Puppenbordell in Berlin-Friedrichshain
Im ersten Berliner Puppenbordell kann man sich mit Silikon-Damen vereinen. Offiziell ist der Ort eine Kunstausstellung. Die Betreiber wollen zeigen, wie Intimität von Mensch und Maschine verschmelzen könnte - und sexuelle Einvernehmlichkeit lehren. Von Marvin Wenzel
Kokeshi hängt an einem silbernen Drahtseil. Ihr Hals ist an einem Karabinerhaken befestigt, ihre Füße baumeln wenige Zentimeter über dem Boden. Ihr Arbeitstag beginnt in der "Doll-Shower", also der Puppen-Dusche. Dort wird jeder Winkel ihres Körpers mit einem Wasserstrahl sorgfältig gereinigt, anschließend desinfiziert und dann abgetrocknet. Ihre Körperöffnungen an Vulva, Anus und Mund inklusive. Zu ihrer Morgenroutine gehört noch das Auftragen eines dunklen Make-ups, das ihre hellblauen Augen zum Leuchten bringt. Dann ist sie einsatzbereit.
Kokeshi ist eine Sexpuppe. 1,70 Meter groß, blonde Bob-Frisur, starrer Blick nach vorne. Sie wiegt 30 Kilogramm und besteht aus Silikon und einem Stahlskelett. Ihre Haut fühlt sich weich an und riecht nach süßlichem Parfum. Im ersten - und bisher einzigen - Puppenbordell in Berlin können Besucher mit ihr intim werden. Eine Stunde mit der Silikon-Dame kostet rund 100 Euro. Täglich würden rund fünf Gäste das Puppenbordell besuchen - in der Regel seien es Männer, die um die 30 Jahre alt sind, sagt Inhaber Philipp Fussenegger. Besucherinnen gäbe es nur sehr selten. Eine männliche Sexpuppe bietet er aber schon an.
Fussenegger, lange blonde Locken, silberne Creolen, hat das Puppenbordell vor zwei Jahren gegründet. "Die Kunden können hier spielerisch in einem schamfreien Raum ihre Sexualität ausleben und erforschen", sagt der Sextech-Unternehmer, der Regisseur und Filmemacher ist und in der sexpositiven Berliner Partyszene verwurzelt ist. Aktuell dreht er einen Dokumentarfilm über den Kreuzberger KitKatClub.
Er steht im Flur des Puppenbordells. Auf seinem Gesicht schimmert das lila Licht eines Neonröhren-Schriftzugs, der den Namen "Kokeshi" ergibt. Ziel des Puppenbordells sei es gewesen, eine Kunstausstellung zu erschaffen, in der man mit dem Kunstwerk "interagieren" kann. Seine Liebe für die Puppen nährt sich von eigenen sexuellen Erfahrungen mit ihnen. "Innerhalb von wenigen Minuten übernimmt die Puppe meine Körperwärme und dann ist das sehr angenehm."
Der Filmemacher geht wenige Schritte weiter in einen rötlich beleuchteten Raum und setzt sich auf ein weißes Flachbett. Das “Cybrothel” war zunächst als temporäres Kunstprojekt geplant. Die Silikon-Damen wurden immer beliebter, nun ist es eine Dauerausstellung, die sehr futuristisch wirkt: Auf der Heimkino-Leinwand hinter dem Flachbett schweben blau schimmernde Quallen durch den Ozean. Neben Fussenegger sitzt Kokeshi mit geradem Rücken, mittlerweile gekleidet in einem erotischen Outfit. Rote Netzstrumpfhose, karierter Minirock, bauchfreies Negligé. Auf dem Tischchen neben dem Bett liegen eine Tube Gleitgel, Papiertücher und eine runde Glaskugel voller goldener Kondome.
Genauso würde Kokeshi ihre Kunden empfangen. Und zur Begrüßung sagen: "Hi, ich bin Kokeshi! Ich bin ein intergalaktisches Wesen. Meine kosmische Mission ist es, den Sex der Zukunft auf die Erde zu bringen."
Ihre Stimme wird zum Leben erweckt von einer "Voice-Queen" - das ist eine professionelle Sprecherin, die während des Aktes mit einer Kamera zugeschaltet ist, den Kunden beobachtet und live auf das Geschehen mit ihrer Stimme reagiert. Kokeshis "Voice Queen" möchte anonym bleiben und nennt sich Aphrodite. Sie sagt über einen Lautsprecher in Kokeshis Kopf: "Es gibt Sessions, in denen ich eine Stunde über das Privatleben meiner Kunden spreche. In anderen Sessions kommt man sehr schnell und lustvoll zur Sache." Sonst hat die Puppe kein elektronisches Innenleben.
Aphrodite leistet bei den "Sessions" auch sexuelle Aufklärungsarbeit: Sie bringt den Kunden Benimm-Regeln im Bett bei. Sie ist das menschliche Bewusstsein der sonst leblosen Puppe.
Wenn sich zum Beispiel jemand, ohne ein Wort zu sagen, einfach auf die Puppe setzt und anfängt, ihre Brüste anzufassen, dann sage die Stimm-Schauspielerin Sätze wie: "Entschuldigung, frag’ mich bitte davor!" Das Puppenbordell sei ein "Spielplatz für Erwachsene". Ein "Forschungslabor", in der die "Zukunft des Begehrens" gestaltet werde. Dazu gehöre es, sexuelle Einvernehmlichkeit und feministische Werte zu lehren. "Wir haben einen Erziehungsauftrag."
Das Puppenbordell bietet auf seiner Internetseite 13 weitere Liebespuppen an. Jede Puppe hat ihre eigene Geschichte, ihr eigenes Rollenspiel: Zum Beispiel "Techno Barbie", die äußerlich von Schauspielerin Margot Robbie inspiriert zu sein scheint. "Techno Barbie" sei erst vor Kurzem nach Berlin gezogen, verbringe sehr viel Zeit in Berliner Techno-Clubs wie dem Berghain und stehe auf ausgelassene Orgien, wie es in ihrer Onlinebeschreibung zu lesen ist.
Weitere Puppen-Charaktere reichen von einer blutrünstigen Sex-Vampirin bis hin zur Lehrerin, die ihre Schüler gerne "zur Rede stellt". Was die Puppen eint: Die meisten haben eine große Oberweite, Wespentaille und lange Beine. Wissenschaftler:innen der Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin kritisierten, dass Sexpuppen - wie sie im "Cybrothel" angeboten werden - einen männlichen und stereotypen Blick auf Frauen und Sexualität vermittelten.
Fussenegger nickt. "Die Hersteller der Puppen sind weiße Männer", sagt er. "Frauen schauen natürlich in der Realität nicht so aus." Ihm ist es wichtig zu betonen, dass es sich bei den Puppen um "lebensgroße Sexspielzeuge" handle. "Echte Frauen" sollten sie nicht repräsentieren. Er hofft darauf, dass die Hersteller bald Modelle anbieten, die ein weniger gängiges Schönheitsideal darstellen. Zudem setze er bei den bereits vorhandenen Puppen auf einen Fantasy-Look. Er sagt: "In Zukunft wollen wir auch Meerjungfrauen und Aliens anbieten." Sein Ziel: Erlebnisse anbieten, die sonst nirgends möglich sind.
Fantasy-Welten sind bereits im Nachbarraum in einem interaktiven Erotik-Videospiel zu erleben. Zum Spielen nötig: eine Virtual-Reality-Brille, ein an der Hüfte angebrachter Bewegungssensor und die Sexpuppen Oxana und Luna. Die vollbusige Oxana baumelt in dem lila beleuchteten Raum an einer Liebesschaukel, einer aus schwarzen Stoffgurten bestehenden Konstruktion, die an der Decke hängt und im BDSM-Bereich beliebt ist.
"Genau da, wo Oxana im Raum hängt, sieht man durch die VR-Brille eine 3D-Figur", sagt KI-Spezialist Matthias Smetana, der das Spiel mitentwickelt hat. Die 3D-Figur in dem Spiel hat einen schwarzen Pony, trägt einen lila Bikini und liegt auf einem runden Bett. Hinter ihr sind funkelnde Bildschirme, auf denen rosa Herzen und bunte Formen flackern. Optisch erinnert die Spielwelt an Szenen aus dem Science-Fiction-Film Blade Runner 2049. "Während man in dem Spiel mit der virtuellen Dame Sex hat, kann man die Sexpuppe in echt spüren", sagt Smetana. "Digitale und physische Welt verschmelzen dabei." Eine Mixed-Reality-Erfahrung.
Die Idee von Puppenbordellen kommt ursprünglich aus Japan, wo Sexpuppen schon populär sind. Smetana vermutet, dass die Beliebtheit der Puppen auch in Deutschland zunehmen werde. "Wir brauchen noch circa zwei Jahre, dann haben wir Sexroboter", sagt er. Die könnten dann mit einer KI-gestützten Software komplett eigenständig sprechen und sich auch bewegen. Stöhngeräusche, eine vibrierende Vulva und passende Gesichtsausdrücke - auch möglich. "Es wird sich dann auch normalisieren, mit einer Sexpuppe zu schlafen und darüber offen zu sprechen", sagt er. Kleinere Sexspielzeuge wie Dildos und Vibratoren seien vor 20 Jahren auch noch verpönt gewesen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.11.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Marvin Wenzel
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