Nichts passt so wenig nach Berlin wie das Oktoberfest: Ein Stück urbayerische Kultur, die in Berlin zum stumpfen Party-Kommerz degradiert wird. Trotzdem ist die Teilnahme dieses Jahr oberste Berliner Bürgerpflicht, kommentiert Sebastian Schöbel.
Lassen Sie mich das Wichtigste gleich zu Beginn sagen: Berlin braucht kein eigenes Oktoberfest. Schon gar nicht 14 (!) Ausgaben davon.
Trotzdem müssen Sie in diesem Jahr mindestens eines der 14 (!!) Berliner Oktoberfeste besuchen, es geht nicht anders.
Aus lokalpatriotischer Pflicht!
Denn dieses Jahr ist’s persönlich! Das ist ausnahmsweise mal nicht Berlins Schuld, anders als bei so vielen anderen Sachen, für die wir völlig zu Recht im Rest des Landes durch den Kakao oder über die Stammtische gezogen werden. Nein, diesen Streit haben die wahlkampftrunkenen Bayern begonnen, unter freundlicher Mithilfe aus dem Sauerland – eine Region berühmt für westfälische Humorlosigkeit.
Gigamoos, Gillagong… wen kümmert’s?
Da hat also dieser sauerländische Friedrich Merz, seines Zeichens Chef der CDU, auf so einem bayerischen Bierfest - Gigamoos, Gillagong… wen kümmert’s - behauptet, Kreuzberg sei nicht Deutschland. Gut, das sagt man in den restlichen 11 1/2 Berliner Bezirken mindestens einmal pro Woche. Aber sich dessen außerhalb des Berliner Rings zu erdreisten, nachdem man sich als Nicht-Berliner erst mit einem Liter Helles Mut ansaufen musste, ist schon ein starkes Stück!
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Und dann kommt noch der lederbehoste Lautsprecher Markus Söder dazu und poltert gleich gegen ganz Berlin. Obwohl er hier mal Kanzler sein wollte, was er aber nicht geschafft hat und jetzt an uns auslässt. Während seine Landsleute mit Berliner Mietern ihre Renten aufbessern und ihre Kinder in unseren Clubs die Traumata einer bayerischen Jugend wegtanzen.
Jetzt könnte Berlin das locker weglächeln. Seit die Preußen 1866 im Deutschen Krieg die Machtverhältnisse bei Königgrätz und Uettingen klargestellt haben, nehmen wir an der Spree Bayern sowieso nur noch als Urlaubsdestination ernst. Dabei mögen wir das Oktoberfest, obwohl man uns dort immer nur als schlecht gekleideten Störfaktor mit Tischreservierung empfangen hat.
Biergetränkter Fehdehandschuh aus Bayern
Doch Gilla…dingsbums war der biergetränkte Fehdehandschuh! Eine unnötige Provokation! Jetzt, liebe Bayern, drehen wir euer heiliges Oktoberfest mal so richtig durch die Berliner Kommerzmangel. Auf dem Alexanderplatz zum Beispiel, zwischen Elektronikmarkt und Hochhausbaustelle, oder gegenüber von der Aral-Tankstelle an der Avus. Die Buden können gleich stehen bleiben, für die Weihnachtsmärkte. Hauptsache "Gaudi"!
Wir tragen dabei UNSERE Oktoberfesttracht, den stylisch grauen Heinzelmännchen-Filzhut, dreiviertellange Kunstleder-Lederhosen aus asiatischer Handarbeit, und feinste Polyesterdirndl mit Edelweiß-Stickereien. Die Schürzenschleife tragen unsere Damen übrigens hinten, überm Steiß, denn da geht ihnen die Tradition vorbei. Und die Herren tragen Tennissocken zu Decathlon-Wanderschuhen, weil’s bequemer ist, wenn man wegen ÖPNV-Ausfall nach Hause laufen muss. Über allem flattern blau-weiße Bänder, damit ja jeder weiß, dass es hier "echt bayerisch" zugeht. Bayerns bester Oktoberfest-Comedian Harry G. hätte seine Freude!
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In Berlin liegt der Maß-Preis noch unterm Mindeslohn
Euer Bier trinken wir natürlich auch, literweise und sogar mehr als ihr. Weil der Maß-Preis noch unter dem gängigen Mindestlohn liegt, und besser als bei Risa Chicken schmeckt euer Wiesnhendl auch nicht. An Plätze auf unseren Bierbänken kommt man ohne halblegale Kontakte in den lokalpolitischen oder wirtschaftlichen Filz. Das Prosit der Gemütlichkeit singt sich auch mit Blick auf den Ostbahnhof oder die Mauern der Spandauer Zitadelle gut. Blasmusik klingt eh überall scheiße.
Das Beste aber: Man läuft nicht Gefahr, dass man vom Aiwanger Hubsi oder Merz Friedrich mit Bieratem populistisch von der Seite angehaucht wird. Darüber was in Berlin alles nicht läuft, Mist ist und "undeutsch". Ist eh besser so: Auch in Berlin haben wir Adis, die einem den Maßkrug "sanft auf der Schädeldecke aufsetzen" können. Grüße an Gerhard Polt!
Liebe Bayern, wenn ihr dann demnächst gewählt und euch wieder beruhigt habt, kommen wir sehr gerne nächstes Jahr zu eurem, dem echten Oktoberfest. Sofern wir unsere Tracht bis dahin gewaschen bekommen.