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Serie "Bau fällig" | Kulturhaus in Oberschöneweide
Fabrikkantine, Kriegslazarett, später tanzten hier die Arbeiter aus dem VEB Werk für Fernsehelektronik. Doch seit langem ist das frühere Kulturhaus in Oberschöneweide verrammelt und leer. Das soll sich ändern. Von Sebastian Schneider
Könnte dieses alte Haus sprechen, würde es einem sagen: "Fahr weiter". Die Fassade hat eine Farbe zwischen violett und dunkelbraun, ist ein Stück von der Straße zurückgesetzt - als wolle sie nichts mit der Welt da draußen zu tun haben. Aus den Backsteinmauern wachsen Birken. Viele Fenster sind mit Sperrholzplatten verrammelt, die früheren Eingänge zugemauert und beschmiert. Der Teil rechts an der Hausfront sieht aus wie ein trauriges Gesicht. Unten, zwischen zwei Säulen, glänzt eine Stahltür. Schließt man sie auf, führt der Weg ins Dunkle.
Der Koloss an der Wilhelminenhofstraße war erst Wohlfahrtsgebäude für Arbeiter, später Kulturhaus des Werks für Fernsehelektronik. Seit etwa 30 Jahren aber steht er leer. Im vergangenen Jahr kaufte ihn der Berliner Immobilienentwickler Trockland und will ihn nun sanieren - ein Hotel, Büros, Gewerbe, ein Veranstaltungsbereich und ein Restaurant sollen hier entstehen. "Ich finde man spürt, dass von dem Haus eine positive Energie ausgeht", sagt die Trockland-Projektmanagerin Gesine Lenz, die durchs Gebäude führt.
Im Erdgeschoss spürt man noch nix. In ihrem hellen Jeansmantel und grün-blauen Sneakern bahnt sich Lenz den Weg durch den Staub und herabgefallenen Putz. Sie braucht die Taschenlampe ihres Handys. Die Schritte hallen, in dem Gang riecht es muffig. Hier säße man in Zukunft in einem Restaurant mit dunklem Parkett und flaschengrünen Wandfliesen, so wird es im Exposée gezeigt.
Im ersten Treppenhaus fällt Licht auf Spinnweben. Es soll zurückgebaut werden, dann stünde man an dieser Stelle in einem Garten, sagt Lenz. Überhaupt ist die Idee, die verschlossene Auster wieder aufzubrechen. Denn dafür, dass es so groß ist, fällt einem das Haus erstaunlich wenig auf, so abweisend wirkt es. Aber es hat den Menschen in Oberschöneweide einmal viel bedeutet.
Um die Jahrhundertwende gründet der Berliner Unternehmer Ludwig Loewe die "Akkumulatorenwerke Oberspree AG" (AO) in Schöneweide, später AFA. Schon zwei Jahre zuvor ist um die Ecke die "Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG)" eröffnet worden. Bald entstehen weitere Unternehmen der noch jungen Elektroindustrie. Die ehemals grüne, "schöne Weyde", wie das Gebiet ursprünglich hieß, entwickelt sich zu einer Boomtown mit dem Spitznamen "Elektropolis". Die Arbeiter in der Akkumulatorenfabrik in der Wilhelminenhofstraße stellen tragbare, leichte Akkus und Batterien her, zum Beispiel für Straßenbahnen und Elektroautos. Man forscht hier auch an Ladegeräten. Unter dem Markennamen "Varta" werden die Akkus aus Oberschöneweide weltbekannt.
Die AFA kümmert sich damals um ihre Mitarbeiter, sie beteiligt sie zum Beispiel am Gewinn. Aber das Schmelzen und Gießen des Bleis für die Batterien ist auch extrem gesundheitsschädlich. Immer wieder erleiden die Arbeiter Vergiftungen. Um sie besser zu versorgen, lässt das Unternehmen ein Wohlfahrtsgebäude neben der Fabrik errichten. 1913 eröffnet das nüchtern gestaltete, dreistöckige Haus. Eine Trutzburg, die so gar nicht wie ein Ort der Fürsorge wirkt. Hier können sich die Arbeiter umziehen, von Ärzten untersuchen lassen und das giftige Blei abwaschen, es gilt Badezwang. Im Obergeschoss gibt es eine Kantine und einen Theatersaal. Kaum ist es eröffnet, bricht der Erste Weltkrieg aus.
In die Wilhelminenhofstraße kommt ein Lazarett. Mehr als 2.000 schwerverletzte Soldaten werden hier gepflegt. Verstümmelte "Kriegsbeschädigte", wie man sie damals nennt, erleben eine neuartige Behandlung: Arbeitstherapie. So bereitet man sie allmählich auf das Leben nach dem Horror der Schützengräben vor. Für damalige Verhältnisse ist ein so zugewandter Ansatz modern. Unter der Nazi-Herrschaft profitiert die Fabrik von Rüstungsaufträgen, die Akkus werden in U-Booten und bei den Fernmeldetruppen gebraucht.
In der DDR wird das Haus umgebaut - jetzt soll es ein Ort für Kultur und "Volkserziehung" werden, für die Arbeiter des nahen "VEB Werk für Fernsehelektronik" (WF), dessen imposanter Turm über dem Viertel ragt. Fenster werden zugemauert, Treppen eingezogen. 1954 eröffnet das WF-Kulturhaus.
Ein paar Schritte nach oben, es wird heller. Dann betritt man das Herz des Hauses – den etwa 500 Quadratmeter großen Terrassensaal. Der Kopf fällt in den Nacken, der Blick bleibt oben. Jadegrüne und goldene Farbe ist zu sehen, darunter modriges Braun, Löcher aus denen die Drähte der abgehängten Decke ragen. Es sieht aus, als hätte jemand mit einer riesigen Parmesanreibe daran gehobelt. Der Putz hängt in Fetzen herab.
Die Kassettendecke wird restauriert, die Fachleute haben schon reingebohrt, um sie zu untersuchen. Sie stießen auf einen Schichtkuchen der deutschen Geschichte: Der obere Teil stammt noch aus dem Kaiserreich, der untere aus der DDR. Dort, wo jetzt die Bühne steht, hingen mal Hakenkreuzfahnen, da war der Saal Kantine. Heute hängt dort ein moosgrüner Vorhang aus DDR-Zeiten, unten rechts geschwärzt von Brandflecken - aber weit sind die Flammen zum Glück nicht gekommen.
Im Terrassensaal des WF-Kulturhauses finden damals bis zu 900 Menschen Platz. Für wenig Geld können die Leute feiern, tanzen und sich unterhalten lassen. Es gibt auch Vorträge, aber zu denen kommen die wenigsten. Der Moderator Heinz Florian Oertel präsentiert eine Vormittagsshow, die Starsängerin Dagmar Schellenberg von der Komischen Oper tritt auf. Zum großen Herbstball kommt man für 5,10 Mark. Man sitzt auf Stühlen mit groben Stoffbezügen, auf den meisten Tischen stehen kleine Lampen fürs Ambiente. Das Tanzparkett in der Mitte bleibt frei, nur bei Filmvorführungen oder Konferenzen wird der Saal vollgestellt. Von der Decke hängen später Kugelleuchten aus "Erichs Lampenladen" - dem Palast der Republik.
Es ist eigenartig, aber dieser Ort scheint zu sprechen. Man meint, die Vergangenheit hören zu können, kann sich das Klirren des Geschirrs und der Gläser vorstellen, das Gelächter, den Applaus. Die Absätze auf dem Parkett, das heute hellgrau und verstaubt da liegt. Ein Ort mit einer Seele.
"Es soll alles noch heller werden, wir möchten die Fenster vergrößern, so wie sie einmal gewesen sind", sagt Gesine Lenz. Vor dem Umbau in den 1940ern fiel das Licht durch beide Seiten des Saals, dann wurden die Öffnungen für Kinoaufführungen zugemauert. Auch in Zukunft soll der Terrassensaal für Veranstaltungen genutzt werden, für welche, ist noch nicht ganz klar. Es gibt laut Trockland Interessenten, die hier gerne Tagungen, Vorträge und andere Events für Unternehmen umsetzen möchten, andere könnten sich das Haus beispielsweise als Ort für "Escape Room"-Spiele vorstellen. Ein Club oder ein Konzerthaus seien unwahrscheinlich, sagt Gesine Lenz. Das lasse der Schallschutz nicht zu.
Trockland will den Komplex in elf Einheiten aufteilen, die dann flexibel miteinander geschaltet werden können. Das Hotel, das auch Co-Working-Schreibtische anbietet, zum Beispiel. Alles an einen einzigen Kunden zu vermieten sei nicht das Ziel – um kein "Klumpenrisiko" zu haben, falls diesem Mieter das Geld ausgeht. "Der Auftrag vom Stadtplanungsamt war eine gewerbliche Nutzung - dabei aber eine möglichst große Flexibilität bei gleichzeitig langfristiger Nutzbarkeit", sagt Lenz.
Über aufgequollenen Holzboden gelangt man in die Küche, auch die mokkabraune Durchreiche für die Kellnerinnen und Kellner, ein Essensaufzug und eine Bar stehen noch da: "Gegessen und getrunken wurde hier immer viel und gut", sagt Gesine Lenz. Aber nicht nur. Auf alten Bildern sieht man Kinder bei der Weihnachtsfeier, es gibt Fotoausstellungen, einen Betriebschor, eine Bibliothek und einen Jugendclub. Es sei eines der besten Kulturhäuser der Stadt gewesen, sagt dessen Leiter Karl Aschrich später in einem Interview, nicht ohne Eigenlob. "Wir hatten Gesellschaftstanzpaare, die waren DDR-Meister", erzählt Aschrich.
Unterm Dach sieht man noch die Spuren des Amateur-Filmstudios. Ein paar weiße Akustikpaneele hängen an der Decke. Die Tapeten neben der großen Scheibe zum Aufnahmeraum und der kirschrote Heizkörper sind als optische Verbrechen zu bezeichnen - aber das sagt sich ja heute so leicht. Hier oben möchte Trockland Büroräume vermieten. Nebenan ist ein "Boutique-Hotel" mit 84 Zimmern geplant. Hinten wird ein 1.500 Quadratmeter großes Gartenhaus angebaut. Die Verbindung zwischen den Gebäudeteilen schafft ein Atrium mit begehbarem Dachgarten.
Nach der Wende schließt das Kulturhaus. 1992 diskutieren hier Betriebsräte bei einer Konferenz noch, was sie dagegen tun können, dass die Welt die sie kennen, verschwindet. Der Industriestandort Oberschöneweide stirbt. Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier noch rund 25.000 Menschen. Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung sind es knapp 3.000. Mitte der 1990er sind 80 Prozent der Bewohner des Viertels Sozialhilfeempfänger. Die Einwohnerzahl sinkt binnen weniger Jahre von 28.000 auf 12.000.
Das Kulturhaus wird mehrmals verkauft, aber keiner der Eigentümer bringt etwas damit zustande. 2015 scheitert die Idee, hier Wohnungen für Studierende einzurichten. Dass das Interesse und die Erinnerungen vieler Nachbarinnen und Nachbarn aber auch nach drei Jahrzehnten nicht verblasst sind, zeigt eine Begehung im vergangenen Jahr: Zu dem Termin kommen 120 Menschen.
Genau gegenüber, auf dem Gelände des einstigen Kabelwerk Oberspree (KWO), steht heute die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), mit etwa 10.000 Studierenden. Start-Ups haben sich angesiedelt, Ateliers und Galerien. Die Mieten steigen, teilweise so stark, dass der Bezirk die Ecke nördlich der Wilhelminenhofstraße zum Milieuschutzgebiet erklärt hat. Trockland bezeichnet die Gegend im Exposé für die "Wilhelmine" als "Boom-Korridor Berlin-Südost".
Die Firmensprecherin Jessica Esser betont beim Besichtigungstermin immer wieder, nichts an der Nachbarschaft vorbeizuplanen und sensibel mit der Geschichte des Ortes umgehen zu wollen. Nicht weit entfernt saniert Trockland das ehemalige Gebäude des DDR-Rundfunks an der Nalepastraße. "Wir wollen auch hier langfristig und nachhaltig vermieten", sagt Esser. Sie spricht von Argwohn und Rechtfertigungsdruck, dem das Berliner Unternehmen sich oft ausgesetzt sehe. In diesem Fall sei die Resonanz aber überwiegend positiv.
Was es kostet, das Gebäude mit seinen beabsichtigten rund 7.800 Quadratmetern Mietfläche zu kaufen und denkmalgerecht zu sanieren, erfährt man von Trockland auf Nachfrage nicht. Man äußere sich grundsätzlich nicht zu Zahlen. "Am Ende des Tages muss es sich rechnen", sagt Esser. Heißt: Die künftigen Mieten müssen das Geld erstmal wieder einspielen. Wie zugänglich das Haus für die Nachbarschaft sein wird, hängt von den Mietern ab. Bisher ist eine "teilöffentliche Nutzung" geplant.
Läuft alles so wie beabsichtigt, rollen hier Ende kommenden Jahres die Bagger an. In der ersten Hälfte 2026 soll die "Wilhelmine" eröffnen. Gesine Lenz läuft noch auf der Innenseite des künftigen Haupteingangs vorbei, dem traurigen Gesicht. Durch dessen Glasmund fällt die Augustsonne. Dann schließt sie wieder die Stahltür auf und man ist zurück auf dem Gehweg.
"Ich habe den Eindruck: Die meisten Leute, mit denen wir sprechen, sind einfach froh, dass hier wieder etwas passiert", sagt sie. "Es ist ein magischer Ort." Der verrammelte Säulengang soll ein Glasdach bekommen, falls das Denkmalamt zustimmt. Wo jetzt die Sperrholzplatten hängen, läge ein Vorgarten. Auch die ehemaligen Kassenschalter des Kulturhauses kämen wieder ans Tageslicht. Dann könnte man hier Kaffee kaufen.
Sie kommen auch oft an einem besonderen, leerstehenden Gebäude vorbei und fragen sich, was es damit eigentlich auf sich hat? Schreiben Sie uns Ihre Vorschläge an internet@rbb-online.de mit dem Betreff "Bau fällig", wir freuen uns über Ihre Anregungen!
Beitrag von Sebastian Schneider
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