Grabungen in der Prignitz
Auf einem Acker in der Prignitz sind wieder Archäologen unterwegs. Sie wollen der Geschichte des sagenumwobenen Königs Hinz weiter auf den Grund gehen. Wie lebten die Menschen damals und gab es eine große Siedlung? Von Björn Haase-Wendt
Mit Pinsel, Spitzkelle und Hacke arbeiten sich zehn Studierende und der Archäologe Immo Heske durch die Grabungsstelle - mitten auf einem Feld bei Seddin in der Prignitz. Er und sein studentisches Team ist vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen. "Unsere Frage ist, wie ist dieses Areal gegliedert, wo standen Häuser, wo gab es Handwerk und wo gab es Plätze, wo vielleicht kultische Dinge aufgeführt wurden", sagt Grabungsleiter Immo Heske.
In den kommenden Wochen soll die Geschichte rund um den Prignitzer König Hinz weiter erforscht werden. Er wurde in der Bronzezeit im sogenannten Königsgrab von Seddin beerdigt. Einem Grabhügel, der schon von Weitem im sonst flachen Land der Prignitz zu sehen ist. Die gut neun Meter hohe und im Durchmesser 64 Meter große Grabanlage wurde 1899 zufällig von zwei Arbeitern entdeckt, als sie Steine für den Chaussee-Bau abtrugen. Der Fund war damals eine Sensation und ist es in Expertenkreisen bis heute.
Denn die Grabanlage gilt als die bedeutendste des 9. Jahrhunderts vor Christi im nördlichen Mitteleuropa. Dafür sorgen auch die damals entdeckten Beigaben: unzählige Bronze- und Tongegenstände, eine Bronzeamphore mit verbrannten Überresten eines Mannes, Keramikgefäße mit Überresten von zwei Frauen, ein Schwert, Messer und zwei Eisennadeln. "Er ist ja in seiner Bestattung sozusagen von allen guten Geistern verlassen, denn drumherum in der norddeutschen Ebene macht man sowas gar nicht", erklärt Archäologe Immo Heske.
Die angehenden Archäologen der Uni Göttingen und Experten arbeiten derzeit an drei Grabungsflächen - mehrere Hundert Meter vom Königsgrab entfernt. Möglich wird das durch eine sechsstellige Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit Unterstützung des Brandenburgisches Landesamtes für Denkmalpflege.
Von Interesse sind jetzt besonders die Tausende Jahre alten Feuergruben. Sie lassen Rückschlüsse auf die frühere Siedlung zu - die bis zu zehn Hektar groß sein könnte: "Wir wollen wissen, wo König Hinz gelebt hat. Gibt es Häuser, die sich durch eine besondere Größe oder andere Dinge auszeichnen? Und dann wollen wir auch wissen, ob der König in seiner Siedlung bestattet wurde oder ob die Bestattung Ausgangspunkt für eine Siedlung war", so Immo Heske.
Bereits im Frühjahr fanden Magnetuntersuchungen auf den Feldern rund um das Königsgrab statt. Entstanden sind Messbilder, die Anomalien im Boden zeigen, die der Grabungsleiter nun in der Hand hält. "Häuser sind in der Prignitz damals in so einer Leichtbauweise entstanden, dass sie in der Magnetik keine Spuren hinterlassen. Dafür sind diese Feuergruben sehr gut zu erkennen."
An drei Stellen wurde der Boden auf jeweils zehn Mal zehn Metern abgetragen. Die Studierenden, wie Franziska Wassmann, legen dort die Feuerstellen und weitere Funde frei: "Man muss schon vorsichtig sein, wenn Steine rausschauen, dass man die nicht aus der Befundsituation reißt. Auch wenn man Scherben findet, muss man aufpassen, dass man sie nicht auf den Müllhaufen schmeißt."
Denn sie könnten mehrere Tausend Jahre alt und ein wichtiger Puzzlestein für die Forschung sein.
Nur wenige Meter neben Franziska Wassmann gibt es kurz Aufregung. Eine Mitstudentin stößt auf mehrere aufgehäufte Steine. Grabungsleiter Immo Heske übernimmt: "Das ist ein Befund, den wir in der Magnetik nicht gesehen haben", sagt er. Darunter könne etwa ein Opfergefäß aus der Bronzezeit sein. "Als Archäologen dürfen wir uns ja auch manchmal etwas wünschen, ob das dann stimmt, wissen wir noch nicht", sagt Heske und lacht. Die Fundstelle wird in den nächsten Tagen gesondert ausgewertet - erst dann ist klar, was sich wirklich unter den Steinen befindet.
Unterdessen macht Leon Dierkes die Drohne startklar. Er ist studentische Hilfskraft und sorgt für die Dokumentation der Grabungen. Die Drohne helfe bei den Einsätzen, sagt er. Denn mit ihr habe man einen kompletten Blick auf das Grabungsfeld und Funde ließen sich leichter erkennen.
Trotzdem wird die Grabungsstelle von den Studierenden zur Dokumentation auch noch per Hand gezeichnet und coloriert. Denn die Grabungen in Seddin dienen nicht nur der Forschung, sondern sind auch eine Lehrveranstaltung. "Man hört das immer erst in der Theorie und das jetzt in der Praxis umzusetzen, finde ich toll", sagt Studentin Franziska Wassmann. "Das findet man nicht in jedem Studiengang."
Während der Untersuchungen werden die Funde in Seddin gleich vor Ort ausgewertet und teils in Labore eingeschickt, etwa die Holzkohle aus den Feuergruben. "Damit können wir sagen, wie sah der Baumbestand und die Umwelt in der Zeit des König Hinz aus", erklärt Archäologe Immo Heske. Außerdem lässt sich durch Untersuchungen ermitteln, aus welcher Zeit die Holzkohle stammt.
Die jetzigen Grabungen laufen bis zum 9. September. Im Oktober gibt es eine dritte Grabungskampagne in diesem Jahr. Dann stehen mögliche Häuser aus der Bronzezeit im Fokus. Bei den derzeit trockenen Böden sind deren Überreste und Pfosten nur schwer bis gar nicht zu sehen. "Es muss schon sehr feucht sein, um Wandgräbchen und Pfosten mit einem Durchmesser von 30 Zentimeter im Boden zu erkennen. Sonst könnten wir eine Grabung am Ostseestrand machen, dann würden genauso viel sehen", erklärt der Archäologe. In vier Jahren wollen die Experten ihre Forschungen zur Siedlung am Königsgrab in Seddin abschließen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 17.08.2023, 16:30 Uhr
Beitrag von Björn Haase-Wendt
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