Freiwillige in Berlin und Brandenburg
Der Bundespräsident würdigt bei einem Bürgerfest 3.000 besonders engagierte Menschen. Ist das genug Wertschätzung? Und wollen das die Freiwilligen überhaupt? Sozialforschende und freiwillige Helfer:innen haben darauf Antworten. Von Kira Pieper
"Im WIR verbunden" lautet das diesjährige Motto, unter dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag und Samstag wieder zu einem Bürgerfest ins Schloss Bellevue bittet. 3.000 ehrenamtlich Engagierte aus ganz Deutschland sind eingeladen - wie jedes Jahr. Es soll eine Anerkennung für ihre freiwillige Arbeit an der Gesellschaft sein.
Aber wollen die Freiwilligen das überhaupt? Wie verbreitet ist freiwilliges Engagement noch? Und wie sehr wird es von der Gesellschaft und der Politik geschätzt?
Ein Blick in die Zahlen verrät: In Deutschland engagieren sich 28,8 Millionen Menschen freiwillig. Das sind 39,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. Das geht aus dem letzten Freiwilligen-Survey des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2019 hervor. Die Erhebung zeigt auch: Die Bereitschaft, sich freiwillig und unentgeltlich einzubringen, nimmt zu.
Laut der Erhebung engagierten sich die Menschen in Berlin (mit 36,9 Prozent) und in Brandenburg (mit 36 Prozent) im Ländervergleich allerdings unterdurchschnittlich. Außerdem lässt sich eine Tendenz erkennen: In Berlin ist das Engagement eher steigend. In Brandenburg zeigt die Kurve indes langsam nach unten. Zudem sticht heraus: In Westdeutschland gibt es mehr Freiwillige als im Osten der Republik, auf dem Land gibt es mehr Engagierte als in der Stadt und der Frauen-Männer-Anteil ist mittlerweile ausgeglichen.
Auch die Engagement-Forscherin Jana Priemer bezieht sich im Gespräch mit rbb|24 auf die Zahlen des Freiwilligen-Surveys. Sie forscht am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfoschung (WZB). Zwar erscheinen die Zahlen aus 2019 auf den ersten Blick nicht besonders aktuell, sagt sie. Man könne sich aber guten Gewissens darauf beziehen. Ebenso berufen sich die Staatskanzlei des Landes Brandenburg und die Berliner Senatsverwaltung für Gesellschaftlichen Zusammenhalt auf rbb-Nachfrage auf diese Erhebung.
Die Wissenschaftlerin erklärt auch, dass sich das Engagement im Laufe der Jahrzehnte verändert habe. "Menschen engagieren sich heutzutage flexibler und in akuten Situationen, wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal oder bei der Flüchtlingshilfe. Das Engagement ist also mehr Anlassbezogen. "Freiwillige Mithilfe bei der Blaskapelle sei indes nicht mehr so angesagt, so Priemer. Der Trend gehe zudem mehr Richtung gesellschaftlich relevanter Themen wie Bildung. Das hänge auch damit zusammen, dass die Menschen heutzutage öfter umziehen und deswegen oft keine ausgeprägte Verbundenheit mehr zum heimatlichen Verein wie der Blaskapelle hätten. Das bringe die Mitgliederzahlen in diesem Bereich zum Sinken.
Immer noch hoch sei allerdings das Engagement im Bereich Sport, so Priemer. Aber auch in diesem Bereich werde es immer schwerer, Trainerinnen und Trainer zu finden. Allerdings komme es auch hier auf den Sport und damit verbundene Trends an: "Klettervereine erleben gerade einen Aufschwung, während in Schützenvereinen eher der Nachwuchs fehlt", so die Wissenschaftlerin.
Gesondert dargestellt wird in dem Survey das Engagement in der Geflüchtetenhilfe. Der Ländervergleich zeigt: Hier engagieren sich deutschlandweit 12,4 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. Berlin liegt mit 15,8 Prozent deutlich über dem Durchschnitt und belegt damit hinter Hamburg (16,3 Prozent) Platz zwei. Brandenburg liegt mit 11,1 Prozent auf den hinteren Plätzen.
Das Engagement der Berliner in der Geflüchtetenhilfe bestätigen auch zwei Berliner Organisationen auf Nachfrage von rbb|24: Mary Buteyn von der Stadtmission Berlin sagt, dass sich jede Woche neue Freiwillige bei ihr melden würden, die beim Sprachcafé mitwirken wollen. Bei dem Angebot geht es darum, unterschiedliche Nationen mit deutschen Muttersprachlern zusammenzubringen, um gemeinsam die deutsche Sprache zu üben.
Auch Mónica Pessoa von der Fachgruppe Deutschkurse von der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant:innen Berlin (KuB) teilt rbb|24 mit: Seit dem Krieg in der Ukraine seien wieder viele neue Ehrenamtliche dazugekommen, nachdem die verzweifelte Lage der Geflüchteten so viel Aufmerksamkeit erfahren habe.
Doch Pessoa sagt auch: die Ehrenamtlichen in der Geflüchtetenhilfe hätten das Gefühl, einen großen Teil der Arbeit im Migrationsbereich machen zu müssen und dies sei ein Zeichen dafür, dass die Politik ihrer Aufgabe nicht nachkomme. Hier fehlt es also offenbar deutlich an Wertschätzung und Unterstützung. Engagement-Forscherin Priemer hat bei ihrer Arbeit ebenso herausgefunden: Freiwillige fühlen sich nicht wertgeschätzt, wenn sie als "Lückenbüßer" eingesetzt würden und unentgeltlich eine Aufgabe erfüllen müssten, die eigentlich staatlich sei.
Dennoch: Dass freiwilliges Engagement wichtig und unentbehrlich sei, sei in der Gesellschaft und auch in der Politik klar, sagt Priemer. "Das sieht man zum Beispiel daran, dass Politiker die Idee eingebracht haben, ein soziales Pflichtjahr einzuführen."
Der Sozialwissenschaftler Joachim Klewes vom Institut "Change Centre" nennt auf Nachfrage von rbb|24 noch ein anderes Beispiel für die Anerkennung der Freiwilligenarbeit. 2022 haben er und sein Forscherteam 2.000 Engagierte in Brandenburg für eine Studie befragt. Dabei habe er den Eindruck gewonnen, dass Arbeitgeber:innen freiwilliges Engagement ihrer Mitarbeitenden eher befürworten als ablehnten. Er nennt ein Beispiel: Eine Firma in Brandenburg habe auf dem Firmengelände eine Garage für ein Feuerwehrfahrzeug zur Verfügung gestellt, damit die im Unternehmen arbeitenden freiwilligen Feuerwehrleute bei Alarm schneller ausrücken können.
Bleibt die Frage: Wollen Menschen, die sich engagieren, eine Auszeichnung für ihre Arbeit bekommen? Sozialforscherin Jana Priemer sagt dazu: "Die Ehrennadel zu 30 Jahren Mitgliedschaft wollen vor allem die jungen Freiwilligen heutzutage nicht mehr. Sie wünschen sich eher eine Bescheinigung für den Lebenslauf." Aber: Eine Auszeichnung des Bundespräsidenten sei anders gelagert: "Als eine Person von rund 30 Millionen Freiwilligen ausgezeichnet zu werden, das ist schon was."
Klewes untermauert diese Aussage für Brandenburg sogar mit Zahlen: 62 Prozent der Befragten gaben in der Ehrenamtsstudie an, Ehrungen aus eigener Erfahrung zu kennen. Aber nur 41 Prozent hielten diese für wichtig. In den Gesprächen mit Freiwilligen sei auch deutlich geworden, dass Vereine es eher als Belastung statt als Nutzen empfinden, wenn das Land um Vorschläge für Ehrungen bitte. "Warme Worte und symbolische Preise schaden sicher nicht. Ihren Nutzen entfalten sie aber nur, wenn sie durch konkrete Unterstützung für die Engagierten hinterlegt werden – sonst stoßen sie eher sauer auf", so Klewes.
Und was sagen die Freiwilligen dazu? Die meisten Freiwilligen, die sich in der KuB engagieren, tun das eher nicht wegen gesellschaftlicher oder politischer Wertschätzung, erklärt Pessoa. "Sie machen das, weil sie sehen, dass Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, mit lebenswichtigen Aufgaben alleine gelassen werden." Sicherlich seien Auszeichnungen aber wichtig, um die Aufmerksamkeit auf relevante Themen in der Gesellschaft zu lenken. Ähnliches sagt Mary Buteyn von der Stadtmission Berlin. Sie finde die Idee der Würdigung durch den Bundespräsidenten gut: "Das lenkt den Fokus auf die Arbeit der Freiwilligen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.09.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Kira Pieper
Artikel im mobilen Angebot lesen