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Video: rbb24 Abendschau | 15.08.2023 | K. Breinig | Quelle: dpa/P. Zinken

Prozess um getötete Fünfjährige in Berlin

"Sie will wissen, was mit ihrem Kind geschah"

Der Fall löste bundesweit Entsetzen aus: Im Februar wurde ein fünfjähriges Mädchen im Berliner Bezirk Pankow erstochen - offenbar vom damals 19-jährigen Babysitter. Seit Dienstag steht der junge Mann vor Gericht. Von Ulf Morling

Gökdeniz A. sollte am 21. Februar dieses Jahres auf die vier Kinder einer Freundin aufpassen, darunter ihre älteste fünfjährige Tochter. Doch der Besuch eines Kinderspielplatzes im Bürgerpark Berlin-Pankow soll sich zu einer Tragödie entwickelt haben.

Laut Staatsanwaltschaft soll der damals 19-jährige Angeklagte mit der Fünfjährigen vom Spielplatz verschwunden sein und später ohne das kleine Kind zurückgekommen sein. Die alarmierte Polizei suchte gemeinsam mit der Mutter und dem Angeklagten das Mädchen und fand es lebensgefährlich verletzt in einem Gebüsch. Im Krankenhaus starb das kleine Kind.

A. wird festgenommen, am nächsten Tag wird ein Haftbefehl erlassen. Sein Verhalten nach dem Verschwinden des Kindes und mögliche DNA-Spuren an dem Tatmesser sollen Gründe dafür sein.

Gewalttat im Februar

19-Jähriger nach Tod von Mädchen in Berlin-Pankow angeklagt

Nach dem gewaltsamen Tod einer Fünfjährigen in Berlin-Pankow im Februar dieses Jahres hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Die Ermittler gehen davon aus, dass ein 19-Jähriger das Kind erstochen hat. Er stand schon früh unter Verdacht.

Mutter des getöteten Mädchens ist erste Zeugin

"Keine Erklärung! Keine Einlassung!", stellen die beiden Verteidiger des Angeklagten zu Beginn des ersten Prozesstages klar.

Seit seiner Festnahme am Tag der Tötung des Kindes hatte der heute 20-jährige geschwiegen. So legte die Staatsanwaltschaft zum Prozess einen Anklagesatz mit nur sieben Zeilen über den Totschlagsvorwurf gegen den Beschuldigten vor. Bei der Motivsuche tappen die Ermittler bis heute im Dunkeln: Warum tötet ein 19-Jähriger ein kleines Kind mit sieben Messerstichen? Ganz in Schwarz mit einem ebenso schwarzen Kopftuch, das ihr blasses Gesicht noch blasser macht, betritt Sibel C. als erste Zeugin den Hochsicherheitssaal 700. "Ich werde jeden Prozesstag da sein!", sagt die 25-jährige zu den Richtern der Jugendkammer.

Sie wohnte mit ihren vier Töchtern in einer Wohngruppe des Jugendamtes, jetzt noch mit den Zwillingen, die ein knappes Jahr alt sind und der vierjährigen Tochter, die seit dem Tod ihrer Schwester die älteste ist. Die Mutter macht sich Vorwürfe: Insgesamt drei Mal nur habe ihr langjährig Bekannter auf die Kinder aufpassen sollen. An einem Samstag im Januar 2023 habe sie einkaufen müssen. Ihre Kinder hätten schon geschlafen und der Angeklagte habe auf sie aufgepasst. Zu ihrem Geburtstag habe sie einen Wellnessgutschein eingelöst und der Angeklagte habe eine Stunde lang die Mädchen betreut, bis ihre Schwester ihn abgelöst habe. Am Tattag sei sie mit den Kindern und ihm gemeinsam auf den Spielplatz gegangen. Als die Tat geschah, sei sie nur schnell nach oben in ihre "Einrichtung" gelaufen, um Essen zu kochen, damit sie Geld sparte. Dann habe der Sozialarbeiter geklopft - eines ihrer Kinder sei verschwunden.

"Ich wollte dem Angeklagten etwas geben, damit er nicht ganz abrutscht"

Sibel C. wirkt gefasst und stark während ihrer mehrstündigen Aussage im Gerichtsaal. Ab und zu bricht sie in Tränen aus, aber sie schafft es, was viele Opfer von Gewalt und Tod niemals im Gerichtssaal täten: Sie sieht den Angeklagten konzentriert an, spricht, während sie denjenigen ansieht, den sie seit Jahren scheinbar gut kennt und der mutmaßlich ihre fünfjährige Tochter erstochen hat. "Es geht meiner Mandantin nicht um Rache, es geht um echtes Aufklärungsinteresse: Sie will wirklich wissen, was passiert ist. Sie will wissen, was mit ihrem Kind geschah", sagt Rechtsanwalt Rüdiger Portius, der die Mutter als Nebenklägerin im Prozess vertritt.

Die Zeugin erwähnt, dass ihre älteste Tochter am Tattag als einzige nicht mitwollte zum Spielplatz, obwohl sie sich sonst immer so gern bewegt habe. Sie frage sich, warum sie nach oben in die Wohnung gegangen war, um Essen zu kochen und dem Angeklagten, den sie seit langem kennt, ihre vier Kinder überlassen habe. Als sie zurückgekommen sei zum Spielplatz, hätten die Polizei gemeinsam mit ihr und dem Angeklagten ihre Tochter gesucht. A. habe erzählt, das Kind habe auf eine Toilette gewollt, sich danach losgerissen und sei verschwunden.

Berliner Staatsanwaltschaft bestätigt

Gefundenes Messer ist Tatwaffe im Fall von getöteter Fünfjähriger

Dann entdecken Polizisten das fast schon leblose und fast verblutete Kind in einem Gebüsch. Die Mutter sieht im Gerichtssaal wieder den Angeklagten an, der ihre Tochter erstochen haben soll. "Ich bin selbst im Heim groß geworden. Ich wollte dem Angeklagten etwas geben, damit er nicht ganz abrutscht", sagt sie. Sie habe sich um A. wie um ein fünftes Kind gekümmert, habe ihm Essen gekocht, ihm seine Wäsche gewaschen. "Er nannte mich Schwester, fand immer Zuflucht bei mir."

Ihr renommierter Nebenklagevertreter Portius sagt über seine Mandantin: "Sie hat die Verarmung dieses jungen Mannes in ihrer Aussage dargestellt: Sowohl was seine familiäre Situation, als auch seine Situation mit Freunden, die er ja eigentlich garnicht hat, angeht. Das war nicht hasserfüllt."

Beschuldigter war bereits auffällig

Die Jugendkammer wird noch andere Vorwürfe gegen den Heranwachsenden Gökdeniz A. verhandeln: So soll er sich anderthalb Jahre vor der Tötung des Mädchens in einer S-Bahn unter anderem vor einer Frau gemeinsam mit seinem kleinen Bruder entblößt haben. Einige Monate später soll er ohne Führerschein mit einem Auto zwei Unfälle gebaut und geflüchtet sein. Eine Psychiaterin begutachtete den Angeklagten im Vorfeld des Prozesses. Aus Justizkreisen verlautete, dass starke Zweifel danach bestünden, ob der Angeklagte nicht gefährlich für die Allgemeinheit sei und dringender stationärer psychiatrischer Behandlung bedürfe.

16 Verhandlungstage sind derzeit von der 39. Jugendkammer des Berliner Landgerichts für den Prozess geplant. Am 10. November 2023 könnte das Urteil gesprochen werden.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.08.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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