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Video: rbb24 Abendschau | 27.08.2023 | | Quelle: rbb / Sebastian Schneider

Serie "Bau fällig" | Ex-JVA Lehrter Straße

Ehemaliges Frauengefängnis in Moabit: Aus Knast mach Kunst

Seit langem steht das ehemalige Berliner Frauengefängnis in der Lehrter Straße leer. Heute dient es als Drehort für Produktionen wie "Babylon Berlin" oder "Damengambit". Bald sollen die alten Zellenmauern aufgebrochen werden. Von Sebastian Schneider

Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 27.08.2023.

Etwas Kunstnebel, ein paar Scheinwerfer für die nötigen schaurigen Schatten und zwei Statisten in preußischen Polizeiuniformen - mehr war nicht nötig, um die Zwanziger wieder auferstehen zu lassen. In einer Szene von "Babylon Berlin" läuft ein Auftragskiller bei Dämmerung durchs Gefängnistor, vorbei an bestochenen Wachen - er wird einen Häftling zum Schweigen bringen [ardmediathek.de].

Drückt man auf Pause und fährt selber raus nach Moabit, merkt man: Es ist alles noch da. Das graue Stahltor, der Stacheldraht, der spitze Zaun, die vergitterten Fenster - selbst das beklemmende Gefühl, wenn man davorsteht. Die "Nördliche Militärarrestanstalt" und spätere JVA ist mehr als 120 Jahre alt und die längste Zeit davon war sie nur dafür da, Menschen eingesperrt zu halten: preußische Offiziere, Wehrmachtssoldaten, Verbrecherinnen. Bis auf Dreharbeiten steht das denkmalgeschützte Gebäude heute leer. Nun wird es saniert - damit die Tore öffnen können.

Unverkennbar das Eingangstor: In dieser Szene von "Babylon Berlin" betritt der Auftragskiller "Pater" Wilczek das Gefängnis. | Quelle: Frédéric Batier | X Filme | ARD Degeto | sky | Beta

Schnipsel aus rot-weißem Absperrband

Der dreiteilige Komplex aus Gerichtsgebäude, Gefängnisverwaltung und Zellentrakt gehört dem Land Berlin und wird von der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) verwaltet. Wie groß er ist, ahnt man nicht, wenn man daran vorbeispaziert, knapp eine Viertelstunde zu Fuß vom Hauptbahnhof entfernt.

Hinein geht es an diesem Tag durch das frühere Gericht, zuletzt eine Außenstelle des Amtsgerichts Tiergarten. Man steigt über staubige Stufen, nimmt dann den Weg, den Gefangene direkt aus dem Gerichtssaal nahmen - Karl Liebknecht zum Beispiel. Um zwei Ecken geht es in einen Gang über dem Hof entlang, die "Seufzerbrücke" nennen der Architekt Detert Renner und seine Kollegen den Übergang zum Zellentrakt. Es ist bis heute ein düsterer Ort, so bedrückend, wie man es von einem Gefängnis aus wilhelminischen Zeiten erwarten kann - als man Menschen eher in Kerkern kaputtgehen ließ, als daran zu denken, dass sie irgendwann auch einmal wieder in die Gesellschaft zurückkehren würden müssen.

Dieses Haus wirkt verschachtelt, verwinkelt, vergittert, man verliert das Zeitgefühl. Alle paar Meter klebt ein Stück rot-weiß-gestreiftes Absperrband an der Wand, damit man auch wieder hinausfindet - als sei der Weg eine Art Schnitzeljagd. Aber ohne diese Schnipsel wäre man hier schnell verloren.

Gut zum Erschrecken

Etwa 100 Ateliers und Musikprobenräume sollen in dem ehemaligen JVA-Verwaltungsgebäude und dem Zellentrakt entstehen. Noch sind die Fenster mit dunkler Staubschutzfolie verklebt, schummriges, grünes Licht fällt in die Gänge, man kann kaum die Zellennummern lesen. Die Nummer 33 gehörte einer berühmten Gefangenen, die bald keine mehr war, aber dazu später.

Wer hier durchläuft, bemerkt einen eigenartig scharfen Geruch. Das sind PAK, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die Spuren teerhaltigen Klebers, der hier im Boden verwendet wurde - und gesundheitsschädlich, wenn man sie einatmet. Zusammengefasst zwölf Schadstoffe fanden die Fachleute in dem alten Gemäuer. Die werden nun mit großem Aufwand entfernt, abgepackt und verschlossen abtransportiert. In die belasteten Zellenflure kann man gerade nur durch eine Lücke in der Schutzfolie gucken: Um weiter zu gehen, bräuchte man einen Ganzkörperschutzanzug samt Maske. Gerade ist Pause. Der dunkle Flur mit den geöffneten Zellentüren ist menschenleer. Man kann hier gut jemanden erschrecken.

"Eins der spannendsten, aber gleichzeitig schwierigsten Projekte": Der Architekt Detert Renner. | Quelle: rbb / Sebastian Schneider

Zwei Zellen, ein Probenraum

Der Architekt Renner, ein schmaler, ganz in schwarz gekleideter Mann, sagt: "Es ist eins der spannendsten, aber gleichzeitig eins der schwierigsten Projekte, an denen ich je gearbeitet habe." Durch den Denkmalschutz sei Zurückhaltung gefordert, das Ziel sei, alle Anpassungen erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Grob gesagt: Ein Knast soll es nicht mehr sein, aber man muss an jeder Ecke erkennen können, dass es einer war.

Immer zwei Zellen werden zu einem Probenraum zusammengelegt, der Kompromiss mit dem Denkmalamt: Ein Gitterfenster muss so bleiben, eines darf vergrößert werden. Die Gefängnismauern haben hier einen Vorteil: Sie sind so dick, dass der Schallschutz kein Problem ist - deshalb sollen die Räume auch rund um die Uhr zugänglich sein dürfen. Weil auf die schadstoffbelasteten Böden Gussbeton kommt, wird es aber drinnen hallen wie blöde. Deshalb bekommt jede Doppelzelle noch Akustikpaneele, um den Klang zu verbessern.

Wenn alles fertig ist, sollen die Räume zwischen 4,09 und 6,50 Euro Warmmiete pro Quadratmeter kosten. Vergeben werden sie im Auftrag des Senats [kulturraum.berlin]. Drei der etwa 120 Zellen müssen originalgetreu konserviert werden, fordert der Denkmalschutz. Ob Besucher diese dann auch betreten oder gar mit Informationstafeln etwas über die Gefängnisgeschichte erfahren können - davon war erstmal keine Rede. Dabei könnten diese Mauern viel erzählen.

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Bis zu 167 Gefangene - erlaubt wären höchstens 126

Eröffnet wird der Backsteinbau 1902 als preußisches Militärgefängnis. Ab Mai 1949 ist er eine von zwei Westberliner Frauenhaftanstalten - die in Friedrichshain ist durch die Teilung der Stadt passé.

In den 1970ern pfercht die Justiz hier zeitweise bis zu 167 Frauen ein, erlaubt wären maximal 126. Untersuchungs- und Strafgefangene müssen in gemeinsamen Zellen leben, Nicht-Abhängige und Abhängige - im Durchschnitt sind es etwa 30 heroinsüchtige Frauen, die man nach einem ersten Entzug im Haftkrankenhaus nicht weiter behandelt. Es gibt Hungerstreiks und Übergriffe, die Häftlinge bewerfen JVA-Mitarbeiterinnen mit Gläsern, Aschenbechern und Eiern. Einmal in der Woche kommt für ein paar Stunden eine externe Psychologin - für das Personal. "Ich kann noch nichts dazu sagen, wie ich mich selber verhalten werde. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es physisch durchhalten werde", sagt die letzte verbliebene Sozialarbeiterin einer Radioreporterin damals. Ihre Kollegen haben aufgegeben.

"Können Sie Ihre Kinder ab und zu sehen?"

Die Gefangenen leisten monotone Akkordarbeit. Sie kleben Tüten zusammen, knüpfen Gardinen. Andere arbeiten in der Wäscherei oder Küche. "Können Sie Ihre Kinder ab und zu sehen?", fragt die Rias-Reporterin eine Gefangene bei einem Besuch im Jahr 1971. "Ja. Alle Vierteljahre dürfen wir hinfahren. Ins Heim", antwortet die Frau. Sie sei selber auch im Heim aufgewachsen. Alle paar Wochen könne sie auch ihren Lebensgefährten besuchen. Der sitze in Tegel im Knast.

Diebinnen, Betrügerinnen, Kindesmörderinnen treffen hier aufeinander, Ausländerinnen in Abschiebehaft, Frauen die sich laut der Aufzeichnungen "Fremdabtreibungen" schuldig gemacht haben. Mitte der Siebziger sind es auch zwölf Terroristinnen der RAF und der "Bewegung 2. Juni". Da ist der Knast schon längst über seinen Zenit. Justizbedienstete warnen, dass Zellentüren und Gitterstäbe locker säßen, mehrere Überwachungskameras bedenkliche tote Winkel hätten, Häftlinge problemlos miteinander kommunizieren könnten. Keiner nimmt sie ernst.

Zweimal Flucht aus der gleichen Zelle

Im Juni 1973 flieht die Gefangene Inge Viett zusammen mit zwei Komplizinnen. Mit einer eingeschmuggelten Feile durchsägen sie das Gitter des Fernsehraums im ersten Stock und seilen sich mit zusammengeknoteten Bettlaken zur Lehrter Straße ab. Viett, Mitglied der linksradikalen Terrorgruppe "Bewegung 2. Juni", überfällt danach als erstes ein Waffengeschäft. Sie beteiligt sich an der versuchten Entführung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann. Von Drenkmann wird erschossen. Durch die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz können Viett und ihre Komplizen mehrere Terroristen aus der Haft freipressen. Viett wird erst mehr als zwei Jahre später festgenommen und kommt wieder in die gleiche Zelle in der Lehrter Straße zurück - Nummer 33. Aber lange bleibt sie nicht.

Im Juli 1976 gelingt ihr erneut die Flucht - diesmal mit drei anderen Terroristinnen. Wieder geraten sie über ein Seil aus verknoteten Laken auf die Straße. Bevor sie verschwinden, werfen sie noch Krähenfüße auf den Asphalt. Drei Streifenwagen bleiben mit platten Reifen stehen. Der Berliner Justizsenator muss zurücktreten. Viett wird nicht mehr gefasst, sie setzt sich später in die DDR ab.

Neun Jahre betreibt der Senat das Frauengefängnis noch, aber es geht nur noch um eine bessere Alternative. 1985 werden die Gefangenen in die neue JVA in Charlottenburg verlegt. Bis 2012 fungiert das Fossil in der Lehrter Straße dann noch als Außenstelle von Plötzensee, für weniger gefährliche Täter mit kürzeren Strafen. Man will nichts mehr riskieren.

"Ort der Kreativität": Die BIM-Baumanagerin Nurgül Karakurt. | Quelle: rbb / Sebastian Schneider

Bleigrauer Himmel über Stacheldrahtrollen

Danach wird das Gebäude leergezogen - und bald darauf von Scouts entdeckt: Steven Spielberg und Tom Hanks drehen hier, der deutsche Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff, die Regisseure der Netflix-Serie "Das Damengambit". Ach ja, auch für "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" werden die Stahltore mal geöffnet. Dass die Kamera diesen Ort liebt, versteht man schnell.

Nehmen wir den ehemaligen Sporthof: In der Ecke sitzt ein Bauarbeiter, der raucht und schweigt. Das Grün auf dem Tartanboden kann man nur noch erahnen, es ist durchzogen von schwarzen Dreckschlieren. Der Basketballkorb hängt schief, aber die Dreierlinie erkennt man noch. Hier ein paar Würfe nehmen? Es juckt in den Fingern - aber wäre schon auch ein Klischee. Mehrere Meter hohe Backsteinmauern auf der einen Seite des Platzes, eine dunkelrote Klinkerfassade mit Einschusslöchern auf der anderen. Alle Fenster sind vergittert. Bleigrauer Himmel über Stacheldrahtrollen. Wieder so eine Kulisse, direkt wie für eine Knastserie zusammengezimmert.

Aber das hier war eben echt. Frauen, denen man ihre Säuglinge noch im Haftkrankenhaus wegnahm und sie in ein Kinderheim brachte. Süchtige, die ihren Stoff in Plastikpäckchen direkt über die Gefängnismauer geworfen bekamen. "Dieses Gebäude hat Ängste erzeugt, das Gefühl: Ich will nichts damit zu tun haben", sagt die Baumanagerin Nurgül Karakurt, die das Projekt für die BIM betreut. "Jetzt machen wir es zu einem Ort, der sich der Gesellschaft öffnet, einen Ort der Kreativität." Die Gefängnistore sollen geöffnet bleiben, so dass hier anders als früher jeder herein- und herausspazieren kann. Im Innenhof könnte man Sitzgelegenheiten aufstellen und ein Café einrichten, sagt Karakurt. Es solle auch ein Ort für die Nachbarschaft werden. Die Einschusslöcher in der Fassade sind übrigens aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie müssen genau so erhalten werden. Der Denkmalschutz.

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Zwei Gebäude werden saniert, das dritte Projekt ist erstmal auf Pause

Der Zellentrakt und das Verwaltungsgebäude werden schon saniert, der dritte und letzte wäre das frühere Gericht. Hier könnte sich die BIM Veranstaltungsräume vorstellen, Ausspielflächen für die Künstlerinnen und Künstler, die nebenan Ateliers oder Probenräume haben. So hatte es auch der vorherige Kultursenator Klaus Lederer geplant.

Der schwarz-rote Senat hat allerdings erstmal alles gestoppt, aus finanziellen Gründen. Man prüfe gerade, heißt es offiziell. 24 Millionen Euro soll die ganze Sanierung laut bisheriger Rechnung kosten. Bei der BIM wollen sie sich beim Besichtigungstermin nicht genauer dazu zitieren lassen, nur soviel: “Wir sind optimistisch, dass die Sanierung nach der Prüfung wie geplant weitergehen kann und unser Konzept zum Gebäude passt”, sagt die BIM-Sprecherin Marlen Koenecke. In einer idealen Welt wird alles im Laufe des Jahres 2025 fertig.

Knapp sechs Quadratmeter sind sie groß - und in einigen der dunklen Zellen findet man immer noch das Parkett aus Kaiserzeiten. | Quelle: rbb / Sebastian Schneider

The Show must go on

Beim Rundgang holt Architekt Renner plötzlich sein Handy heraus und fotografiert eine Hausecke - da hat es gebröckelt. Soll so nicht. Vor dem Abschied geht es noch einmal durch den Hof, vorbei an einem verdorrten Stück eingehegter Wiese, entlang der hellgrauen Gefängnismauer.

"Im Rahmen des Besuchs darf dem Besuchten nichts übergeben werden" steht an einer Stelle der Mauer geschrieben. Auf den ersten Blick sehen die dunklen Großbuchstaben aus, als könne man sie da schon seit mehr als 100 Jahren lesen. Geht man aber näher ran, bemerkt man einen eigenartigen Glanz: Alles nur aufgeklebte Folie. Renner schmunzelt und sagt: "Man weiß hier manchmal nicht: Was ist Film und was ist echt?"

Falls Ihnen der Zeitstrahl des Gefängnisses in der App nicht angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Beitrags hieß es, das Gefängnis in der Lehrter Straße wäre nach 1949 bis heute die einzige Frauenhaftanstalt (West-)Berlins gewesen. Es gab bis 2010 aber auch das Frauengefängnis Lichterfelde in der Söhtstraße. Wir haben das korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Sie kommen auch oft an einem besonderen, leerstehenden Gebäude vorbei und fragen sich, was es damit eigentlich auf sich hat? Schreiben Sie uns Ihre Vorschläge an internet@rbb-online.de mit dem Betreff "Bau fällig", wir freuen uns über Ihre Anregungen!

Beitrag von Sebastian Schneider

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