kuhmilch? Für Marco Prüfer und sein "Kiez Kaffee Kraft" in Berlin-Prenzlauer Berg macht die Antwort einen Unterschied von fast 40 Cent aus. Denn so groß ist die Differenz in der Marge zwischen einem Cappuccino mit Kuhmilch und einem mit Hafermilch "To go".
Das ist so, weil Kuhmilch und vegane Alternativen wie Hafermilch oder Mandelmilch unterschiedlich besteuert werden. Kuhmilch ist als Grundnahrungsmittel eingestuft und wird deshalb durch einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz sozusagen gefördert. Statt 19 Prozent wird sie nur mit sieben Prozent besteuert, damit sie günstiger für Verbraucher ist. Auch für viele andere Nahrungsmittel gilt der geringere Steuersatz, beispielsweise für Zucker, Mehl, Gemüse und Obst oder Kaffeebohnen. Für Milchersatzprodukte gilt diese Subvention allerdings nicht, auf sie muss der Standardsatz erhoben werden - also zwölf Prozentpunkte mehr.
Das betrifft vor allem Gastronomen. Cafés und Restaurants dürfen Getränke, die zu drei Vierteln aus Kuhmilch bestehen, beim Außer-Haus-Verkauf nämlich komplett mit dem niedrigeren Mehrwertsteuersatz abrechnen. Der niedrigere Steuersatz von sieben Prozent wird also auf den gesamten Preis eines Cappuccinos berechnet, nicht nur anteilig auf die enthaltene Milch. Wird der Cappuccino allerdings mit Hafermilch zubereitet, sind 19 Prozent Steuern fällig. So kommen schnell beträchtliche Unterschiede zustande. Viele Gastronomen verkaufen die Getränke mit veganen Milchalternativen deshalb teurer.
Im "Kiez Kaffee Kraft" haben sie sich vor etwa einem halben Jahr umentschieden. Cappuccini mit Milchalternativen werden hier jetzt für den gleichen Preis verkauft wie die mit Kuhmilch. Auch wenn die Marge dadurch um 40 Cent sinkt. "Wir wurden immer wieder gefragt, wieso ein Hafermilch trinkender Kunde mehr zahlen müsse, so werde es doch nie einen Wandel hin zur klimafreundlicheren Milch-Alternative geben", sagt Prüfer. Diesen Gedankengang unterstütze er, auch ihm sei das Klima wichtig. Deshalb kosten beide Varianten nun gleich viel.
In dem Prenzlberg-Café hat die Hafermilch längst ihr tierisches Pendant überholt. "Ich mache das jetzt seit zehn Jahren, wir haben früher mit rund 70 Prozent Kuhmilch und 30 Prozent Milchersatz angefangen, mittlerweile haben wir fast 70 Prozent Hafermilch-Anteil bei den Kaffeegetränken", sagt Marco Prüfer. Das könne natürlich an seinem Kiez liegen, denn repräsentativ für ganz Deutschland ist dieses Verhältnis (noch) nicht.
Einen Trend weg von der Kuhmilch scheint es aber schon zu geben. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft erreichte der Konsum von Kuhmilch im vergangenen Jahr ein Rekordtief: "Nur" noch rund 46 Kilo Milch verzehrte der Durchschnittsdeutsche. Gleichzeitig stieg der Import von Pflanzendrinks in den letzten Jahren deutlich.
Die unterschiedliche Besteuerung halten Gastronomen wie Marco Prüfer deshalb nicht mehr für zeitgemäß. "Das Gesetz wurde gemacht, als noch keiner Hafermilch getrunken hat, als sich auch noch keiner übers Klima Gedanken gemacht hat. Ich kann es aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehen, dass wir keine günstigere Grundnahrungsmittelbesteuerung auf Hafermilch haben", sagt Prüfer.
Auch in der Politik sorgt Paragraph 12 des Umsatzsteuergesetzes immer wieder für Diskussionen. Zuletzt reichte die Linke vor einem Jahr im Bundestag einen Antrag zur Änderung ein, in dem es unter anderem auch um die gleiche Besteuerung von Milch und Pflanzendrinks gehen sollte. Er wurde mit deutlichem Votum abgelehnt. Der Bundesrechnungshof empfahl dem Bundestag ebenfalls bereits vor einem Jahr, den Paragraphen "grundlegend zu überarbeiten". Dabei solle es vor allem um Schwachstellen der undurchsichtigen Ausnahmeregelungen gehen. Allerdings raten die Prüfer auch davon ab, weitere Steuersatzermäßigungen einzuführen.
Welche Gründe könnte es überhaupt geben, die eine bevorzugte Behandlung von Kuhmilch gegenüber ihrem ebenfalls längst alltäglichen pflanzlichen Substitut rechtfertigen? Zumindest ernährungswissenschaftlich spricht erstmal viel für die tierische Milch: Betrachtet man die reinen Inhaltsstoffe, so liefert Kuhmilch deutlich mehr wichtige Nährstoffe, zum Beispiel Calcium, verschiedene Vitamie und Eiweiß. Von den pflanzlichen Alternativen kann nur Soja annähernd mithalten, bei allen anderen Milch-Alternativen müssen die wertvollen Nährstoffe künstlich hinzugefügt werden.
In Sachen Klimaschutz fällt die Bilanz allerdings zugunsten der Alternativen aus: Zumindest die Hafermilch ist da um Längen besser als Kuhmilch. Bei ihrer Produktion werden weniger Treibhausgase freigesetzt, es wird weniger Wasser verbraucht und weniger Wasser verunreinigt. In all diesen Kategorien ist die Hafermilch auch den anderen pflanzlichen Alternativen deutlich überlegen, bei Mandel- und Reisdrinks beispielsweise ist kaum ein Vorteil gegenüber der Kuhmilch erkennbar, sie verursachen zwar weniger Treibhausgase, verbrauchen dafür aber deutlich mehr Wasser.
Der Landesbauernverband Brandenburg findet die derzeit bevorzugte Stellung der Kuhmilch gegenüber den pflanzlichen Alternativen deshalb richtig und weiterhin zeitgemäß. Neben dem sozialen Faktor, dass die Menschen preisgünstigen Zugang zu proteinreichen Lebensmitteln haben sollten, gehe es auch um die "Systemleistungen" der Kuh, teilt Geschäftsführer Denny Tumlirsch mit. Die Tiere könnten für den Menschen nicht nutzbare grüne Biomasse veredeln, unter anderem solche, die bei der Produktion von Milchersatzprodukten anfalle. Kuhmilch sei außerdem kulturhistorisch verwurzelt in den mitteleuropäischen Essgewohnheiten. Letzteres Argument ist eines, was auch in den Bundestagsdebatten zu hören ist, wenn das Thema diskutiert wird.
Eine existenzielle Bedrohung für die Milchbauern der Region sieht der Landesbauernverband durch den Vegan-Trend indes nicht. Die Milchproduktion in der Region sei weiterhin am Limit und könne ohnehin die lokale Nachfrage bei weitem nicht decken. Selbst wenn immer mehr Menschen zu pflanzlichen Alternativen greifen, müssten in Brandenburg deshalb also zunächst keine Milchbauern um ihre Einnahmen bangen. Die Hauptverwertung von Milch sei zudem die Herstellung von Käse, was durch die Pflanzendrinks noch nicht gefährdet sei.
In vielen modernen Cafés ist das Thema Klimaschutz allerdings ein wichtiges, der Milchersatz deshalb begehrt. Da war auch die Motivation für einen bundesweiten Protest: Marco Prüfer hat sich mit dem "Kiez Kaffee Kraft" im vergangenen Sommer an einer Aktion beteiligt, die das Tübinger "Südhang"-Café initiiert hat. Symbolisch rechneten über 50 Gastronomen in ganz Deutschland an einem Tag einige Kaffeegetränke mit pflanzlichem Milchersatz falsch versteuert ab - also mit sieben statt 19 Prozent, als wären sie mit Kuhmilch. Anschließend zeigten sich die Gastronomen beim Finanzamt selbst an. Gegen die Nachzahlung (es geht um einen geringen Betrag) sollte dann vor Gerichten Einspruch eingelegt und geklagt werden. Der Plan war, das Thema so vielleicht bis zum Bundesverfassungsgericht zu tragen.
Der Betreiber des Cafés "Südhang" bekam vom Finanzamt allerdings nur ein freundliches Schreiben zurück, wie er der "Süddeutschen Zeitung" berichtete. Deshalb wolle er nun Einspruch gegen seine Umsatzsteuervoranmeldung einlegen und den Fall eben so vor Gericht bringen. Er habe dafür ein Rechtsgutachten erstellen lassen.
Bei Marco Prüfer in Berlin hatte die Aktion im vergangenen Jahr bislang noch gar keine Auswirkung: Er sagt, es sei überhaupt keine Reaktion vom Finanzamt zur Selbstanzeige gekommen und blickt gespannt in Richtung Tübingen. Klar ist aber: Bis sich etwas ändert an der unterschiedlichen Besteuerung, dürften noch viele Cappuccini über den Tresen gehen.
Beitrag von Simon Wenzel
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