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Audio: rbb24 Inforadio | 15.10.2023 | Oda Tischewski | Quelle: imago images/R. Kremming

Illegaler Müll auf Berliner Straßen

Unterwegs mit der "Soko Müll" in Neukölln

Was zu groß für die Mülltonne ist, landet in Berlin oft auf der Straße. In Neukölln hat das Problem mittlerweile so große Dimensionen erreicht, dass das Ordnungsamt zu einer besonderen Maßnahme gegriffen hat: Müll-Ermittler. Von Oda Tischewski

Eine Matratze am Baum, ein paar Tage später ein windschiefes schwedisches Regal daneben, bald darauf ein Röhrenfernseher mit Sprung im Bildschirm. Der Alibizettel "Zu Verschenken" ist längst abgefallen. Der Nachbarshund hat den Matratzenbezug markiert. Müll wie diesen sieht man in Neukölln häufig, in den dicht besiedelten Wohngegenden im Norden des Bezirks steht in fast jeder Straße irgendwas auf dem Bürgersteig. Und wo schon was steht, da kommt schnell noch mehr dazu.

Vor sieben Jahren hat Neukölln das Problem "illegale Müllablagerungen" in den Fokus genommen und eigens Mitarbeitende des Ordnungsamtes dafür abgestellt, um für mehr Sauberkeit auf den Straßen zu sorgen – und die Besitzer von Sperrmüll und anderem Unrat entweder auf frischer Tat zu ertappen oder mit Hilfe von Indizien aus dem Müll zu ermitteln. Zwei von ihnen – sie möchten hier "Pawel" und "Bronko" genannt werden – haben sich an diesem späten Nachmittag in ihrem zivilen Streifenwagen auf den Weg gemacht.

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Zerfetzte Couchgarnitur in 20 Sekunden ausgeladen

Etwa 15.000 Meldungen aus der Bevölkerung zum Thema Müll erreichen das Neuköllner Ordnungsamt jedes Jahr. Dazu kommen Hinterlassenschaften, die die "Müllermittler" selbst finden, an den bekannten "Hotspots", die sich zur schnellen Beseitigung besonders gut eignen: menschenleere Straßen meist in Gewerbegebieten, ohne Wohnhäuser, ohne Geschäfte, ohne helle Straßenbeleuchtung. Wie lange dauert es, hier mal eben eine zerfetzte Couchgarnitur auszuladen? "Manchmal nur 20 Sekunden", erzählt "Bronko". 20 Sekunden, in denen er und sein Kollege die Tat erkennen, bis zur Vollendung filmen und den Täter oder die Täterin am Wegfahren hindern müssen.

In einer abgelegenen, kopfsteingepflasterten Straße steigen die beiden aus dem Wagen und ziehen Gummihandschuhe an. Eine Seite der Fahrbahn wird von einem weitmaschigen, verbeulten Drahtzaun gesäumt, entlang des Zaunes liegen blaue Müllsäcke, aus denen Dämmwolle, Reste von grauem Teppichboden und Kabel quellen. Nach Hausmüll sieht das nicht aus, eher nach den Resten einer Renovierungsaktion. Ein Stapel mehr als 40 Jahre alter Zeitungen hat vermutlich bis vor kurzem noch als Dämmmaterial in einer Laube gedient. Hinweise auf die Verursacher können "Pawel" und "Bronko" hier nicht entdecken. Sie melden den Müll der Berliner Straßenreinigung (BSR), die seit dem Frühjahr 2023 für seine Beseitigung auch gesetzlich zuständig ist. Dann geht es weiter.

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"Neukölln ist besonders krass"

Wer im Streifenwagen der "Soko Müll" unterwegs ist, der bekommt auf einmal den Eindruck, ganz Neukölln bestehe nur noch aus Abfallhaufen an Straßenrändern. Das Problem hat in den letzten Jahren berlinweit zugenommen. Die Bevölkerungsstruktur Nord-Neuköllns allerdings, die häufig wechselnden Bewohnerinnen und Bewohner, scheinen den Bezirk zu einem Sonderfall zu machen. Das haben auch schon Studierende beobachtet, die zum Müll in Neukölln forschen. Olaf Korbjuhn, Leiter des Neuköllner Ordnungsamtes, konstatiert: "Neukölln ist besonders krass. Wenn man sich die Zahl der Meldungen anguckt, sind Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg mit im Rennen, aber wenn man das dann mit Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg oder auch Steglitz-Zehlendorf vergleicht – das ist eine ganz andere Dimension: viel, viel, viel kleiner."

"Bronko" und "Pawel" haben in einer provisorischen Wendebucht in einem Neuköllner Industriegebiet einen Zufallsfund gemacht: Tütenweise Abfall, hier vor allem Papier, aber auch eine verrottende Melone, die einen üblen Geruch verbreitet. Hinweise auf die Besitzer des Mülls finden sich hier genug – was genau das sein kann, ist Berufsgeheimnis. Denn 95 Prozent der Anhaltspunkte führen sie tatsächlich zum Verursacher – und das soll auch künftig so bleiben. Nach einer telefonischen Abfrage beim Einwohnerregister können sie losfahren: Nun gibt es einen Namen und eine Adresse.

"Müllermittler" an der Haustür

Kurz danach hält das Auto vor einem schmuddeligen Mehrfamilienhaus in der Nähe des Tempelhofer Feldes. Geklingelt wird bei den Nachbarn. Die sind zwar nicht begeistert, dass sie das Ordnungsamt ins Haus lassen sollen, wollen aber auch keinen Ärger: Der Türöffner summt, mit einem ächzenden Aufzug geht es in den 5. Stock. Die Wohnungstür steht offen, drinnen steigt offenbar ein Kindergeburtstag. Besuch vom Ordnungsamt war dabei nicht eingeplant. "Bronko" und "Pawel" klopfen, stellen sich vor, erklären, warum sie hier sind.

Große Aufregung: Die Mutter der Familie sagt, sie wisse von nichts. Sie erwähnt einen Ex-Mann, der nach einer Havarie ihren Keller ausgeräumt habe, und eine namenlose Haushaltshilfe, die die Wohnung putzt – festlegen will sie sich nicht. Das Wort "Anzeige" schreckt sie auf. Ein Freund der Familie vermutet, jemand wolle ihr schaden, indem er ihren Müll an der Straße platziere. Immer wieder kommen Kinder an die Tür, werden hineingeschickt. Die beiden Mitarbeiter vom Ordnungsamt haben alle Hände voll zu tun, die Vorwürfe und deren Konsequenzen zu erläutern. Am Ende soll es dann wohl doch der Ex-Mann gewesen sein. Den Müll muss die Frau entfernen lassen.

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Ordnungsgeld von bis zu mehreren Tausend Euro droht

Viele hielten die illegale Ablagerung von Sperrmüll und anderem Unrat für ein Kavaliersdelikt, erzählt "Bronko". Ihnen sei nicht klar, was daraus folge: Eine Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit, ein Ordnungsgeld von bis zu mehreren Tausend Euro. Bei größeren Müllmengen, die die Ladekapazität eines herkömmlichen Pkw überstiegen, stehe auch mal eine Straftat im Raum. Und damit nicht genug: Die Verursacher müssten ihren Müll wieder mitnehmen und dessen fachgerechte Entsorgung nachweisen – sonst werde es noch teurer. "Jeder will es billig haben, schleppt die neue Matratze nach Hause – das schafft er. Aber er schafft es nicht, die alte Matratze zum Müll zu bringen. Der Staat ist nicht für den Müll der Menschen verantwortlich, das ist jeder für sich selber. Der Staat schafft nur die Möglichkeiten und die sind in Berlin flächendeckend super gelöst", sagt "Bronko".

Tatsächlich gibt es in Berlin schon seit Jahrzehnten keine regelmäßige Sperrmüllabholung mehr, so wie in anderen Bundesländern. Für 100 Euro allerdings kann jeder – ganz legal – bis zu fünf Kubikmeter Möbel oder Haushaltsgeräte von der Berliner Straßenreinigung abholen lassen. Darüber hinaus betreibt die BSR berlinweit 14 Recyclinghöfe, einen davon auch in Neukölln, und veranstaltet mehrmals im Monat sogenannte "Kieztage", an denen Anwohnerinnen und Anwohner ihre aussortierten Schätze oft nur wenige Meter zu einer Kreuzung, einem Park oder einem öffentlichen Platz bringen müssen, wo sie sie entsorgen, tauschen oder spenden können.

Möglichkeiten zur Müllentsorgung ungenutzt

Die Müllstapel an Straßenecken und auf Bürgersteigen allerdings zeigen, dass den Neuköllnerinnen und Neuköllnern diese Möglichkeiten offenbar entweder nicht bekannt, noch immer zu aufwendig oder einfach egal sind. Und so kommt es, dass "Bronko" und "Pawel" sich an diesem Abend noch einmal ins Auto setzen und zur Adresse des Mannes fahren, der den Müll seiner Ex-Frau am Straßenrand entsorgt haben soll. Auch hier rumpelt ein Fahrstuhl bis vor die Wohnungstür. Doch diese bleibt geschlossen, offensichtlich ist niemand zu Hause.

"Pawel" und "Bronko" werden den Fall nun voraussichtlich abgeben. Ob die Frau oder ihr Ex-Mann die Anzeige erhalten, das wird an anderer Stelle entschieden. "Bronko" und "Pawel" werden dann schon wieder auf Streife unterwegs sein und andere "Müllsünder" überführen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.10.2023, 09 Uhr

Beitrag von Von Oda Tischewski

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