rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Video: rbb24 Abendschau | 25.10.2023 | Anja Herr | Quelle: dpa/Paul Zinken

Gewalt in Krankenhäusern

"Wir rufen nicht so häufig die Polizei, wie wir es vielleicht tun sollten"

Schläge, Drohungen und Beleidigungen: Der Alltag in Krankenhäusern und Notaufnahmen ist für das Personal gefährlich. Was zwei Pflegerinnen schon erlebten und was sich ändern müsste. Von O. Tischewski, A. Herr und J. v. Bülow

"Mir hat jemand ins Gesicht geschlagen, meine Brille ist kaputtgegangen und ich durfte zwei Wochen lang mit einem blauen Auge rumlaufen. Einem Kollegen von mir ist es ein bisschen schlimmer ergangen: Der hat eine Messerattacke überlebt", sagt Stella. Sie ist Pflegekraft in einer Berliner Notaufnahme.

"Der Großteil der Erfahrungen sind verbale Bedrohungen und Beleidigungen sowie Androhungen von körperlicher Gewalt", erzählt Julia, die in einem Weddinger Krankenhaus arbeitet. Sie sagt: "Auch die verbale Gewalt setzt einen extrem unter Druck und nimmt einen psychisch mit."

Für Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte ist eine schwierige Situation: Eigentlich wollen sie helfen, sollen Patient:innen versorgen und den Überblick behalten, können sich bei der Arbeit aber nicht sicher fühlen.

Einsatzzahl verdoppelt, Dunkelziffer groß, Personal knapp

Fast zehntausendmal rückte die Berliner Polizei dieses Jahr schon zu Kliniken und Krankenhäusern aus, im letzten Jahr waren es 11.319 Einsätze, rund doppelt so viele wie noch 2013. Die häufigsten Straftaten: Diebstahl, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.

Hinzu kommt: Die Dunkelziffer von Gewaltfällen gegenüber Klinikpersonal sei deutlich höher, sagt Pflegerin Stella. Denn: "Oftmals kommt es zu einem Vorfall, aber wir kommen am Ende gar nicht dazu, den zu dokumentieren oder die Polizei zu rufen." Zu viele Patient:innen in den Notaufnahmen bei überlastetem Personal führten dazu, dass Patient:innen und Angehörige mitunter ausrasten oder Medikamente gestohlen würden.

 

"Begünstigende Faktoren dafür seien nach ärztlicher Einschätzung", so Klinkbetreiber Vivantes, "insbesondere Alkohol, Drogen und psychiatrische Erkrankungen und eine manchmal nicht erfüllbare Erwartungshaltung von Patient:innen." Pflegerin Stella sagt etwa: "Wenn ich von A nach B renne, von Schlaganfall zu Herzinfarkt, habe ich leider keine Zeit, auf eine Rückfrage eines Patienten zu antworten, der mich dieselbe Frage schon dreimal gefragt hat."

Es mangelt an Geld, Zeit und Arztterminen

Personalmangel, mangelnde Wertschätzung und Unterfinanzierung der Notfallversorgung - das sind die Ursachen, so Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft. Er sagt: "Die Politik muss das Grundübel der Krankenhauslandschaft anpacken und die Krankenhäuser endlich ausreichend und nachhaltig finanzieren." Vivantes verweist auch darauf, dass das Unternehmen jährlich rund zwei Millionen Euro für Rund-um-die-Uhr-Wachschutz bei Rettungsstellen ausgebe. Diese Kosten müssten bei der anstehenden Krankenhausreform durch das Bundesgesundheitsministerium mitgedacht werden.

Abseits von Geldfragen müssten die Patientenströme richtig gesteuert werden, so Schreiner. Pflegerin Julia kann das unterstreichen: "Auch durch die lange Wartezeiten auf ambulante Facharzttermine werden die Rettungsstellen regelmäßig von Patientinnen und Patienten aufgesucht, die vielleicht keinen Notfall haben." Die müssten aber acht und neun Monate auf einen Facharzttermin warten und hätten die Angst, dass in dieser Zeit etwas Schlimmeres passieren könnte und möchten das früh genug abklären.

Berliner Gesundheits Senatorin: Der Bund muss regeln

Konfrontiert mit den Schilderungen der beiden Krankenpflegerinnen sagt Gesundheitssenatorin Ina Czyborra dem rbb: "Mich macht es sehr wütend und traurig, dass das der Alltag ist." Auf die Frage, was Berlin tun könne, antwortet sie: "Es gibt eine Novellierung des Rettungsstellengesetzes, auch eine Novellierung der Krankenhausfinanzierung auf Bundesebene – da bringt sich das Land Berlin ein." Die Finanzierung der Versorgung sei aber eben Aufgabe des Bundes und der Krankenkassen. Zudem müsse man gegen die Gewaltbereitschaft in der Stadt vorgehen, dazu habe es zuletzt etwa einen Jugendgewaltgipfel gegeben.

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski, Anja Herr und Julian von Bülow

Artikel im mobilen Angebot lesen