Invasive Arten
Arten sterben aus, entstehen neu und wandern in andere Lebensräume. So ist das, seit es Leben auf der Erde gibt. Auch der Mensch bringt, absichtlich oder unabsichtlich, neue Arten in andere Regionen. Welche Folgen hat das? Von Andreas Heins
Der Krumme See bei Wichmannsdorf in der Uckermark war ein Paradies für den selten gewordenen Edelkrebs. Es wurde sogar überlegt, Exemplare zu entnehmen und sie in anderen Seen wieder anzusiedeln. Als aber 2015 nordamerikanische Kamberkrebse in den Reusen auftauchten, wurde schnell klar: Das ist das Ende für den Edelkrebs im Krummen See.
Die wenigen Edelkrebse, die noch gefangen wurden, starben innerhalb kürzester Zeit. Somit ist eine der ehemals größten Krebspopulationen in Brandenburg quasi ausgelöscht. Der nordamerikanische Neuankömmling war nicht direkt daran schuld. Der Kamberkrebs brachte jedoch etwas mit – die Krebspest. Die Pilzerkrankung ist für einheimische Krebsarten tödlich, der Kamberkrebs und andere eingebürgerte amerikanische Krebsarten kommen hingegen relativ gut mit ihr zurecht.
Eingeschleppte, fremde Tiere und Pflanzen sind nicht nur ein lokales Problem. Weltweit gelten mehr als 3.500 von ihnen als schädlich für die Umwelt oder den Menschen - entweder direkt als Überträger von Krankheiten oder indirekt durch Schäden für die Wirtschaft. Die meisten dieser Arten verursachen Schäden in Gebieten, in denen indigene Völker und andere Gemeinschaften in großer Abhängigkeit von der Natur leben. Auch Inseln sind stark von ihnen betroffen.
Aber nicht alle Arten, die neu bei uns ankommen, bereiten Probleme. In Deutschland entstehen die größten Verluste bei der heimischen Artenvielfalt durch den Verlust offener Landschaften und abwechslungsreicher Flächen. Nur ein kleiner Teil der eingeführten Arten hat negative Auswirkungen auf unsere Natur oder unser Wohlergehen. Diese werden als invasive Arten bezeichnet.
Die EU-Kommission führt eine Liste. Aufgeführt sind auf dieser "Unionsliste" nur Arten, die potenziell oder nachweislich eine Gefährdung darstellen. Für die Arten auf dieser Liste gibt es offizielle Vorgaben für Maßnahmen und rechtliche Konsequenzen, wenn mit ihnen gehandelt wird oder sie weiterverbreitet werden.
Berlin ist ein regionaler Hotspot für eingeführte Arten. Durch Handel, Transport und Verkehr gibt es viele Möglichkeiten für blinde Passagiere – ein Problem, das alle großen Städte betrifft. Auf den ehemaligen Bahntrassen, wie beispielsweise dem Südgelände, finden sich einige mehr oder weniger exotische Tiere und vor allem Pflanzen. "Die meisten Neuankömmlinge in Berlin und Brandenburg sind aber völlig unproblematisch", sagt der Ökologe Ingo Kowarik. Er hat sich jahrelang mit der Problematik invasiver Arten beschäftigt und ist Mitbegründer des Netzwerks zu biologischen Invasionen in Europa – Neobiota.
"Es gibt etwa zwei Handvoll Arten, bei denen man auf der Hut sein muss. Vor allem Pilze, die Baumkrankheiten verursachen oder einige Insekten. Letztendlich ist auch das Coronavirus eine invasive Art. Bei den meisten muss man erstmal nichts tun, sondern, besonders in den Städten, nur beobachten."
Ein Beispiel ist der chinesische Götterbaum, der seit 1780 als Zierpflanze in Deutschland kultiviert wird. Er steht auf der europäischen Liste der gefährlichen invasiven Arten, da er in warmen Gebieten andere seltene Arten verdrängen kann. Seine Samen verbreiten sich leicht über Wind und Wasser und er ist sehr trockenresistent. Das macht ihn zur Gefahr für gefährdete trockene Ökosysteme wie Magerrasen (nährstoffarmes Grünland). Halten sich die Vorkommen außerhalb Berlins noch in Grenzen, so könnte er sich im Zuge steigender Temperaturen weiter ausbreiten.
Die Tigermücke und die kürzlich in Berlin neu entdeckte Asiatische Hornisse hält Ingo Kowarik zurzeit aber für harmlos. Die Übertragung des Denguefiebers und des West-Nil-Virus durch die Tigermücke wurde zumindest in Deutschland nicht nachgewiesen, auch hat die Mücke einen Lebensraum erobert, der bisher nicht von einheimischen Mücken besiedelt war. Die Mücke brütet in Wasseransammlungen, die einheimischen Arten viel zu klein sind.
Die Asiatische Hornisse unterscheidet sich in ihrem Verhalten nicht wesentlich von dem ihrer stark geschützten einheimischen Verwandten. Die Angst vor der Bienenkillerin beruht zumeist auf einer Verwechselung mit der Asiatischen Riesenhornisse, die in den USA große Verluste in der Imkerei verursacht. Auch der Berliner Landesverband des NABU schreibt "Zwar bringt Vespa velutina aller Voraussicht nach keine essentielle Bedrohung für die europäische Imkerei , die genauen Auswirkungen auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt sind jedoch noch nicht abzusehen."
"Man muss beobachten, wo solche Arten Probleme machen, in Naturschutzgebiete einwandern und dann gezielt eingreifen", so Ingo Kowarik. Manche neu eingeführten Arten haben auch positive Eigenschaften.
So sind Robinien und Götterbäume tolerant gegenüber Hitze und Trockenheit und eine attraktive Futterquelle für Insekten wie Honigbienen. Das mache sie nützlich in den Zeiten des Klimawandels, aber auch problematisch, wenn sie in wertvolle Trockenbiotope wie Magerrasen oder die Oderhänge einwachsen. "Man muss beide Aspekte im Auge behalten. Einerseits haben wir Verantwortung für unsere alte Natur, die Wälder, Moore, die alte Kulturlandschaft, andererseits leben wir in einer Zeit des Wandels. Wir brauchen auch neue Arten, um fit zu bleiben in Zeiten sich ändernder Umweltbedingungen."
Hat sich erstmal eine neue Art fest etabliert, dann ist es fast unmöglich sie wieder loszuwerden. Besonders der Nutzen großangelegter Aktionen mit Tierfallen oder das großflächige Ausbringen von Pestiziden oder Herbiziden ist umstritten. Es besteht immer die Gefahr, dass diesen Maßnahmen auch einheimische - eventuell gefährdete - Arten zum Opfer fallen. So bleibt meist nur die Prävention: Keine fremden Arten in die Natur entlassen und erste Vorkommen solcher, die sich in anderen Regionen bereits als problematisch erwiesen haben, bekämpfen.
Oft werden Tiere auch bewusst ausgesetzt, sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder aus falsch verstandener Tierliebe. So sind wohl die Kamberkrebse in den Krummen See gelangt. Auch der Ochsenfrosch wurde zuerst ausgesetzt und bedroht jetzt einheimische Amphibien, Vögel und Kleinsäuger. Gartenabfälle werden im Wald, am Wegesrand und an Ufern entsorgt. Besonders an Flussläufen ist es problematisch, fremde Arten freizulassen.
Das Wasser kann die fremden Arten über eine große Fläche verbreiten. Ingo Kowarik appelliert: "Das geschieht manchmal mit dem positiven Gefühl, ich möchte jetzt keine Lebewesen entsorgen, ich gebe ihnen noch eine Chance, vielleicht bereichere ich damit die Natur. Aber damit kann man Schlimmes anrichten, das sollte man unterlassen und auch jeden, den man dabei beobachtet darüber aufklären".
Beitrag von Andreas Heins
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