Krankheitswelle bei Kindern und Jüngeren
Die Zahl der Atemwegserkrankungen ist bei unter 60-Jährigen deutlich gestiegen – bei Kindern breitet sich vor allem das RS-Virus aus. Kitas und Schulen fürchten deutliche Einschränkungen. Aber: China gibt Entwarnung. Von Jonas Wintermantel
Die Zahl schwerer, akuter Atemwegsinfektionen ist laut einem aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland bei Menschen unter 60 Jahren zum Teil deutlich gestiegen. Ein besonders starker Anstieg wurde für Kleinkinder und Menschen im Alter von 15 bis 34 gemeldet. Die Zahlen beziehen sich auf den Anstieg von vorletzter auf letzte Woche.
Allerdings liege bei Kleinkindern die Inzidenz noch immer deutlich unter den Werten des Vorjahreszeitraums und damit "auf dem Niveau der vorpandemischen Saisons". Auch bei über 60-Jährigen seien die Fallzahlen gesunken. Die Daten in dem Bericht stammen aus der stichprobenartigen Überwachung schwerer akuter Atemwegsinfektionen an Kliniken.
Insgesamt geht das RKI für die Vorwoche von etwa 7,2 Millionen akuten Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung aus - bei der Schätzung ist egal, ob der Patient beim Arzt war oder nicht. Hinweise auf eine beginnende Grippewelle gebe es nicht.
Belastbare Aussagen über das regionale Infektionsgeschehen in Berlin und Brandenburg lassen sich derzeit nicht treffen. Auf rbb-Anfrage teilte das RKI mit, dass dazu eine umfassende Datenlage auf Landesebene fehle.
Da die Zahl der Erkrankungen vor allem bei Jüngeren steigt, warnte in dieser Woche unter anderem der Grundschulverband vor lokalen Schulschließungen. "Die personelle Lage in vielen Grundschulen im Lande ist auf Kante genäht und liegt teilweise unter dem errechneten Personalbudget", sagte Verbandschef Edgar Bohn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) laut Bericht vom Freitag.
Ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Bildung sagte auf rbb-Anfrage, dass der Krankheitsstand und das Infektionsgeschehen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens "jahreszeitentypisch" seien. Zeitlich begrenzter Unterrichtsausfall sei demnach immer nur das allerletzte Mittel. Vorher würden die Schulen versuchen, Vertretungsunterricht oder hybride Unterrichtsformen anzubieten. Auch die Zusammenlegung von Gruppen sei möglich.
Deutlich drastischer äußert sich der Deutsche Kitaverband. "In fast allen Berliner Kitas sehen wir Krankheitsfälle mit Grippe und Atemwegsinfekten bei Kindern und Fachkräften", sagte Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Verbandes. "Berlinweit kämpfen daher aktuell viele Kitas mit einer hohen Zahl an Personalausfällen. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels, den wir schon haben, fehlen Vertretungskräfte, die sonst einspringen konnten."
Die Kitas müssten daher oft ihre Öffnungszeiten reduzieren. Weegmann unterstreicht, dass die Reduzierung des Angebotes zu Einbußen in der Bildungsgerechtigkeit und zu starken Einschränkungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen könne.
Ähnlich äußert sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Berlin: "In vielen unserer etwa 50 Kitas in Berlin erleben auch wir aktuell eine außergewöhnliche Krankheitswelle und entsprechende Personalausfälle", sagte ein Sprecher dem rbb.
In etwa 10 Prozent der Einrichtungen gäbe es demnach vereinzelt Gruppenschließungen. Bisher seien alle Kitas weiterhin geöffnet, Schließungen würden soweit möglich vermieden. Ein erhöhter Krankenstand sei in den kalten Monaten keine Besonderheit. "Aktuell ist die Lage jedoch deutlich angespannter als im November üblich", so der Sprecher.
Bei Kindern wurden nach RKI-Angaben vor allem Infektionen mit dem Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) diagnostiziert. Das RS-Virus ist vor allem bei Frühgeborenen, Säuglingen und Kleinkindern der häufigste Erreger von Atemwegsinfektionen. Regelmäßig kommt es zu schweren Verläufen, da das Immunsystem in dieser Gruppe noch nicht voll ausgebildet ist. Todesfälle sind trotzdem sehr selten. Das RS-Virus befällt die oberen und unteren Atemwege.
Die möglichen Symptome reichen von einfachen Atemwegserkrankungen wie Husten, Schnupfen und Fieber bis hin zu schweren Lungenentzündungen (Pneumonie).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mit Blick auf China vorerst Entwarnung gegeben. Im Norden des Landes leiden im Moment ungewöhnlich viele Kinder an Atemwegserkrankungen. Die WHO hatte deshalb Informationen von der chinesischen Führung eingefordert.
In einer Videokonferenz am Freitag teilten chinesische Gesundheitsbehörden mit, man habe keine neuen Erreger oder ungewöhnliche Krankheitsbilder entdeckt. Vielmehr handle es sich um weltweit bekannte Erreger, die derzeit im Umlauf seien, darunter Rhinoviren, RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) und Mykoplasmen-Infektionen (Mycoplasma pneumoniae).
In Chinas sozialen Medien kursieren seit Tagen Berichte und Bilder von vollen Kinder-Krankenhäusern. Die WHO empfahl China, die Fälle weiterhin zu überwachen. Die chinesische Gesundheitsorganisation führt die steigenden Ansteckungen auf den ersten Winterbeginn ohne Corona-Maßnahmen zurück.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht aktuell keine Gefahr durch die Krankheitsfälle in China: "Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass es sich um eine saisonale Häufung mit bekannten Erregern handelt", sagte Lauterbach am Freitag, "also keine neuen Erreger, keine besondere Gefahr, insbesondere auch keine Gefahr für Europa."
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.11.2023, 16:20
Beitrag von Jonas Wintermantel
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