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Quelle: rbb/NDR/beckground TV

ARD-Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen"

Jessy Wellmer spricht mit Ostdeutschen über Frust und neue Ostidentität

Die AfD im Aufwind, Vorurteile über "Ossis" und die Fehler des Westens: 33 Jahre nach der Wiedervereinigung wird über den Osten Deutschlands emotionaler gestritten denn je. Jessy Wellmer ergründet für eine neue ARD-Reportage die ostdeutsche Gefühlslage.

Pierre Bartholomäus ist Fluggerätemechaniker und dafür mitverantwortlich für die Flugzeugsicherheit. Er ist zufrieden mit seinem Job, sagt er. Aber eines nervt ihn: Er, der Ostdeutsche, muss jede Woche zweieinhalb Stunden länger arbeiten als sein West-Kollege - bei gleichem Gehalt.

"Das trifft mich emotional ganz hart, muss ich wirklich sagen. Also es nervt die Leute, auch ständig an zweiter Stelle zu stehen, also so Mitarbeiter zweiter Klasse zu sein. Wir diskutieren hier permanent über die Gleichberechtigung von Mann und Frau und schaffen es aber nicht, hier Ost und West irgendwie mal anzugleichen", sagt Bartholomäus der ARD-Journalistin Jessy Wellmer. Nach ihrer letzten Reportage über das Verhältnis der Ostdeutschen zu Russland schrieb er ihr kritisch - jetzt ist er selbst Teil der neuen Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutschen und der Westen" geworden.

AfD in Umfragen stärkste Partei im Osten

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AfD liegt in Umfragen im Osten vorn

Jessy Wellmer ist selbst Ostdeutsche, im mecklenburgischen Güstrow geboren und aufgewachsen. Sie begibt sich auf eine Reise durch Deutschlands Osten, um zu verstehen, was die Menschen gerade umtreibt, wie sie sich fühlen und wie sie das Verhältnis zum Westen sehen. Denn auch 33 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Thema Wiedervereinigung offenbar nicht abgeschlossen: Gerade aktuell wird intensiv über den Osten debattiert.

Das liegt zum einen an den jüngsten Erfolgen der AfD im Osten: Die AfD stellt seit diesem Sommer bundesweit den ersten Landrat in Thüringen, den ersten hauptamtlichen Bürgermeister in Sachsen-Anhalt - in Umfragen liegt die AfD vor allen anderen Parteien in Sachsen, Thüringen und Brandenburg - wo im kommenden Jahr neue Landtage gewählt werden. Wellmer spricht mit Menschen, die wie so viele im Osten die rechtspopulistische AfD für eine politische Alternative halten, wie Bürger im brandenburgischen Seelow. "Wenn ich sehe, was da für ein Kasperletheater oben sitzt - es ist alles nur noch unmenschlich und die kriegen Geld für sinnlose Scheiße", sagt ihr ein Seelower über die Volksvertreter.

Ab 18 Uhr in der ARD-Mediathek

"Hört uns zu" - ARD-Reportage von Jessy Wellmer

"Für jemand aus dem Osten bist du ganz nett"

Die lautstarken Debatten werden aber auch geführt, weil vermehrt ostdeutsche Stimmen zu hören sind, die in einem zornigen Ton den Westen, seinen Umgang mit dem Osten und eigene Diskriminierungserfahrungen anprangern. Der Zorn ist offenbar nicht nur dem Wunsch geschuldet, vom Westen gehört und besser verstanden zu werden. Er könnte auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins und einer ausgeprägten Ostidentität sein.

Der Autor Dirk Oschmann ist mit diesen Themen in den vergangenen Monaten zu einer Art Star des Ostens aufgestiegen. Wie kein zweiter befeuert er die aktuelle Ost-West-Debatte. Sein Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" ist eine polemische Abrechnung mit dem Westen. "Der Westen produziert Ausschlussmechanismen ohne Ende", sagt er Wellmer aufgebracht. Bei seinem Publikum kommen seine Thesen, wie "Der Osten erscheint als Geschwür am Körper des Westens, das ihm dauerhaft Schmerzen bereitet" gut an. Wellmer spricht in ihrer Reportage mit einer Besucherin: "Eins ist mir auch klar geworden durch die Lektüre des Buches: Es existiert nach wie vor die Diskriminierung. Es ist immer ein großes Erstaunen, was, du bist aus dem Osten, Du bist doch eigentlich ganz nett." Sie spreche solche Diskriminierungen inzwischen mit ihrem größeren ostdeutschen Selbstbewusstsein an.

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Ausgeprägte Ostidentität unter Jüngeren

Teil des Films sind eigens in Auftrag gegebene repräsentative Umfragen, die die Stimmung in Ost- und Westdeutschland abbilden. Eine Umfrage zeigt zum Beispiel deutlich die unterschiedliche Identitätswahrnehmung von "Ossis" und "Wessis": In Ostdeutschland fühlen sich 40 Prozent eher als Ostdeutsche - und als Deutsche 52 Prozent, in Westdeutschland nur 18 Prozent als Westdeutsche - und als Deutsche 76 Prozent.

Junge Ostdeutsche stolz und gegen rechts

Das Erstaunliche: Vor allem für die Jüngeren, in den 1980ern und 1990ern Geborenen spielt das Thema Ost und West wieder eine große Rolle. Laut einer Studie der Otto-Brenner Stiftung von 2019 fühlen sich 68 Prozent der Ostdeutschen, die nach Mauerfall geboren wurden, dem Osten besonders verbunden. "Alle werden immer so gebasht dafür, dass sie im Osten leben. Und es ist doch ein bisschen geil, wenn man manchmal sagt, ja nö – ich find’s geil!", sagt Nina Kummer von der Chemnitzer Band Blond.

Ihr und ihren Bandmitgliedern, Schwester Lotta Kummer und Johann Bonitz, ist es wichtig, sich klar gegen das Vorurteil abzugrenzen, dass im Osten alle rechts wählen. "Das darf man nie vergessen, dass es hier einfach wirklich ein Haufen Nazis wohnen. Und das ist ein Problem. Aber wir wohnen halt auch hier und wir haben auch eine Geschichte zu erzählen und die ist positiver. Ich möchte eigentlich, dass man sich mit den Strukturen auseinandersetzt, die bekämpft und ich hier einfach trotzdem in der Stadt wohne, die mir gefällt", sagt Kummer.

Promis, Politiker, Bürgerinnen und Bürger kommen zu Wort

Auf der Suche nach Antworten spricht die Journalistin mit Menschen unterschiedlichen Alters und Hintergrunds, prominent als auch weniger bekannt. Neben Bestseller-Autor Dirk Oschmann und der Indie-Pop-Band Blond aus Chemnitz sind das unter anderem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Fußballtrainer Steffen Baumgart vom 1. FC Köln und der langjährige Chefredakteur der "Super-Illu" Jochen Wolff.

Jessy Wellmer reist nach Seelow und Zeuthen in Brandenburg und Leipzig, trifft Sozialwissenschaftler und Kommunalpolitiker, Bürgerinnen und Bürger, die stolz, frustriert, enttäuscht oder aktivistisch unterwegs sind. Sie alle eint, dass sie reden und gehört werden möchten.

Die ARD-Reportage "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen" läuft am Montag, 25. September 20:15 Uhr im Ersten - oder ab Freitag, 22. September 18 Uhr in der ARD Mediathek.

Sendung: Im Ersten, 25.09.2023, 20:15 Uhr

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