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Audio: rbb 88.8 | 19.09.2023 | Interview mit Anne Bendlin | Quelle: Anne Bendlin

Wenn der Partner an Demenz leidet

"Ich habe ihn nach wie vor lieb. Aber das hat nichts mehr damit zu tun, dass er mein Partner ist"

Der Mann von Anne Bendlin ist an Demenz erkrankt und lebt mittlerweile in einer Pflegeeinrichtung in Berlin. Warum sie der Krankheit mit "radikaler Akzeptanz" begegnet ist und was sie sich von der Politik wünscht, erzählt sie im Interview.

rbb: Frau Bendlin, Ihr Mann war 70 Jahre alt, als die Demenzerkrankung bei ihm diagnostiziert wurde. Wie fing es an?

Anne Bendlin: Diese Erkrankung kann man sich wie ein Puzzle vorstellen, wo immer Puzzlesteine auftauchen und viele Puzzlesteine sind jetzt im Nachhinein deutlich. Aber 2020 ging es sehr massiv los, indem er Fertigkeiten und Fähigkeiten verloren hat. Er war früher ein begnadeter Handwerker und jetzt bohrte er fünf Zentimeter neben dem angezeichneten Loch und schraubte das Teil um 180 Grad verdreht an. Er fand keine Worte mehr und umschrieb Dinge. Er hatte kein Gefühl mehr für Zeit und Ort. Er verlief sich beim Spazierengehen, fand nachts das Badezimmer nicht. Es war nicht so herkömmlich, wie bei vielen Menschen, dass das Gedächtnis schlechter wird. Aber es sind ganz viele Funktionsbeeinträchtigungen, die bei Demenzerkrankungen individuell sehr unterschiedlich sein können.

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Wie haben Sie reagiert?

Wir haben erst einmal alles getan, um abzuklären, woher diese Verhaltens-Originalitäten gekommen sind. Es war auch nicht so einfach, Facharzttermine zu kriegen. Es dauerte eine Weile, bis diese Diagnose und Anamnese dann wirklich safe war. Es war erst mal ein Schock, man ist hilflos und weiß nicht so recht, wie gehe ich damit um? Und der Umgang ist sehr individuell. Ich habe ganz viel darüber gelesen und habe gedacht, radikale Akzeptanz ist mein Weg. Wir haben alle Menschen, die uns lieb und teuer sind, informiert und einen Rundbrief geschrieben. Und wir haben uns ganz schnell Hilfe geholt.

Was kann die Hilfe leisten?

Sie sind erstmal in einem "neuen unbekannten Land". Wir haben die Demenz personifiziert und haben sie Lewy genannt, von Lewy-Körperchen-Demenz. Lewy ist jetzt bei uns eingezogen und wir werden ihn nicht mehr los. Wir haben uns Hilfe bei der Alzheimer-Gesellschaft Berlin geholt, die uns geraten haben, solange es noch geht, ganz viel zu regeln, wie zum Beispiel eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht.

Sie haben uns auch geraten, nach Hilfsmöglichkeiten bei uns im Bezirk und nach einer Angehörigen-Gruppe zu suchen, damit ich mich mit anderen austauschen kann. Die ersten Monate waren ganz viel Aktivitäten, um uns darauf vorzubereiten, dass diese degenerative Erkrankung immer schlimmer wird. Diese Demenz, die mein Mann hat, verschlechtert sich sehr rasant, anders als eine Alzheimer-Erkrankung. Die geht bedeutend langsamer voran.

Was ist der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?

Demenz ist der Oberbegriff, und heißt eigentlich: ohne Geist. Die Gehirnzellen und die Synapsenverbindungen zwischen den Gehirnzellen funktionieren nicht mehr so wie bei gesunden Menschen. Es gibt verschiedene Erkrankungen, die solche Erscheinungen in verschiedenen Zentren des Gehirns auslösen. Und die Alzheimer-Erkrankung ist eine dieser Erkrankung, die Lewy-Body-Demenz ist eine weitere, aber auch ein Schlaganfall oder andere internistische Erkrankungen können demenzielle Erscheinungen auslösen.

Zur Person

Wie geht es Ihrem Mann jetzt?

Ich kann das nicht hundertprozentig sagen. Mein Mann lebt seit nunmehr 15 Monaten in einer Pflegeeinrichtung und wirkt entspannt. Aber er befindet sich in einer Welt, zu der ich und andere Menschen keinen Zugang haben. Und insofern wissen wir nicht, was er in dieser Welt wahrnimmt, was er fühlt. Wir können aus seinen Reaktionen, wie er sich bewegt, wie der Gesichtsausdruck ist, schließen, ob es ihm gut geht oder wenn er hektisch oder aggressiv wird, dass es ihm nicht so gut geht.

Aber insgesamt bin ich eigentlich ganz glücklich, dass wir so früh Hilfe gesucht und eine Einrichtung gefunden haben. Diese ist in der Nähe meiner Wohnung, sodass sich ihn jeden Tag besuchen kann. Aber wie es Menschen mit dieser Erkrankung geht, können wir immer nur daran ein bisschen ablesen, wie sie sich verhalten. Aber insgesamt bin ich zufrieden, dass es eigentlich sehr entspannt ist und zwischendurch auch noch sein Humor durchblitzt.

Und wie ist es für Sie?

Ich bin Sozialarbeiterin und habe, glaube ich, eine ganz gute Widerstandskraft. Ich habe ganz viele Menschen, die mich unterstützen, die auch meinen Mann besuchen. Ich habe die Fachkräfte in der Pflegeeinrichtung. Da fühle ich mich als ehrenamtlicher Teil des Teams. Ich mache ganz viel für mich und der Tag hat 24 Stunden: Zwei Stunden bin ich bei meinem Mann, 22 Stunden habe ich noch für mich. Ich habe auch die Pflicht, dieses Leben gut zu leben und zu gucken, was ich für meinen Mann tun kann. Ich habe ihn nach wie vor lieb. Aber das hat nichts mehr damit zu tun, dass er mein Partner ist.

Infobox

Das Schwierigste ist, alle Entscheidungen für jemand anderen allein treffen zu müssen, die man vorher zusammen diskutiert hat und wo man um die Entscheidung gerungen hat und hinterher wusste, wir stehen jetzt beide dahinter. Jetzt muss ich alles auch für meinen Mann allein entscheiden. Das ist noch mal ganz anders, als wenn Sie das für Kinder tun, in dem Wissen, die sind irgendwann erwachsen und entscheiden selbst. Bei einer degenerativen Erkrankung geht die Entscheidungsfähigkeit immer mehr verloren.

Für mich ist es zwischendurch unendlich traurig, aber nicht 24/7. Ich bin zwischendurch auch fröhlich, gehe tanzen und joggen, und ich mache etwas mit Freundinnen und Freunden. Und ich freue mich, dass noch was von ihm da ist.

 

Was raten Sie allen anderen, die betroffen sind? Ist das der richtige Umgang: die radikale Akzeptanz der Krankheit?

Ich würde vor allem raten, sich schnellstmöglich zu informieren, wo es Hilfen gibt und diese frühestmöglich in Anspruch zu nehmen, sowie Sachen juristisch zu regeln, wie die Vorsorgevollmacht. Auch die Selbsthilfe von der Alzheimer-Gesellschaft Berlin ist für mich ein ganz zentraler Aspekt, weil das Menschen sind, denen es genauso wie mir geht, die wissen, wovon ich rede. Und die haben Erfahrungen gesammelt, zum Teil schon deutlich länger als ich und haben zahlreiche Tipps.

Auf keinen Fall sollte man versuchen, alleine damit klarzukommen und es auf keinen Fall geheimhalten. Geheimnisse kosten Energie. Wenn man offen damit umgeht, können viele Leute, wenn sie ihre Betroffenheit überwunden haben, ausgesprochen hilfsbereit sein.

Sind Sie zufrieden mit dem Gesundheitssystem? Haben Sie Wünsche?

Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Die Pflegeversicherung ist eine "Teilkaskoversicherung". Während es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gibt, gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz. Dadurch, dass es das nicht gibt und die Finanzierung auch durch die Pflegeversicherung nicht annähernd abgedeckt ist, gibt es natürlich nicht sehr diversifizierte und quantitativ viel zu wenige Angebote.

Das heißt, Menschen suchen händeringend einen Pflegeplatz und warten faktisch darauf, dass in einer Pflegeeinrichtung jemand des richtigen Geschlechts verstirbt, damit ihr oder seine Mann/Frau nachrücken kann. Und das kann es nicht sein. Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, der Prozentsatz an demenziell erkrankten Personen bleibt. Dann brauchen wir einfach ganz viel mehr. Und wir brauchen auch diversere Angebote.

Es gibt zwar eine Tagespflege, aber zum Beispiel keine Nachtpflege. Es gibt viel zu wenig Einrichtungen. Im Moment haben wir gerade eine große Tendenz, dass Einrichtungen schließen, weil sie keine Fachkräfte finden.

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Was könnten Ihrer Ansicht nach die richtigen Anreize sein, damit sich etwas ändert?

Es ist für Menschen nicht attraktiv, in der Pflege oder in der Carearbeit auf Dauer zu arbeiten. Sie werden zwar inzwischen dank der Gewerkschaftsinitiativen gut bezahlt, aber es sind zu wenige. Es fehlen Hände und Köpfe, und dadurch ist die Be- und Überlastung groß. So werden immer mehr auch diesen Beruf verlassen, den sie mit ganz viel Motivation begonnen haben. Und das ist fatal. Und das ist eine Botschaft an die Politik, weil das System crasht.

Angehörige können nicht lebenslänglich leisten, was an Assistenz erforderlich ist, weil sie auch mal schlafen müssen, weil sie auch mal frei haben müssen, weil sie körperlich vielleicht nicht mehr in der Lage sind, jemandem aufzuhelfen oder jemanden hochzuheben. Auch finanziell ist es schwer. Für einen Pflegeplatz in einer Einrichtung zahlen sie 3.500 bis 4.000 Euro dazu. Nur wenn sie gar kein Vermögen haben, zahlt das Sozialamt. Aber wenn sie noch Vermögen haben, geben sie ihr Vermögen dafür aus, dass eine geliebte Person gepflegt wird. Und das finde ich in keiner Form akzeptabel.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Anne Bendlin führte Ingo Hoppe, rbb 88,8.

Der Beitrag ist eine redigierte und leicht gekürzte Fassung. Das Audio zum Nachhören finden Sie oben im Player.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.09.2023, 19:30 Uhr

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