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Audio: Inforadio | 26.09.2023 | Anke Burmeister im Gespräch mit Karl-Heinz Bomberg | Quelle: dpa/Hendrik Schmidt

Inhaftierte in der DDR

"Die Wunden einer Diktatur wirken lange nach"

Der Psychoanalytiker, Autor und Sänger Karl-Heinz Bomberg behandelt in seiner Praxis Menschen, die in der DDR traumatische Erfahrungen gemacht haben. Die Zahl der Patienten nimmt zu, sagt er im Interview.

rbb|24: Sie haben eine Praxis in Prenzlauer Berg und behandeln Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen aus der damaligen DDR. Wann kommen die Leute zu Ihnen und mit welchen Symptomen?

Karl-Heinz Bomberg: Es werden eher mehr als weniger, weil in der zweiten Lebenshälfte durch den Wegfall der Arbeit die Ablenkung wegfällt. Die biologischen Abwehrkräfte nehmen ab und gerade in der zweiten Lebenshälfte kommt Unverarbeitetes wieder hoch. Zunächst können die Menschen das gar nicht genau benennen. Sie sagen mir geht's nicht gut. Ich fühle mich ständig bedrückt. Ich fühle zu viele Ängste, irgendwie fühle ich mich in meiner Haut nicht wohl. Manchmal stellt sich heraus, dass eine traumatische DDR-Vergangenheit dahintersteckt; Zersetzungsmaßnahmen aber auch politische Haft, sodass ich mit einer Vielzahl von Beschwerdebildern zu tun habe.

Zur Person

Können Sie typische Beschwerdebilder nennen?

Die typischen Beschwerdebilder für Traumafolgestörung sind drei Kernsymptome. Das ist das Wiedererleben, das heißt, durch spezielle Situationen können schmerzhafte Erinnerungen ausgelöst werden und wieder hochkommen. Zweitens die Vermeidung – mit diesen Erlebnissen möglichst nichts zu tun zu haben. Und das dritte ist die Übererregung. Durch bestimmte Auslöser entstehen heftige Körperreaktionen.

Was sind das für Körperreaktionen?

Das sind zum Beispiel Ängste, die entstehen können. Das können Schweißausbrüche sein. Das kann ein beschleunigter Puls sein. Das können Herzbeschwerden sein, also vegetative Beschwerden verschiedener Art, die durch eine spezielle Situation wieder ausgelöst werden können, zum Beispiel durch Medienereignisse, aber auch durch andere Berührungspunkte mit früheren schmerzhaften Erlebnissen.

Menschen, die jetzt in den Ruhestand gehen, waren zur Wendezeit 30 bis Mitte 30, also in einer kraftvollen Zeit. Jetzt kommen sie zur Ruhe und merken, was mit ihnen passiert ist.

Der Ruhestand ist eine besondere Schwellensituation, wo diese Dinge nicht mehr kompensiert werden können. Arbeit ist nicht mehr vorhanden, die bisher bestehende Struktur ist nicht mehr vorhanden, und das ist eine ganz besondere Situation, wo man auf sich selbst geworfen ist.

Herr Bomberg, Sie selbst wurden 1984 an ihrem Arbeitsplatz in der Klinik in Pankow verhaftet. Drei Monate saßen Sie im Gefängnis in der DDR.

Das war erstmal ein ziemlicher Schock, ein Überraschungsangriff der Staatssicherheit mich am Arbeitsplatz wegzuholen. Ich weiß noch genau, wie mir die Handschellen umgelegt wurden. Und da bekam ich große Angst, aber ich bekam auch einen gewissen Stolz, weil ich etwas bewirkt hatte, auch wenn das mit sehr hohem Risiko behaftet war. In der Haft hatte ich dann später auch viele Schuld- und Schamgefühle. Und wie lange ich wirklich ins Gefängnis musste, war zunächst nicht klar.

Haben Sie eine posttraumatische Belastungsstörung?

Ich habe eine traumatische Situation erlebt, die auch einen Bruch in meinem Lebenslauf beinhaltet. Ich fühle mich aber nicht im engeren Sinne traumatisiert.

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Vielleicht auch deshalb nicht, weil Sie Lieder schreiben und immer noch singen. Sie haben mittlerweile dreizehn Alben herausgebracht. Sie verarbeiten in den Songs das, was sie erlebt haben. Hilft Ihnen das?

Das ist eine große Hilfe. Die künstlerische Arbeit zieht sich durch. Dann kommt noch meine psychoanalytische Ausbildung dazu. Ich bin Lehranalytiker an einem analytischen Institut, das hat mir auch geholfen. Der Kontakt zu Kollegen, die fachliche Aufarbeitung und schließlich das soziale Netz – sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun. Dazu gehört meine Familie. Dazu gehören aber auch viele Kollegen, Freunde, die dazu beitragen, dass man nach diesem, was man erlebt hat, zu einer posttraumatischen Reifung kommt. Das gelingt aber nicht jedem, und ich möchte das auch nicht bewerten, sondern das ist von vielen Faktoren abhängig.

Das alles ist vor über 30 Jahren passiert. Sie sagen, es kommen mehr Leute zu ihnen in die Praxis aus den genannten Gründen. Und dann hört man auf der anderen Seite: "Hört doch auf mit eurer Befindlichkeit. Nun macht doch mal einen Punkt". Wann kann man denn so einen Punkt machen?

Es ist wichtig, dass man versucht, sich fachliche Hilfe zu holen, weil das die Umgebung und private Beziehungen natürlich auch belastet. Die Indikation für eine psychologische, psychotherapeutische Mithilfe ist oft, dass der Freundeskreis nicht mehr ausreicht. Das gilt auch für posttraumatische Belastungsstörung. Das heißt, dass man die Kompetenz und die Neutralität eines entsprechenden Facharztes braucht, um sich ausreichend zu entlasten, um zu verarbeiten.

Auf der anderen Seite sollte das aber auch im gesellschaftlichen Gedächtnis bleiben und transgenerational weitergegeben werden, dass die Wunden einer Diktatur lange nachwirken. Das ist wichtig für das kollektive Gedächtnis und für die Öffentlichkeitsarbeit eines demokratischen Staates.

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Sie haben es schon angedeutet, es trägt sich über Generationen weiter. Mit welchen Langzeitfolgen rechnen Sie?

Das sind chronifizierte, komplexe posttraumatische Belastungsstörungen mit dem Kern von Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung, aber auch Stimmungsschwankungen, depressiven Folgeschäden, Angststörungen oder psychosomatischen Beschwerden. Und die stummen Betroffenen überwiegen nach wie vor, also Menschen, die immer noch still vor sich hin leiden.

Diese Menschen müssen angeregt werden, sich Hilfe zu holen, weil diese beschriebenen Spätfolgen eben weiter da sind und auf die nächste Generation weitergegeben werden. Mittlerweile habe ich auch Betroffene der nächsten Generation in Behandlung. Man muss damit rechnen, dass sogar die Enkel davon betroffen sind.

Wieso trägt sich so was so weit?

Es gibt zwei Aspekte dabei: einmal das, "was" weitergetragen wird und das, "wie" weitergetragen wird. "Was" weitergetragen wird, ist beispielsweise die Über-Identifikation der nächsten Generation mit dem Opferstatus der Eltern. Das "wie" sind die Kommunikationsstile, die weitergegeben werden.

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Nun gibt es viele Biografien und wir sind alle so unterschiedlich in unserem Dasein. Warum ficht es manche Leute an? Und warum manche Leute nicht?

Jeder Mensch hat aus seiner frühkindlichen Entwicklung schon Stärken und Schwächen mitgenommen. Diese Persönlichkeit ist ganz entscheidend, auch wie man mit bestimmten Erlebnissen umgeht und ob es zu einer posttraumatischen Reifung kommt. Wir alle sind ein Stückchen vulnerabel. Dem gegenüber steht die Resilienz, der Bereich der Ressourcen und wie es gelingt, durch die frühkindlichen Reserven, später auch durch soziale Netze und durch eigene Entwicklungsarbeit das zu bearbeiten und zu bewältigen.

Auch eine erfolgreiche Therapie kann eine wichtige Bewältigung darstellen. Dennoch gibt es Gewalt und Folter, die sind so stark, dass sie selbst den Stärksten umhauen. Man muss klarmachen, dass wir eben auch verletzbare Wesen sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anke Burmeister für rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte Fassung.

Sendung: 26.09.2023, 13:25 Uhr

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