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Video: rbb|24 | 23.09.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Quelle: rbb

Interview | Straßenbahn-Unfälle in Berlin

"Es sind schon viele Vorkehrungen getroffen worden, Unfälle klein zu halten"

Die Straßenbahn teilt sich den Platz auf den Straßen mit Fußgängern, Rad- und Autofahrern. Immer wieder kommt es zu Verkehrsunfällen. Markus Hecht, Bahn-Experte an der TU Berlin, sieht die Tram trotzdem als sicheres Verkehrsmittel.

rbb|24: Herr Hecht, in Berlin ist es in den letzten Jahren zu einem Trend gekommen: mehr Unfälle mit Straßenbahnen. Sind die als Verkehrsmittel für andere Verkehrsteilnehmer mittlerweile zu gefährlich?

Markus Hecht: Straßenbahnen fahren in "shared spaces" – also in gemeinsam genutzten Bereichen. Man möchte bei Straßenbahnen kurze Zugangswege haben – im Gegensatz zur U-Bahn, wo man lange Wege zum Bahnsteig hat. Die Flächen, die die Straßenbahn nutzt, wo es zu Unfällen kommt, werden eben von Fußgängern, Fahrrad- und oft auch von Autofahrern genutzt. Dadurch gibt es sehr viele Möglichkeiten der Kollision.

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Deshalb erscheint es so, dass Straßenbahnen mehr Unfälle haben. Man hat aber viel dafür gesorgt, dass die nach Möglichkeit glimpflich verlaufen. Auch hier an der TU Berlin sind die Straßenbahn-Fronten so konstruiert und entwickelt worden, dass der untere Bereich zum einen sehr weich ist und zum anderen auch abweisend. Das heißt, dass die Leute sowohl wenig verletzt als auch seitlich auf die Seite gedrückt werden. Wenn man frontal erfasst wird, ist es natürlich schwierig.

Zur Person

Wie kann es zu den Unfällen kommen?

Wir haben zunehmend, dass die Personen Kopfhörer tragen und so die Geräusche nicht so stark hören. Die Straßenbahn ist vorne am leisesten – und auf der Seite am lautesten. Von der Sicherheit also eher ungünstig gestaltet. Wir haben an der TU gemeinsam mit der BVG überlegt, Warntöne vorne anzubringen, die man in Funktion von der Fahrgeschwindigkeit steuern würde. Das heißt, wenn sie schnell fährt, hochfrequente Töne und wenn sie langsam fährt, tieferfrequente Töne abzugeben.

Das sind aber zum einen Aufwendungen und zum anderen auch Störungen für Leute, die sich korrekt verhalten. Bisher ist entschieden worden, diese Piepser nicht anzubringen. Wobei Personen mit Kopfhörern dies auch schlechter hören als ohne.

Das heißt also, nicht die Straßenbahn ist gefährlicher geworden, sondern die anderen Verkehrsteilnehmer?

Sie sind etwas unachtsamer. Die Straßenbahn hat den großen Vorteil, dass durch die Schienen natürlich gezeigt wird, wo sie hinfährt. Von daher ist sie schon mal sicherer als der Omnibus.

Die Scheiben in der Straßenbahn sind sehr weit runtergezogen, dass die Fahrer eine sehr gute Sicht haben. Die Scheibe ist natürlich ein sehr hartes Element. Bei einem Aufprall kann man das nicht zurückweisend machen, sondern nur dadurch, dass man die Scheibe rund gemacht hat und wenn man seitlich getroffen wird, wird man auf die Seite zurückgeworfen. Das ist von der Sicherheit noch etwas günstig. Aber die Härte der Scheibe kann man nicht beeinflussen.

Von welchem Szenario gehen Sie dabei aus und was wurde geändert?

In Berlin gibt es nur noch zwei Straßenbahn-Typen: die ältere und die neuere Niederflurbahn. Bei beiden sind schon umfangreiche Vorkehrungen getroffen worden, um Unfälle klein zu halten. Zum Beispiel klappt man die Kupplung weg, so dass bei einer Kollision mit einem linksabbiegenden Auto der Fahrer nicht mehr durch die Kupplung schwer verletzt wird, wie das in der Vergangenheit war. Bei Fußgängern und Fahrradfahrern ist die Niederflurtechnik nicht ganz ideal, weil die Fahrer auch tiefer sitzen und dadurch die Frontscheibe größer geworden ist.

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Auf der anderen Seite wollen wir vor allem für Behinderte oder Personen mit Kinderwagen unbedingt alle Türen als Niederfluhreingänge realisieren. Dadurch kann ich das Fahrzeug insgesamt nicht anheben und eine zusätzliche Sicherheit einbringen. Es gibt an allen Stellen Kompromisse, aber es sind schon sehr viele Überlegungen reingeflossen.

Eine weitere Forderung ist, dass die Straßenbahn langsamer sein sollte. Aber sie wollen ja auch zum einen ankommen. Zum anderen sind langsamere Bahnen auch teurer. Denn man braucht mehr Bahnen und es muss mehr Personal bezahlt werden. Der dringende Appell ist, wachsam zu sein, die Schienen zu beobachten und links und rechts zu schauen, dass man eine Straßenbahn erkennt.

Kann man auf die steigenden Unfallzahlen überhaupt noch reagieren?

Was wir mit den Sicherheitsbehörden überlegt haben, sind Außen-Airbags. Theoretisch sind die machbar. Man kennt es auch vom Motorrad. Die sind ziemlich aufwändig und eine Straßenbahn steht auch immer in Konkurrenz zum Bus. Die Straßenbahn ist pro Platz heute schon drei- bis viermal so teuer wie der Bus. Natürlich hält sie zwei- bis dreimal so lang und hat mehr Kapazität. Aber ein Airbag würde die Bahn erheblich verteuern. Und niemand möchte teurere Fahrpreise bezahlen.

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Was sind Maßnahmen, die die Stadt oder andere Beteiligte ergreifen können?

Ich bin immer noch sehr interessiert an Versuchen an diesen Tongebern, dass nur im vorderen Bereich eine Warnung abgestrahlt wird. Wir wollen auf keinen Fall die Stadt verlärmen. Der Lärm in der Stadt ist eh schon groß. Aber man kann mit hochfrequenten Signalen beschränkt diesen Gefahrenbereich ausleuchten und die Information geben, ob die Bahn schnell oder langsam kommt.

Das Thema Airbags ist kostenmäßig in Größenordnungen, was sich Berlin wahrscheinlich nicht leisten können wird.

Auch die Schulung von Nutzern und Anwohnern ist ein großes Thema, dass man sich bewusster im Verkehr verhält.

Wie werden die Fahrer auf Gefahrensituationen vorbereitet?

Die Fahrerinnen und Fahrer sind sehr wachsam. Man versucht, so gute Arbeitsbedingungen wie möglich zu geben. Die Fahrerkabinen sind extra klimatisiert, obwohl das Licht von drei Seiten einstrahlt. Die Scheiben sind sehr groß, um gut sehen zu können. Die Warneinrichtungen können leicht betätigt werden. Die Fahrerinnen und Fahrer kennen die gefährlichen Situationen aus dem Simulator.

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Gibt es auch Grenzen, inwieweit Straßenbahnen sicherer gemacht werden können?

Die Straßenbahn braucht einen gewissen Bremsweg – für ein Schienenfahrzeig bremst sie schon sehr gut. Es gibt die sogenannte Magnetschienenbremse, die einen kurzen Bremsweg erzeugt. Wenn ich aber zu stark bremsen würde, hätte ich viele Unfälle in der Bahn. Es gibt heutzutage auch Stürze von Leuten, die sich nicht genug festhalten. Es gibt also auch hier einen Kompromiss: starkes Bremsen gegenüber der Unfallgefahr der Fahrgäste.

Heißt das, dass die Fahrer dies im Schadensfall abwägen müssen?

Die Straßenbahn bremst etwa zweieinhalb Mal so stark wie eine Eisenbahn. Noch stärker geht nicht. Das ist für einige Leute auch schon zu viel. Wir haben bewusst in der Straßenbahn eine 100-Prozent-Niederflurbahn, dass es keine Stufen gibt. Viele andere Städte haben billigere Straßenbahnen, wo im Fahrzeug Stufen sind. Dort werden die Stürze auch nochmal schlimmer.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Markus Hecht führte Grit Lieder, rbb|24.

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