Gewalt und Kriminalität
Drogen, Gewalttaten, Razzien - der Berliner Görli ist der Park mit dem wohl miserabelsten Image Deutschlands. Ein Dealer, ein Sozialarbeiter und ein aus Gambia stammender Koch erzählen, wie sie den Park sehen und wie die Probleme gelöst werden könnten. Von H. Daehler und W. Siebert
Es ist Freitagabend, 20 Uhr. Im Görli herrscht Festivalstimmung. Jugendliche aus dem Kiez rappen auf der Rampe vor dem ehemaligen Edelweiß-Restaurant. Vor ihnen ein kleines Publikum, das im Beat nickt und Videos dreht. Hinter dem Eingang am Lausitzer Platz geht die Sonne unter. Dort stehen Männer, die offensichtlich Drogen verticken. Die Kundschaft kommt im Minutentakt.
"Es sind ungefähr 300 Männer aus Gambia, Guinea-Bissau, Senegal und anderen afrikanischen Ländern, die hier im Park Drogen verkaufen", sagt Moro Yapha. Er kam vor einigen Jahren selbst von Gambia nach Berlin und arbeitet heute als interkultureller Mediator bei Fixpunkt, einem sozialen Träger, der sich für Gesundheitsförderung und eine sozialere Drogenpolitik einsetzt. Er kennt die Menschen im Park, spricht in vielen Fällen ihre Sprache und berät sie unter anderem bei gesundheitlichen Problemen.
Moro Yapha betrachtet sich selbst als Aktivist und fordert Verständnis für die Männer, die hier im Park Drogen verkaufen: "Sie haben keine andere Wahl. Man muss ihnen eine Möglichkeit geben, zu arbeiten. Niemand will Drogen verkaufen, sich strafbar machen oder von der Polizei festgenommen werden." Die benannte Polizei ist derweil jeden Tag mit einer sogenannten Brennpunkt-Einheit im Park und dem angrenzenden Wrangelkiez auf Streife.
1.567 Straftaten verzeichnete die Berliner Polizei dabei im vergangenen Jahr im Görlitzer Park. Das sind auf dem Papier erst mal mehr als in jedem anderen Park in Berlin. Dabei lohnt sich allerdings ein genauerer Blick auf die Art der Straftaten: 292 registrierte Delikte sind sogenannte "Aufenthaltsdelikte" und 719 sind Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Laut Polizei Berlin sind das erfahrungsgemäß jene Vergehen, die umso häufiger registriert werden, je häufiger auch kontrolliert wird. Schaut man sich andere Delikte wie Sexualstrafdelikte an, zeigt sich: Im Mauerpark (10) oder im Volkspark Friedrichshain (9) gab es im Jahr 2022 sogar mehr als im Görlitzer Park (7).
Neben den Beamt:innen der Berliner Polizei sind auch Sozialarbeiter:innen von Fixpunkt und weiteren sozialen Trägern im Görlitzer Park aktiv. Täglich sind zwei sogenannte "Parkläufer" bis spät abends im Görli und dem angrenzenden Wrangelkiez unterwegs, um Konflikte zu lösen, bevor die Polizei eingreifen muss. Daneben gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die mit kleinen und großen Projekten versuchen, das Zusammenleben im Park aktiv zu verbessern. Alle zwei Monate tauschen sich laut Bezirk die Beteiligten bei einem runden Tisch über die aktuelle Situation aus. Mit dabei sind auch die Berliner Polizei und das Grünflächenamt.
An diesem Freitagabend wird Yapha von einem Mann in schwarzer Lederjacke und Basecap angesprochen. Sie kennen sich. Der Mann nennt sich im Gespräch etwas scherzhaft "King". Schnell gibt er zu, dass er hier auch Drogen verkauft. "Ich verkaufe Drogen. Warum? Weil ich keine andere Wahl habe", sagt er und fügt an, dass er mit ganz anderen Vorstellungen nach Deutschland gekommen ist.
"Ich hatte die Erwartung, dass ich in hier auf jeden Fall einen Job finde. Ich würde jeden Job annehmen. Ich habe aber keine Arbeitserlaubnis." Eigentlich dürfte "King" nicht einmal in Berlin sein, denn sein zugewiesener Aufenthaltsort ist Sachsen-Anhalt. So macht er sich nicht nur strafbar mit dem Verkauf von Drogen, er verstößt auch gegen das Aufenthaltsrecht. Würde er also kontrolliert, würde auch er in die Kriminalitätsstatistik des "Görli" eingehen, unter anderem als 293. Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht.
Die Debatten um die Sicherheit rund um den Görlitzer Park keimten derweil im Juni erneut auf. Anlass war eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park. Kurz darauf gab es Verwirrung um die Anzahl der erfassten Sexualdelikte. Nach einer parlamentarischen Anfrage kursierte in den Medien die Zahl von sechs Vergewaltigungen, die im ersten Halbjahr 2023 im Görlitzer Park stattgefunden haben sollen.
Diese Behauptung stimmte allerdings nicht, hatte die "Taz" im Nachhinein mit einer Anfrage bei der Berliner Polizei herausgefunden. Es war eine Vergewaltigung, die im Park stattfand. In den anderen fünf Fällen bezog sich die örtliche Zuschreibung "Görlitzer Park" auf den gesamten kriminalitätsbelasteten Ort, zu dem auch der gesamte Wrangelkiez gehört.
Dass Geflüchtete aus afrikanischen Ländern nicht zwangsläufig als Dealer im Park und somit im Umfeld von Straftaten landen müssen, zeigt die Arbeit des Vereins Bantabaa. Dieser hat sich in vielen Fällen für Geflüchtete eingesetzt. Im gleichnamigen Restaurant in der Wrangelstraße arbeitet Siyaka "Isak" Keita als festangestellter Koch. "Es wäre so einfach für mich gewesen, in den Park zu gehen und dort Drogen zu verkaufen. Aber ich habe gesagt, ich will das nicht."
Dank Bantabaa habe er sich weiterbilden können und sei nun in einer geregelten Beschäftigung. "Der Verein hat mein Leben verändert. Wo ich ohne die Hilfe von Bantabaa jetzt wäre, will ich mir gar nicht vorstellen." Er betont mehrfach, dass er viel Durchhaltevermögen und Geduld gebraucht hat, um nicht in die Illegalität abzurutschen.
Gegründet wurde der Verein Bantabaa (in der westafrikanischen Sprache Mandinka: Treffpunkt) von der Juristin Brigitta Varadinek. Sie wohnt im Wrangelkiez, kennt den Drogenhandel im Park und in den umliegenden Kiezen seit Jahren und sagt, dass Gewalt und Straftaten zugenommen hätten: "Es zeigt die gescheiterte Asylpolitik in Deutschland. Die Männer müssten einen legalen Status mit einer Arbeitsgenehmigung bekommen. Damit wäre das Problem weitgehend gelöst." Kombiniert mit Integrationsangeboten hätte man so die Mehrzahl der Dealer aus dem Park, ist Varadineks Einschätzung.
Seit gut sechs Jahren versucht auch der Parkrat, bestehend aus Anwohner:innen und Vertreter:innen von Initiativen, die Situation im Görli für alle zu verbessern. Die Parkräte Christopher Wollin und Martin Storck sind überzeugt, dass die Dealer alleine nicht das Problem sind: "Solange die Nachfrage nach Drogen besteht, organisiert sich auch der Handel. Menschen die drogenkrank sind, muss man gezielt betreuen und unterstützen. Dafür sind aber massive Investitionen erforderlich", sagt Wollin.
Für diese Investitionen fehlt aber offiziellen Angaben zufolge das Geld. Auf rbb-Anfrage teilte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit, man habe schon mehrfach an den Senat appelliert und um Unterstützung bei den Themen "Sucht" und "Obdachlosigkeit" gebeten. Die Innenverwaltung hingegen betont auf Anfrage, man unterstütze das Anliegen des Bezirks und wolle sich im Rahmen des einberufenen Sicherheitsgipfels für einen Ausbau solcher sozialen Angebote aussprechen.
Der Vorschlag, den Park stattdessen zu umzäunen und nachts zu schließen, stößt bei den Menschen, die den Park tagtäglich betreten und erleben, auf wenig Zustimmung. Für Parkrat Storck hieße das "erst recht No-Go-Areas zu schaffen. Der Park muss auf jeden Fall offen bleiben. Das sind alles keine Vorschläge, die von Leuten kommen, die wissen, wie man es machen sollte".
Moro Yapha, der gambische Kulturmittler von Fixpunkt pflichtet bei. Es brauche mehr Investitionen in mehr Sozialarbeiter. Wenn der Park abgeschlosen werde, würden die Menschen im Park genau dasselbe tun wie vorher. Aber dann in den Kiezen vor den Haustüren und in den Hauseingängen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.09.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Helena Daehler & Wolf Siebert
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