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Video: rbb24 Abendschau | 21.11.2023 | Helena Daehler | Quelle: rbb

Viele Kirchenaustritte

Wie die Kirche probiert, junge Menschen zu werben

Angesichts vieler Austritte versucht die Kirche, für junge Menschen attraktiver zu werden. Moderne Gottesdienste und unkonventionelle Aktionen in Kirchenräumen sollen dabei helfen. Ob das Erfolg hat, ist ungewiss. Von H. Daehler, C. Rubarth und J. von Bülow

In einem Gemeindehaus der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde von Bad Belzig trifft sich die 17-jährige Alexia Scholz jeden Samstag mit anderen christlichen Jugendlichen. Sie kochen, singen, sprechen über ihre Erlebnisse mit Gott und beten. "Die Kirche hat mir einfach nochmal ein anderes Zuhause gegeben. Hier lerne ich Leute kennen, die genauso denken wie ich."

Alexia Scholz | Quelle: rbb

Alexias Eltern sind nicht besonders religiös, sagt sie. Der Religionsunterricht in der Schule habe ihre Neugier geweckt, so sei sie dann auch zur freikirchlichen Gemeinde gekommen. Laut einer Studie der evangelischen Kirche Deutschlands sind das Elternhaus und der Religionsunterricht zwei der am häufigsten genannten Gründe, warum sich Menschen als religiös bezeichnen und sich der Kirche zuwenden.

Viele Kirchenmitglieder erwägen Austritt

Der allgemeine Trend geht allerdings weit weg von der Kirche. Die Studie zeigt: 65 Prozent der evangelischen und 73 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder erwägen einen Kirchenaustritt. Dabei spielen Gleichgültigkeit gegenüber den Themen Religion und Kirche bei den Protestant:innen eine große Rolle. Katholik:innen geben als mögliche Austrittsgründe vor allem Wut und Enttäuschung über die Kirche an.

Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Evangelische Kirche verliert fast 30.000 Mitglieder in einem Jahr

Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht große Unterschiede zwischen dem Austrittsverhalten in Großstädten und in ländlicheren Gegenden. “In einer großen Stadt wie Berlin fehlt die soziale Kontrolle komplett, und die Kirche erreicht die Menschen schlechter.“ Dabei mache die Kirche eigentlich vieles richtig und versuche unter anderem, nah bei den Menschen zu sein: "Trotzdem kommen nicht mehr Menschen zur Kirche. Das hat auch damit zu tun, dass die meisten in unserer Gesellschaft gar nicht wissen, was in der Kirche abläuft." Ein Angebot für junge Menschen könnte beispielsweise die Nutzung von kirchlichen Gebäuden sein. "Es gibt ganz großartige Räume mit der Möglichkeit, Musik oder Lichteffekte anzumachen."

Cosplay-Shootings und Elektrogottesdienste

Solche neuen Wege probiert Pfarrerin Ulrike Wohlrab in der evangelischen Golgatha Kirche in Berlin-Mitte aus. Sie öffnet an einem kühlen Novembersonntag die Kirche für Cosplay-Fans. "Allein dass Menschen in die Kirche kommen, ist für mich ein sehr schönes Zeichen und ich freue mich sehr, diesen Raum dafür offenhalten zu können." Rund zwei Dutzend junge Menschen, verkleidet als japanische Comic-Charaktere, nutzen an diesem Tag die Kirche als Foto-Location. Dass viele von ihnen gar nicht gläubig sind, spielt für Wohlrab keine Rolle.

Cosplayer Ronja | Quelle: rbb

Eine der Jugendlichen ist Ronja. Sie posiert als Engel vor einem Kirchenfenster. Ihr Kostüm mit den riesigen weißen Flügeln hat sie selbst gemacht. In Ronjas Alltag spielen Kirche und Religion keine Rolle. "Bei Kirche denke ich an eine geschlossene Gesellschaft. Dass hier sowas ermöglicht wird, finde ich unheimlich toll, fortschrittlich und modern."

Ulrike Wohlrab | Quelle: rbb

Für Pfarrerin Wohlrab ist der Sonntagnachmittag mit den Cosplayer:innen auch eine Gelegenheit, Werbung zu machen für eine Kirche, die ein attraktiver "Safespace" für junge Menschen sein kann: "Hier ist ein Ort für Euch und hier seid Ihr geliebt, angenommen, so wie Ihr seid, verkleidet oder nicht verkleidet, vor Gott. Das ist meine eigentliche Botschaft: Gott liebt alle Menschen." In der Golgatha-Kirche gab es bereits mehrere unkonventionelle Angebote wie einen Gottesdienst zu elektronischer Musik oder ein Tauffest im Schwimmbad.

40 Jahre Kirchenasyl in Berlin

Grauzone für Geflüchtete

Vor 40 Jahren gewährte eine Berliner Kirchengemeinde Geflüchteten erstmals Schutz in ihren Räumen. Damit wurde der Grundstein für die Kirchenasylbewegung gelegt. Auch heute bietet das Kirchenasyl Geflüchteten eine letzte Perspektive. Von Liane Gruß

Punkten kann die Kirche laut der Studie vor allem mit sozialen Projekten. Rund die Hälfte aller Katholik:innen und Protestant:innen geben an, dass das soziale Engagement der Kirche ein Grund ist für ihre Mitgliedschaft. Gleichzeitig sind Hilfsbereitschaft, Solidarität und Nächstenliebe auch längst säkulare Werte geworden, gibt der Religionssoziologe Pollack zu bedenken - damit allein seien Jugendliche kaum für die Kirche zu gewinnen. "Andere Dinge sind wichtiger als die Fragen des Glaubens und der Kirche. Da noch einmal den Zugang zu finden, nachdem man sich davon abgewandt hat, ist im Grunde fast unmöglich."

Aufgeschlossener gegenüber Homosexuellen

Alexia und die anderen jugendlichen Gemeindemitglieder der evangelischen Freikirche in Bad Belzig erleben beim Ausleben ihrer Religion auch Konfliktpotenzial mit traditionelleren Kirchgänger:innen, da sie beispielsweise aufgeschlossener gegenüber homosexuellen Beziehungen sind oder lieber englischsprachige Liedern singen würden in der Kirche.

Daniel Schmid | Quelle: rbb

Daniel Schmid spielt bei den Jugendtreffen am Samstag oft Gitarre. Die anderen singen dazu. "Wir finden es einfach spannender, unsere Gottesdienste selbst zu organisieren, (…) Es ist nicht nur einfach 'jemand hält eine Predigt und redet dann für eine Stunde', sondern wir haben wirklich offenen Austausch, Diskussionen, die dann wirklich auch über den ganzen Abend gehen." Religiöse Themen spielen dabei genauso eine Rolle wie private. An einem Abend wird diskutiert, welche Rolle der Reformationstag hat und an einem anderen, wie man persönlich am besten mit Trauer umgeht. Für ihn werde die Kirche auf diese Weise von einem langweiligen zu einem lebendigen Ort.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.11.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler, Christina Rubarth und Julian von Bülow

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