Schulen ohne Security in Berlin-Neukölln
12 Neuköllner Schulen fehlt seit diesem Schuljahr der Wachschutz vor den Toren. Einige Schulleitungen haben mit anderen Maßnahmen reagiert - wollen aber nicht auf Wachschützende verzichten. Der Bezirk arbeitet offenbar an einer Lösung. Von Anna Bordel
Vor der Evangelischen Grundschule Neukölln, einer privaten Schule, sitzt vor den Schultoren ein Mann auf einem Klappstuhl. Die Arme verschränkt, den Blick auf die Lücke in der Umzäunung, den Zutritt auf das Schulgelände, gerichtet. Ein Wachschützer - wie die Schule dem rbb bestätigt.
Ganz anders sieht es eine Straßenecke weiter vor dem Albert-Schweitzer-Gymnasium aus, einer öffentlichen Schule. Einen Zaun gibt es hier nicht. Die weißen Schultore sind zwar geschlossen, aber nicht verschlossen, davor sitzt niemand. Lediglich ein Schild weist darauf hin, dass Unbefugten der Zutritt untersagt ist. Im Schulinnern sagen einem weitere Schilder, dass man als schulfremde Personen sofort zum Sekretariat gehen soll. Auf dem Weg dahin ist man schon etlichen Schüler:innen begegnet. Ansprechen tut einen beim Umhergeistern in den Gängen niemand.
Seit Beginn dieses Schuljahres hat der Bezirk Neukölln eigenen Angaben zufolge kein Geld mehr für Wachschutz an 12 öffentlichen Schulen. Das wünscht sich Katrin Kullick anders. Sie ist seit 2016 Schulleiterin am Albert-Schweitzer-Gymnasium an der Karl-Marx-Straße unweit des Hermannplatzes. Bislang gab es einen Wachschutz an ihrer Schule.
Der Hermannplatz und der Donau-Kiez sind laut Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) kriminalitätsbelastete Orte. Von "Obdachlosen, aggressiven psychisch Kranken oder suchtkranken Personen", die aus dem kriminalitätsbelasteten Umfeld in ihre Schule kommen könnten, spricht Schulleiterin Kullick.
Christian Berg, Sprecher des Bezirksamts Neukölln, berichtet auf alle Schulen des Bezirks bezogen von Erfahrungen mit ehemaligen Schüler:innen, die auf den Schulhöfen "rumhingen" und auch von "Elternteilen oder Verwandten, die beispielsweise Streitigkeiten zwischen ihren jeweiligen Kindern untereinander auf dem Schulhof klären wollten". Dass "vollkommen schulfremde Personen, zum Teil eben Drogenkonsumierende, vom Schulgelände fern gehalten werden mussten", ist laut Berg in den vergangenen Jahren vermehrt vorgekommen.
Bis auf die 12 Neuköllner Schulen hat nach Angaben der Berliner Bildungsverwaltung nur noch eine weitere öffentliche Berliner Schule einen Wachschutz und zwar in Spandau. Dem Bezirk Spandau zufolge wird dieser vorrangig deshalb eingesetzt, weil momentan die Feueralarmanlage nicht in Betrieb ist.
Informiert wurde das Albert-Schweitzer-Gymnasium und die anderen betroffenen Schulen vom Bezirk bereits vor den Ferien, dass der Wachschutz eventuell abgezogen werden muss. Definitiv erfahren hat Schulleiterin Kullick dies allerdings erst vier Tage vor Beginn des neuen Schuljahres, wie sie sagt. Auf sich sitzen lassen möchte sie diese Änderung nicht. Gemeinsam mit den elf anderen Neuköllner Schulen und den Elternvertreter:innen habe sie bereits bei mehreren Bezirksvollversammlungen und Bildungsauschusssitzungen vorgesprochen.
Über die Reaktion des Bezirks könne sie sich nicht beklagen. "Der Bezirk hat versprochen, zu schauen, wo es noch Gelder für dieses Jahr und auch für den Doppelhaushalt gibt. Den Verantwortlichen ist schon klar, dass wir Wachschutz an unserer Schule brauchen", so Kullick. Das bestätigt auch Christian Berg vom Bezirksamt dem rbb. "Es ist keine Schule bekannt, bei der der Wachschutz über einen längeren Zeitraum hinweg nicht im Einsatz gewesen wäre", sagte er.
Die Eltern sind, wie Kullick berichtet, sehr besorgt, dass unerwünschte Personen in die Schule kommen könnten. Während Obdachlose fast täglich gebeten werden müssten, sich vom Schulgebäude zu entfernen, ereignete sich der Schulleiterin zufolge der letzte schwerwiegende Vorfall vor etwas mehr als zehn Jahren, als das Wachpersonal schon einmal für eine Zeit abgezogen wurde. Damals traf ein Schüler auf einem Schulklo auf zwei Drogen konsumierende Menschen. Kullick wolle nicht, dass dieses Mal erst etwas passieren muss, bis sie ihre Wachschützer wieder bekommt.
Alternativen zu Wachschützenden gebe es für sie nicht. "Unsere Wachschützenden sind so ausgebildet, dass sie deeskalieren. Das andere Personal, was ich hier habe oder auch ich selbst, wir können und wollen den Wachschutz nicht ersetzen". Maschinen könnten das Kullick zufolge auch nicht. Die Schule abzuschließen sei für sie auch keine Option. Das dürfe sie aus versicherungstechnischen Gründen nicht, außerdem wolle die Schule in und mit dem Kiez leben.
Während die Evangelische Schule zwar derzeit noch einen Wachschutz hat, soll dieser laut Angaben einer Schulsprecherin zeitnah durch bauliche Umbauarbeiten etwa am Eingangstor ersetzt werden. In die Schule war im vergangenen Mai eine schulfremde Person eingedrungen und hatte zwei Mädchen mit einem Messer angegriffen.
Der Bezirk Neukölln sucht eigenen Angaben zufolge ebenfalls nach anderen Möglichkeiten baulicher, technischer Art wie etwa verschlossene Türen oder Kameras für die öffentlichen Schulen. Auch aufsuchende Sozialarbeit in der Umgebung soll laut Bezirk verstärkt eingesetzt werden. Geld für dieses Vorhaben gäbe es allerdings nicht.
Vor der Schule in einer Sitzgruppe unterhalten sich an diesem spätsommerlichen Vormittag keine Obdachlosen, sondern vier angehende Abiturient:innen. Dass kein Wachschutz mehr da ist, sei vor allem für die jüngeren Schüler:innen schlecht, sagen sie. "Ich kann mich schon wehren", sagt eine von ihnen und macht einen Faustschlag in die Luft, "aber die Kleineren eben noch nicht".
Es gehe nicht nur darum, dass jemand in die Schule reinkommt, sagt ein anderer, sondern auch darum, dass die jüngeren Schüler:innen die Schule nicht verlassen und sich dadurch gefährden. Die Schule verlassen, das dürften nur die Abiturient:innen. Eine andere aus der Gruppe kann dem fehlenden Wachschutz ein bisschen etwas Positives abgewinnen, wie sie sagt. "Immerhin können jetzt auch Freunde von außerhalb mal in die Schule kommen. Aber das ist wirklich nur ein minikleiner Pluspunkt", sagt sie.
Dass manche Schüler:innen ankündigen, ihre Schule selbst verteidigen zu wollen, sieht Schulleiterin Kullick mit Sorge: "Das kommt natürlich gar nicht in Frage", sagt sie. Ab jetzt dürfen Schüler:innen der Schule laut Kullick nur noch zu zweit auf die Toilette gehen und sollen sofort eine Lehrkraft informieren, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht. Doch so richtig einüben wollen sie das alles nicht. "Ich will einfach einen Wachschutz haben, um den behüteten Lernort zu gewährleisten", sagt sie.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.08.2023, 07:17 Uhr
Beitrag von Anna Bordel
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