Verbotener Einzelhandel im Strafvollzug
Eine Haftstrafe hält nicht unbedingt von krummen Geschäften ab: Ein Gerichtsurteil offenbart, wie ein prominenter Schwerkrimineller in der JVA Heidering verbotenerweise zum Einzelhändler wurde. Von Frank Drescher
Weil er sich mit einer bekannten Clan-Größe eingelassen haben soll, hat ein Beamter des Berliner Justizvollzugsdienstes seine Stellung samt Pensionsansprüchen aufs Spiel gesetzt. Das Amtsgericht Zossen (Teltow-Fläming) hatte ihn im Februar der Bestechlichkeit für schuldig befunden und zu einem Jahr und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt ist. Der Beamte soll gegen Bezahlung und im Auftrag Drogen und Mobiltelefone ins Gefängnis geschmuggelt haben. Weil er gegen das Urteil Berufung eingelegt hat, ist es noch nicht rechtskräftig.
Bemerkenswert ist das Urteil dennoch. Denn die Richter gehen darin ausführlich auf die Zustände in der JVA Heidering bei Großbeeren (Teltow-Fläming) im Süden Berlins ein, wie der rbb nun nachlesen konnte.
So soll die bekannte Clan-Größe nach Erkenntnissen des Gerichts andere Inhaftierte eingeschüchtert haben. Seine Vorstrafen wegen Drogenhandels, Zuhälterei und Körperverletzung hätten ihm die nötige Autorität dazu verliehen. Dadurch sollen sich sogar Angehörige von Mitgefangenen genötigt gesehen haben, Geld zu überweisen. Der prominente Häftling habe Mitgefangene auch dazu gezwungen, in ihren Zellen Gegenstände zu lagern, die im Gefängnis eigentlich verboten sind – wie zum Beispiel Mobiltelefone.
In seiner eigenen Zelle habe es keine im Gefängnis verbotenen Gegenstände gegeben, heißt es in einer in dem Urteil wiedergegebenen Zeugenaussage eines Justizvollzugsbeamten der JVA Heidering. Dafür Lebensmittel, Zigaretten, Zeitschriften und andere Waren in rauen Mengen. "Seine Haftzelle war so überfüllt mit Waren, die in der Haftanstalt legal von den Gefangenen gekauft werden konnten, dass sie einem 24-Stunden-Kiosk glich", so der Zeuge. Dabei habe der Häftling selbst nie gearbeitet. "Das fällt immer erst auf, wenn irgendwas passiert", sagt Uwe Müller, der in Wahrheit anders heißt, im Gespräch mit rbb|24. Müller ist ebenfalls Justizvollzugsbeamter.
Anders, als das Bild einer Späti-ähnlichen Zelle vermuten lässt, habe der Gefangene die Waren aber nicht zum Verkauf angeboten, sondern von anderen Gefangenen als Bezahlung erhalten für im Gefängnis verbotene Gegenstände wie Mobiltelefone. Deren Schmuggel hinter die Anstaltsmauern soll der Clan-Kriminelle organisiert haben, heißt es in dem Urteil: Er "verfügte über Kontakte innerhalb und außerhalb der JVA Heidering, mit denen er netzwerkartig zusammenarbeitete. Die Kommunikation unter den Beteiligten erfolgte über WhatsApp-Nachrichten und Telefonate. Er ermittelte die Anfragen der Inhaftierten nach Gegenständen und trug die Bestellungen nach außen."
Und offenbar hinderte ihn kein Beamter groß daran, obwohl genau das deren Aufgabe wäre, wie der als Zeuge vernommene Vollzugsbeamte ausgesagt hat. Ihm zufolge seien Geschäfte aller Art unter Gefangenen – selbst wenn sie außerhalb des Gefängnisses legal wären – verboten. Die Gefangenen dürften laut dem Zeugen auch nicht das, was sie legal in Haft besitzen dürfen, also profane Dinge wie Lebensmittel, Zigaretten oder Zahnpasta, weiterverkaufen. Dennoch würden sich immer wieder Gefangene an anderen Gefangenen bereichern, etwa, indem sie sie nötigten, ihnen ihre Einkäufe auszuhändigen.
Laut Uwe Müller hätte das Warenlager in der Zelle der Clan-Größe auffallen und zu Konsequenzen führen müssen: "Der Haftraum muss für uns übersichtlich sein. Und schon allein wegen des Brandschutzes ist für die Gefangenen sehr begrenzt, was sie so an Besitz im Haftraum haben dürfen." Warum das trotzdem nicht passiert ist, dafür liefert ein Blick auf die Betreuungsrelationen in den Gefängnissen eine mögliche Erklärung.
In Berlins Justizvollzugsanstalten sei ein Beamter während seiner Schicht für etwa 30 Gefangene zuständig, so berichten es mehrere Beschäftigte des Berliner Justizvollzugsdienstes, mit denen rbb|24 gesprochen hat. Für eine Zellenkontrolle bestehe mitunter nur während einer der drei Schichten, in denen die Vollzugsbeamten arbeiten, Gelegenheit. Das bedeutet, dass Gefangene nur etwa einmal im Monat mit einer Zellenkontrolle zu rechnen haben. Hinzu kommt: Entdecken die Beamten dabei verbotene oder überzählige Gegenstände, entsteht ihnen zusätzliche Arbeit.
"Wenn einer zu viel hat, muss ich das alles nehmen und in die Hauskammer bringen", sagt Uwe Müller. Und anschließend müsse er den Fund aktenkundig machen. Dabei besteht seine Aufgabe eigentlich darin, dafür zu sorgen, dass Kriminelle nach Verbüßung ihrer Strafe in der Lage sind, keine Straftaten mehr zu begehen. Der Personalmangel in den Haftanstalten sorge allerdings dafür, so Müller, dass manche Beamte aus lauter Zeitnot eine Zellenkontrolle nur auf dem Papier durchführten. "Und hinterher wird sich groß gewundert: Wie kann denn der die Zelle so voll gehabt haben", erzählt er.
Nach Ansicht der Zossener Amtsrichter gab es für den angeklagten Beamten Umstände, die es ihm leicht gemacht haben sollen: "Strafmildernd hat sich auch ausgewirkt, dass für ihn das Risiko einer Entdeckung sehr gering war und deshalb die Hemmschwelle herabgesetzt gewesen sein dürfte, denn Kontrollen des Personals wurden nicht durchgeführt", heißt es in dem Urteil.
Welche Konsequenzen hat die Berliner Justizverwaltung daraus gezogen? "Die Abläufe sind evaluiert und – soweit erforderlich – angepasst worden. Einzelheiten dazu können aus naheliegenden Sicherheitsgründen nicht mitgeteilt werden", heißt es auf rbb-Anfrage. Uwe Müller kann das aus eigener Beobachtung nicht bestätigen: "Die schreiben ja 'soweit erforderlich'. Wahrscheinlich hat die Anstaltsleitung Änderungen nicht als erforderlich angesehen", merkt er sarkastisch an.
Sendung: rbb24 Abendschau, 29.08.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Frank Drescher
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