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Video: rbb24 Abendschau | 25.10.2023 | Kerstin Breinig | Quelle: dpa/Vladimir Menck/SULUPRESS.DE

Überlastung bei der Berliner Polizei

"Die Kolleginnen und Kollegen gehen schon unterhalb des Zahnfleischs"

Die Arbeitsbelastung bei der Berliner Polizei ist nicht erst seit gestern enorm hoch. 2,5 Millionen Überstunden sind nach Gewerkschaftsangaben bereits aufgelaufen. Und es besteht kaum eine Chance, diese abzubauen. Von Oda Tischewski

Über Mangel an Arbeit kann sich Berlins Polizei nie beschweren: Kundgebungen und Demonstrationen, Staatsbesuche und die Bewachung der Regierungsgebäude, Fußballspiele und organisierte Kriminalität – der ganz normale Berufsalltag. In den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten allerdings sind weitere Einsatzfelder hinzugekommen: Je mehr die Gesellschaft zu Themen wie Nahost, Klimakatastrophe, Ukraine-Krieg oder Pandemieschutz untereinander auszudiskutieren hat, desto häufiger wird Berlin zur Kulisse auch eskalierender Konflikte. Mittendrin: Die Berliner Polizei. Und die kommt mittlerweile an ihre Grenzen.

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Für Benjamin Jendro ist ganz klar: Das Limit der Berliner Polizistinnen und Polizisten ist erreicht. "Wir haben 2,5 Millionen Überstunden bei der Berliner Polizei und die Kolleginnen und Kollegen kommen gar nicht zum Abbauen", klagt der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft GdP. "Man sagt dann immer, irgendwann wird eine entspanntere Lage sein – ich sehe die noch nicht. Silvester steht vor der Tür, wir haben im nächsten Jahr eine Fußball-Europameisterschaft auch in unserer Stadt mit sechs Spielen – in Berlin passiert halt immer was."

Für Barbara Slowik daher auch Berliner Routine: "Also im Moment ist die Kräftelage deutlich angespannt, die Polizei Berlin ist stark gefordert – das ist so", sagt die Polizeipräsidentin. "Gleichzeitig nehmen wir in diesen Tagen eine gewisse Beruhigung der Lage zur Kenntnis. Es ist auf den Straßen etwas ruhiger geworden, die Versammlungsanzeigen sind zurückgegangen." Ihre Einsatzkräfte nehme sie als sehr motiviert wahr, so Slowik – bislang könne die Berliner Polizei alle ihre Aufgaben bewältigen.

Hilfe aus Bund und Ländern angefordert

Wie aber vermutlich jeder im Moment das Gefühl hat, dass nach jeder Krise einfach eine nächste kommt, so sieht die Berliner Polizei, dass die Hauptstadt immer wieder Schauplatz und Austragungsort dieser Krisen ist. 17 Hundertschaften stehen ihr zur Verfügung, um neben ihren bisherigen Aufgaben auch die jetzt neu hinzukommenden Probleme zu bewältigen: Blockaden der Letzten Generation, die Ausschreitungen von Hamas-Sympathisanten auf der Sonnenallee. Fünf weitere Hundertschaften können in solchen Fällen aus den Polizeiabschnitten mobilisiert werden. Doch die fehlen dann an ihren üblichen Einsatzorten. Ohne zusätzliche Hilfe sei das nicht zu stemmen, so GdP-Sprecher Jendro.

"Wir haben in der letzten Woche Bilder gesehen, dass Polizeiketten im Jahr 2023 ein Holocaust-Denkmal neben dem Brandenburger Tor vor einer Schändung schützen müssen. Und da müssen sich der Bund und auch die einzelnen Bundesländer beteiligen. Es gab jetzt zur Solidaritätsdemo am Sonntag ein bisschen Unterstützung, aber wir brauchen sie ehrlicherweise dauerhaft, denn unsere Kolleginnen und Kollegen gehen schon unterhalb des Zahnfleischs."

Doch Bund und Länder könnten nicht immer unterstützen, so Jendro: "Es ist so, dass dann ein Unterstützungsersuchen rausgeht, an den Bund und die Länder, aber es gibt keine Verpflichtung, dem auch nachzukommen. Wenn die Bundesländer eigene Lagen haben – und da reicht zum Beispiel, wir haben heute in Bayern eine Versammlungslage, bei der wir nicht wissen, wie’s läuft – dann schicken die auch keine Kräfte."

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Start der stationären Grenzkontrollen

Und auch die Bundespolizei kann derzeit kaum auf Personal verzichten, um Berlin auszuhelfen. Vor kurzem haben die stationären Kontrollen an der Grenze zu Polen begonnen, mit denen die Bundesregierung die Migration nach Deutschland eindämmen will. Hier werden viele Einsatzkräfte langfristig gebunden – denn Lars Wendland von der Brandenburger Polizeigewerkschaft rechnet mit einer Verlängerung der zehntägigen Testphase: "Man muss einfach sagen, die Kolleginnen und Kollegen können nicht mehr, die sind über dem Limit und wir haben schon gerade auch in den Bereichen jetzt wirklich Personal von überall aus Deutschland und ich behaupte, wir halten das nicht allzu lange durch."

Für Jendro sind angesichts dieser Belastungen die Forderungen klar: Eine Aufstockung des Etats für die Berliner Polizei, dauerhafte Unterstützung aus Bund und Ländern und eine erneute Reform des Berliner Versammlungsfreiheitsgesetzes - zum Beispiel durch mehr präventive Maßnahmen: "Wir sehen ganz klar, dass Polizei und Justiz nicht in der Lage sind, entsprechend schnell auch so zu reagieren, dass man die Leute, die Straftaten begehen, dass man die aus dem Verkehr zieht. Also Haushaltsberatungen aus unserer Sicht müssen momentan unterbrochen werden, man muss Polizei und Justiz schnell an einen Tisch holen und ähnlich wie bei der Bundeswehr jetzt ein Paket schnüren. Dann sollte man Polizei und Justiz auch mal fragen, was braucht ihr denn eigentlich noch aktuell, weil klar ist auch, wir hätten gern ganz, ganz viel Personal – aber das wächst nicht auf Bäumen."

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

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