Interview | Doku über Blaulichtreporter
Morris Pudwell arbeitet als Blaulichtreporter: Er lebt von den Fotos von Unfällen, Bränden oder Polizeirazzien, verkauft sie an Verlage, Zeitungen, auch an den rbb. Der hat ihn nun für eine Fernsehreportage begleitet. Ein Gespräch kurz vor Schichtbeginn.
rbb|24: Herr Pudwell, wie lief die letzte Nacht und was für Fotos haben Sie gemacht?
Morris Pudwell: Die letzte Nacht war wetterbedingt sehr ruhig. Wenn es einen Verkehrsunfall gibt und da nur zwei Autos zusammenstehen - da fährst du halt weiter. Da machst du dir dann nicht die Finger schmutzig oder drückst den Auslöser.
Gemacht habe ich bis ungefähr 4 Uhr und es gab echt nur einen relevanten Einsatz. Das war so eine "Profilierungsfahrt" auf dem Ku'damm, wo ein Fahrer seinen BMW zerstört hat, indem er ein bisschen wilde Sau gespielt hat. Der Ku'damm war natürlich regennass. Auf alle Fälle hat er seine Freundin auf dem Beifahrersitz sitzen lassen und dann die Füße in die Hand genommen – ich weiß nicht, ob die jetzt immer noch Freunde sind.
Es gibt ja diesen Spruch über Unfälle: Man will nicht hinsehen, macht es aber trotzdem. Das gilt ja auch für Fotos. Kann man sagen: je brutaler, desto erfolgreicher?
Ich würde es anders formulieren wollen. Das Einsatzgeschehen kannst du in einem Text beschreiben, aber die Geschichte erzählt das Bild oder der Film. Umso mehr du auf einem aussagekräftigen Bild erkennen kannst - von dem, was dir da erzählt wird - desto mehr wird es meines Erachtens dann auch geklickt.
Die Leute wollen Festnahmen in Handschellen zum Beispiel sehen oder Leute, die im wahrsten Sinne des Wortes im Dreck liegen. Ober eben Rettungseinsätze, bei denen Menschen aus Autos befreit werden. Denn sowas siehst du ja als Bürger nicht. Sondern: Du sitzt bei dir zu Hause und kannst dir das mit zwei Kerzen auf dem Tisch bei einer Pizza angucken. Ich sorge dafür, dass das Material da ist.
Was unterscheidet Sie von einem Gaffer?
Ein Gaffer filmt für sich privat. Oder er teilt es ungefiltert und achtet nicht auf Ethik, hält sich nicht an den Pressekodex. Da wird nicht gepixelt, werden keine Persönlichkeitsrechte gewahrt, gar nichts. Ich mache das anders. Ich sorge dafür, dass das Material öffentlichkeitstauglich ist. Meine Bilder sind alle einwandfrei, das Videomaterial auch.
Sie fotografieren regelmäßig Unfallstellen, Schwerverletzte, manchmal Tote. Was macht das mit Ihnen?
Was du mitbringen musst bei dem Job, ist eine gewisse Gefühlskälte. Du musst unbeeindruckt sein von dem, was du siehst. Im normalen Leben bin ich jetzt kein Typ, der unbedingt Blut sehen kann - das ist für mich etwas anderes. Aber ich habe immer noch die Kamera zwischen mir und dem, was passiert. Ich bin dann konzentriert. Unter Adrenalin, mehr oder weniger. Ich sehe einfach zu, dass das, was ich brauche, auch in die Kamera reinkommt.
Danach lässt man sich das alles vielleicht noch mal kurz durch den Kopf gehen, bespricht es vielleicht mit ein paar Kollegen. Und dann ist die Sache nach ein paar Stunden auch wieder vom Tisch. Ich nehme nichts mit in den nächsten Tag, beziehungsweise nur ganz, ganz selten.
Haben Sie keine Gewissensbisse, wenn Sie mit der Kamera voll draufhalten?
Ich war früher als Handelsvertreter für einen Kabelnetzbetreiber unterwegs. Das konnte ich mit mir selber nicht vereinbaren. Tatsächlich komme ich mit der Tätigkeit hier viel, viel besser zurecht, als alten Leuten ohne HD-Fernseher HD-Fernsehen zu verkaufen. Das fand ich viel verwerflicher.
Ich gehe jetzt im Prinzip meiner Leidenschaft nach. Das ist für mich weniger ein Beruf, sondern es ist halt tatsächlich bezahlte Leidenschaft. Und deshalb klappt es auch. Man weiß einfach, an welcher Stelle man die Kamera benutzt und wann man sie mal unten lässt. Wenn da jetzt gerade eine Mutter auf offener Straße kniet und ein toter Angehöriger daneben liegt und sie weint, da machst du kein Foto. Das bringt keinem was. Das will auch keiner sehen.
Wie viele erfolgreiche Einsätze machen für Sie aus einer Nacht eine gute Nacht?
Das kannst du so gar nicht sagen. Du kannst fünf, sechs Einsätze haben, die du als lapidar abtust, weil das einfach alles Kleinkram ist - sich aber trotzdem lohnt und es vielleicht eine Pressemitteilung dazu gibt. Du kannst natürlich auch die eine Sache haben, die absolut zündet - wo du weißt, das Ding wird morgen früh durch die Decke gehen.
Meine Trefferquote bei Fotos ist - würde ich sagen - 95 Prozent. Also dann, wenn ich wirklich aussteige und ein Foto mache - das wird dann auch meistens gekauft. Beim Filmen ist es etwas anderes, da habe ich einen ganz anderen Markt und kämpfe gegen ganz Deutschland.
Aber: Es ist langweiliger, als Sie vielleicht glauben. Viele Leute denken, ich bin wirklich die ganze Nacht unterwegs. Aber über 80 Prozent von dem, was ich mache, ist Warten. Es gibt auch manchmal zwei oder drei Nächte am Stück, wo ich nichts Relevantes vor die Linse bekomme. Deshalb habe ich mir ein bequemes Fahrzeug besorgt. Wenn es mal ein bisschen langweiliger wird, dann lasse ich mir von meinem Fahrersitz den Rücken massieren.
In Ihrem Job kommt es auf Timing an. Woher kommen Sie an die nötigen Infos, wo und wann etwas passiert in Berlin?
Es gibt einen Feuerwehr-Alarmruf für Pressevertreter, der wird telefonisch ausgelöst, auch bei der Polizei. Aber zum Beispiel auch Twitter. Die Feuerwehr twittert, die Polizei twittert. Ich bin in allen sozialen Netzwerken und in fast jeder Berlin-Gruppe, die es gibt. Ich lese alles mit. Wenn zum Beispiel irgendwo in irgendeiner Facebook-Gruppe jemand fragt: "Warum ist denn da vor Edeka so viel Blaulicht?" - dann lese ich mir das erst mal kurz durch, gucke, wo es ist - stelle auch Fragen – und fahr hin. Ich will ja nicht, dass irgendjemand anderes noch davon Wind kriegt.
Da kann es schon mal sein, dass du dann bei einem Raubüberfall beim Edeka bist. Der Informationszufluss ist also relativ umfangreich und es gibt natürlich auch noch Quellen, über die ich nicht reden will und kann.
Waren Sie schon immer eine Nachteule?
Absolut. Ich musste mich da gar nicht umstellen. Ich habe schon immer die Nacht bevorzugt und die "Penner-Sonne" - also den Mond. Das ist das, was mir an der Stadt auch mehr den Reiz ausmacht - die Nacht und nicht der Tag. Ich kann mit Berlin tagsüber überhaupt nichts anfangen, sei es der Straßenverkehr oder die Menschen. Die Nacht ist dann halt meine Kernzeit.
In der Nacht passieren auch die Sachen, die ich am besten erfassen kann. Als ich angefangen habe, habe ich auch tagsüber gearbeitet. Ich war auf Demos, habe mich mit Steinen und Flaschen bewerfen lassen - egal ob rechts oder links. Ich habe mir das angetan und bin losgerannt, nur um dann von der Einsatzstelle direkt das Material zu schicken. Damit die Leute halt sehen: "Aha, der ist hartnäckig, der liefert." Aber am Tag sind einfach zu viele andere Fotografen draußen, die sind auch sehr gut vernetzt.
Nur nachts arbeiten, immer auf Achse, abhängig vom kriminellen Geschehen: Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Solange ich laufen kann, würde ich sagen. Und solange es die Nachfrage gibt - und die gibt es ja nun einfach mal. Das ist genauso, wie wenn du Bestatter bist - Leichen gibt es immer. Ich habe zum Beispiel einen Kollegen, der filmt für eine Fernsehagentur. Der ist aus verschiedenen gesundheitlichen Gründen nicht mehr so gut zu Fuß. Aber er macht es halt trotzdem.
Auch ein Getriebener - so wie ich es bin.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24
Sendung: Der Blaulichtreporter - Durch die Berliner Nacht, 29.11.2023, 22 Uhr, rbb Fernsehen
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