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Mehr Schüler - weniger Schulhof
Die Heinz-Brandt-Schule in Weißensee ist Berlins einzige Sekundarschule mit einem Deutschen Schulpreis. Jetzt bangt sie um ihr Konzept. Denn mitten auf den Schulhof soll ein neues Schulgebäude entstehen - und da gibt es weit mehr als ein Platzproblem. Von Sabine Priess
Stieleiche "Ruth" ist 86 Jahre alt, Rosskastanie "Hans" hat auch schon 80 Jahre auf dem Buckel. Ähnlich alt sind auch die acht benachbarten Bäume auf dem Schulhof der Heinz-Brandt-Schule in Berlin-Weißensee. Ruth und Hans haben die Nazi-Zeit erlebt, die DDR, den Mauerfall. Der Herbstwind treibt dieser Tage ihre Blätter quer über den rechteckigen Schulhof, der direkt in den Schulgarten übergeht.
In der großen Pause halten sich hier überall Schüler auf. Sie sitzen auf Bänken unter besagten Bäumen, stehen in losen Grüppchen vor einem bunten Bauwagen, sie rennen hinter Bällen her und rempeln sich ins Gras. Um sie herum flattert derzeit auf einer Abmessung von etwa 20 Mal 40 Meter rot-weißes Flatterband, das die Kinder zwanglos unterlaufen. Die Schüler kennen das schon - es handelt sich nur um eine Markierung.
Das Absperrband hat der Gesamtelternvertreter der Sekundarschule, David Kißling, angebracht. Es zeigt die Stelle im Schulhof, an die vom Bezirk demnächst ein Modularer Ergänzungsbau (MEB) gesetzt werden soll. Gut ein Drittel der Schulhoffläche soll zugebaut werden, um Plätze für rund 100 Kinder zu schaffen.
Allerdings fallen dann auch der Großteil des Schulgartens weg, ein selbstgebauter Pizzaofen, ein Bauwagen und eben "Hans", "Ruth" und weitere Bäume. Weil die fast hundertjährigen Bäume bald der Säge zum Opfer fallen sollen, haben die Schüler den Bäumen Namen gegeben und Steckbriefe für sie erstellt.
"Zu erfahren, dass der MEB genau dorthin soll, war ein Schock", sagt Schulleiterin Miriam Pech. "Zumal wir es eher beiläufig mitgeteilt bekamen: Wir wollten einen Basketballkorb anbringen, da hieß es vom Bezirk, dass das nicht gehe, weil der MEB in den Schulhof komme." Zwar sei schon länger klar gewesen, dass auch ihre Schule erweitert werden soll, weil in Pankow deutlich zu wenig Schulplätze gebe, sagt die Schulleiterin. Doch für den Erweiterungsbau sei immer eine Ausweichfläche Thema gewesen. Was jetzt aber bebaut werden soll, sei ausgerechnet der grüne Teil des Schulhofs. Übrig bleiben dann einige wenige Bäume und betonierte und eher triste Flächen aus Sand.
Dass Berlin Schulplätze brauche, sei allen Beteiligten klar, betont auch Gesamtelternvertreter Kißling. Doch beim Schaffen von Schulplätzen müsse es doch immer darum gehen, schlechte Schulen besser zu machen, sagt Kißling sichtlich betroffen. "Hier läuft es aber darauf hinaus, dass eine gute Schule schlechter gemacht wird."
Der zuständige Stadtrat in Pankow, Jörn Pasternack (CDU), kann die Kritik nachvollziehen und räumt ein, dass die Errichtung des Gebäudes auf dem Schulhof auch Nachteile mit sich bringe. Schulplätze würden aber gerade in Pankow dringend gebraucht, betont er.
Elternvertreter Florian Ritter wirft dem Bezirk vor, es werde nicht gemeinsam nach Lösungen gesucht. Stattdessen sehe es so aus, als wolle der Bezirk schlicht das Soll erfüllen - und der Ergänzungsbau werde dann einfach irgendwohin gestellt.
Bezirksstadtrat Pasternack weist das zurück: Um Ausweichflächen habe man sich bemüht, doch die avisierten Grundstücke habe man einfach nicht ankaufen können.
Ein Discounter-Parkplatz gegenüber der Schule wurde tatsächlich nicht verkauft. Auf den Vorschlag der Schule, eine andere angrenzende Straße zur Sackgasse umzuwandeln und den MEB dort hinzustellen, sei der Bezirk aber nicht eingegangen, kritisiert Gesamtelternvertreter David Kißling.
Doch es geht nicht allein um Fläche. Für die Heinz-Brandt-Schule steht - so sehen es Schulleiterin Pech und Elternvertreter Kißling - mit der Schulerweiterung das ganze Schulkonzept auf dem Spiel. Und das ist ein ganz besonderes.
Früher galt die Heinz-Brandt-Schule als Problemschule in Brennpunktlage. Heute ist sie die am meisten nachgefragte Integrierte Sekundarschule (ISS) Berlins. Nach ihrer Umwandlung von Hauptschule zu ISS hat sie sich als berufsorientierte Schule mit partizipativem Konzept etabliert. 2011 wurde sie mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet - als bisher einzige Oberschule in Berlin. Jedes Jahr gibt es weit mehr Anmeldungen von Siebtklässlern, als die Schule Plätze hat.
Zu dem besonderen Konzept gehören eine zweiwöchige Kennenlernphase ohne Leistungsdruck in der siebten Klasse, später das Lernen in Kleingruppen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und zudem einem digitalem Lernkonzept. Allmorgendlicher Schulstart ist um 8:20 Uhr, montags sogar erst um 9 Uhr - weil man um den verschobenen Biorhythmus von Jugendlichen weiß und darauf Rücksicht nimmt. Die Schüler werden in die Organisation zum Beispiel von "Herausforderungs"-Fahrten eingebunden. "Es ist eine Schule mit wahnsinnig guter Energie", schwärmt Gesamtelternvertreter Kißling von der Schulgemeinschaft. "So viel Partizipation wie hier habe ich noch nie erlebt".
In dem Erweiterungsbau auf dem Schulhof sollen nun zwölf zusätzliche Klassenräume entstehen, für einen weiteren Klassenzug. Die Heinz-Brandt-Schule wäre dann fünf- statt wie bisher vierzügig. Mehr Kinder - und weniger Freiraum. Dabei spielt der grüne Hof derzeit eine besondere Rolle im Konzept der Schule, wie es heißt.
Die Bäume, die nun gefällt werden sollen, werden von der Schule bisher als grünes Klassenzimmer benutzt. In ihrem Schatten stehen Tische und Bänke. "In den Hofpausen wird besonders der abgesperrte Bereich genutzt. Im Sommer findet der Unterricht wegen der Hitze oft unter genau diesen Bäumen statt", sagt die Zehntklässlerin Mirja. "Es ist ja auch der schönste Teil des Schulhofs". Sie sei entgeistert gewesen, als sie gehört habe, dass dahin der Ergänzungsbau solle. Mehr Schüler, "und gleichzeitig sollen wir weniger Platz bekommen"?
Auch für die Inklusion - der Anteil der Inklusionskinder an der Schule liegt bei etwa 18 Prozent - sei der grüne Schulhof wichtig, sagt Elternvertreter Kißling. "Dafür brauchen wir einen funktionierenden Schulhof und den Schulgarten." Der Schulgarten sei außerdem Teil eines benoteten Unterrichtsfachs.
Kißling sieht einen ausreichend großen und ansprechend gestalteten Schulhof zudem als "elementaren Bestandteil einer gebundenen Ganztagsschule". "Die Schüler sind verpflichtend bis 16 Uhr vor Ort, sie müssen sich bewegen können", sagt er. Für neue Schulen gibt es tatsächlich entsprechende Vorschriften - doch diese werden nicht angelegt für die Erweiterung einer Schule durch Modulare Ergänzungsbauten. Ginge es um einen Neubau wäre demnach schon der jetzige Schulhof nach heutigen Maßstäben um 800 Quadratmeter zu klein - ohne die neuen Schüler und ohne den Raumverlust durch den MEB.
Baubeginn für den neuen Modularen Ergänzungsbau ist nach dem Willen des Bezirks das erste Quartal 2024. Die sogenannte Baufeldfreimachung, zu der auch die Fällung der großen Bäume gehört, soll eigentlich im derzeit laufenden Quartal passieren. Noch gebe es keine Baugenehmigung für den MEB, sagt Elternvertreter Kißling, "aber das könnte sich schnell ändern".
Laut Stadtrat Pasternack verschiebt sich das Projekt wegen der Fristen bei Baumfällungen mutmaßlich um ein Jahr, wie er rbb|24 sagt. "Doch der MEB kommt - der steht nicht zur Disposition."
Der Bezirksstadtrat wirbt bei aller Direktheit aber auch um Verständnis. Denn auch wenn sich die Situation aus Sicht der Heinz-Brandt-Schule verständlicherweise zum Schlechteren wende, bedeute es für viele Pankower Eltern doch auch eine Verbesserung. Durch den MEB werde es für ihre Kinder mehr Schulplätze in Pankow geben. "Diese Kinder müssen dann nicht nach beispielsweise den weiten Weg nach Neukölln fahren, sondern können im eigenen Bezirk auf die Schule gehen".
Beitrag von Sabine Priess
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