Lehramtsstudentin in Berlin
Fast die Hälfte der Lehramtsstudierenden in Deutschland bricht das Studium ab. Warum ist das so? Yasser Speck hat eine Master-Studentin aus Berlin getroffen, die den Ablauf des Studiums scharf kritisiert und von Burnout spricht.
Esra* hat es fast geschafft. Sie studiert in Berlin auf Lehramt, der Master-Abschluss ist in ein paar Monaten geschafft. Dann steht die Entscheidung an: Referendariat ja - oder nein? Doch so kurz vor dieser wichtigen Entscheidung fühlt sich Esra nicht bereit für den Job.
"In den fünfeinhalb Jahren Studium habe ich gelernt, wie ich über Gott und die Welt eine Hausarbeit schreibe, weiß aber nicht, wie guter Unterricht geht." Die Studentin fühle sich verloren, sagt sie. Ihr fehlten Methoden, Unterrichtsmaterialien und pädagogisches Wissen. Das Studium, so ihr Vorwurf, hätte sie nicht auf den Job vorbereitet.
Esra studiert an einer der drei großen Universitäten in Berlin. Den Aufbau des Studiums kritisiert sie hart. "Das Lehramtsstudium ist überhaupt nicht praxis- oder realitätsnah", sagt die Studentin. Das Lehramts-Studium, so wie es aufgezogen sei, verfehle sein Ziel.
Während des Studiums habe sie hochkomplexe wissenschaftliche Inhalte gelernt - Inhalte, die sie niemals, so sagt sie, einer siebten oder achten Klasse beibringen werde. "Da frage ich mich dann: Warum sitze ich hier? Das fühlt sich an wie Zeitverschwendung."
Im Bachelor habe es zwar auch ein paar Didaktik-Kurse gegeben. Dort habe sie Wissen sammeln wollen und die Dozierenden vieles gefragt: Wie könne sie mit großer Heterogenität im Klassenzimmer umgehen? Wie könne sie mit Störungen im Unterricht umgehen? "Dann hieß es meistens, dass das gerade keinen Platz im Seminar hat", sagt Esra. Sie hat den Eindruck, dass die Dozierenden schon zu lange nicht mehr selbst unterrichtet hätten. "Das, was von den Dozierenden vermittelt wird, kommt aus Sachbüchern. Das hilft mir nicht weiter." Das würde sie und viele andere Studierende sehr frustrieren. Esra sieht darin auch den Hauptgrund, warum fast jeder zweite das Lehramtsstudium abbricht. Auch sie habe schon mal daran gedacht, sagt sie. Vor allem, weil es ihr psychisch nicht mehr gut gehe.
Die 30-jähige Esra befindet sich gerade in ihrem Praxis-Semester. Das bedeutet, dass sie ein Semester lang an einer Schule ein Praktikum macht. Dort hospitiert sie, unterstützt eine Lehrkraft im Unterricht und unterrichtet auch selbst. Diese Stunden muss sie vor- und nachbereiten - wie eine ganz normale Lehrerin eben. Auch das Abhalten von Elternabenden wird von ihr erwartet. Geld bekommt sie dafür nicht.
Für ihren Lebensunterhalt arbeitet Esra noch an einigen Tagen die Woche als Grundschullehrerin. Auch hier muss sie die Stunden selbstverständlich vor- und nachbereiten. Nach so einem Tag als Grundschullehrerin würde sie sich am liebsten ausruhen, aber das geht nicht. Denn abends muss sie sich um ihre Uni-Aufgaben kümmern.
Zum Praxis-Semester muss sich noch mehrere Begleitkurse an der Uni machen und unter anderem eine 25-seitige Forschungsarbeit schreiben. "Ich habe eigentlich kein Privatleben mehr", resümiert die Studentin.
Diese Dreifach-Belastung geht nicht spurlos an der jungen Frau vorbei. Sie fühle sich sehr übermüdet, überlastet und gestresst, sagt Esra. "Ich habe noch kein Burnout, aber die Tendenz ist schon da." Esra kann sich aber keine Pause leisten. Ohne das Praxis-Semester darf sie den Master nicht machen, ohne die Unikurse besteht sie das Praxis-Semester nicht und ohne den Nebenjob kann sie sich ihr Leben in Berlin nicht leisten.
Das, was Esra über ihr Studium berichtet, berichten auch andere Studierende, mit denen rbb|24 gesprochen hat. Sie alle fordern ein praxisnäheres Lehramtsstudium. Und damit stehen sie nicht alleine da: Diese Forderung unterstützt auch der Bundeselternrat. Dieser hat es in einer schriftlichen Mitteilung so zusammengefasst: "Die Ausbildung von Pädagogen muss praxisnäher erfolgen und durch intensives Mentoring im Kollegium begleitet werden." Eltern und angehende Lehrer:innen sind sich also einig: Im Lehramtsstudium muss sich etwas verändern. Berlins Bildungs-Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sagte in einem Interview mit der "Berliner Woche", dass sie die Einführung des Dualen Studiums für Lehrkräfte derzeit prüfe.
Esra würde davon nicht mehr profitieren. Für die 30-jährige steht bald eine Entscheidung an. Referendariat ja - oder nein. Ob sie es direkt nach dem Master macht, das weiß sie nicht. Vielleicht macht sie erst mal eine Pause, sagt sie. Und vielleicht lässt sie es mit dem Referendariat ganz.
* Anmerkung der Redaktion: Esra ist nicht der richtige Name der Studentin. Sie möchte unerkannt bleiben. Der Redaktion sind ihr richtiger Name, ihr Arbeitsplatz und ihre Hochschule bekannt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 7:07 Uhr, 20.11.2023
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