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Quelle: rbb

Interview | Kindstod

"Der Schmerz wird bis zum Ende unseres Lebens dauern"

Viktoria Kleber und Sabrina N‘diaye sind rbb-Kolleginnen und vor allem Freundinnen. Sie verbindet ihre gemeinsame Schwangerschaft. Dann stirbt Casimir, der Sohn von Viktoria, plötzlich im Alter von neun Monaten. Darüber haben Sie einen Film gemacht.

rbb|24: Im Film sieht man Bilder aus der Schwangerschaft und wie ihr zusammen eure beiden Jungs Casimir und Miguel nach der Geburt durch den Park schiebt, wie sie nebeneinander liegen, sich langsam anfreunden. Diese Bilder wurden eigentlich für einen ganz anderen Film aufgenommen. Was war der Plan?

Sabrina N‘diaye: Ursprünglich wollten wir einen Film darüber machen, in welcher Welt unsere Kinder groß werden. Wir wollten eigentlich einen Film machen über Rassismus – Casimir als Sohn einer weißen Mama und mein Sohn Miguel als Sohn einer schwarzen Mama. Das war die Ursprungsidee, begleitet von vielen schönen Dreharbeiten und einfach die Freude darüber, dass wir beide zeitgleich schwanger waren.

Dein Sohn ist dann ganz überraschend an einer seltenen Stoffwechselerkrankung gestorben. Neun Monate war er da alt, wie war damals für dich?

Viktoria Kleber: Das kam ziemlich überraschend. Wir dachten eigentlich, dass wir einen gesunden Sohn haben. Er war bis kurz vor seinem Tod nie lange krank. Und wir sind wirklich nur ein paar Wochen davor zum Arzt gegangen, weil er eine Bronchitis hatte. Die Ärztin meinte dann, geht mal ins Krankenhaus, hatte das aber auch nicht für dringlich eingeschätzt. Selbst im Krankenhaus dachten die Ärztinnen und Ärzte lange noch, dass er sehr viel Pech hat. Dann kamen noch Corona, eine andere Krankheit und noch ein Keim dazu. Und wirklich: Bis ein paar Tage vor seinem Tod sind eigentlich alle davon ausgegangen, dass er wieder lebend rauskommt, dass es einfach nur lange dauern wird, weil er eben so klein ist. Und dann kam das doch ziemlich überraschend.

Sabrina, kannst du dich daran erinnern, wie du erfahren hast, dass Casimir nicht mehr lebt?

Sabrina N'Diaye: Eigentlich dachten wir alle, er hätte eine Bronchitis. Und dann hat Viktoria irgendwann angefangen, vom Krankenhaus aus eine Whatsapp-Gruppe einzurichten mit all ihren engen Freunden und der Familie, um uns auf dem Laufenden zu halten. Irgendwann kam eine Nachricht, dass es nur noch einen minimalen Schritt vorwärts geht. Und da dachte ich: 'Ein kleiner Schritt, es geht vorwärts, das geht noch gut aus.' Dann irgendwann kam aber die Nachricht, dass das eben nicht mehr gut ausgegangen ist.

Viktoria Kleber: Casimir ist am Mittwoch gestorben, an einem Montag gingen die Werte so krass nach unten, da wussten wir: 'Okay, jetzt muss wirklich ein Wunder geschehen, dass es noch nach vorne geht.' Für uns war das aber wirklich ganz wichtig, dass wir in dieser kurzen Zeit gelernt haben, ihn loszulassen. Diese zwei Tage waren enorm wichtig für uns, um uns in einem Ansatz überhaupt verabschieden zu können und ihnen im Endeffekt eben auch gehen zu lassen.

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Nun seid ihr Kolleginnen und habt an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet. Wie schnell kam der Film wieder hoch?

Viktoria Kleber: Ich glaube, der war sofort da. Oder?

Sabrina N'Diaye: Ich glaube, da haben wir unterschiedlich gefühlt. Für mich war es eigentlich so, dass der Film vorbei ist. Ich habe mir das überhaupt nicht vorstellen können. Für mich war ganz klar, dass wir diesen ursprünglichen Film nicht zu Ende machen können. Es ging ja um die Frage: In was für einer Welt sollen unsere Kinder groß werden? Das hat sich für mich dann einfach auch nicht richtig angefühlt. Gleichzeitig habe ich aber gespürt, dass das für Viktoria auch wichtig war, diesen Film zu Ende zu machen. Für sie war das relativ schnell klar.

Andere Menschen würden vielleicht denken: 'Nun ist bei Dir die totale Überforderung da - sowieso im Leben. Und dann noch das ständige Erinnertwerden an Casimir durch diesen Film. Ist das so?

Viktoria Kleber: Das glaube ich eigentlich nicht. Unsere Freundschaft war aber tatsächlich eine Baustelle. Es war nicht dieses ständige Erinnertwerden, sondern es war wirklich, mit einer Freundschaft konfrontiert zu sein, wo ich weiß: Da gibt es den kleinen Miguel noch, den kleinen Casimir aber gibt es nicht mehr. Ich glaube, die Schwierigkeit war, diese Freundschaft am Leben zu erhalten und sich durch diese Schwierigkeiten und Herausforderungen durchzuboxen. Es gab immer wieder Momente, wo wir dachten: 'Tut es uns wirklich gut, uns jetzt zu sehen?' Von meiner Seite dieses ständig erinnert zu werden, dass Sabrina ihr Leben so weiterführt, wie ich es eigentlich auch hätte führen sollen.

Sabrina N'Diaye: Das Schlimme war, dass das, was vorher so schön war und uns miteinander verbunden hat - nämlich dass wir zwei Jungs haben, die durch einen Film tragen sollten -, dass wir auf einmal zwei Freundinnen waren, wo das eine Kind gestorben ist und das andere noch lebt. Die Tatsache, dass wir dann gesagt haben, wir machen darüber einen Film, hat mir erstmal Angst gemacht.

Gemeinsame Trauerverarbeitung: Sabrina N'Diaye und Viktoria Kleber | Quelle: rbb

Wie funktionieren Gespräche zwischen euch? Viktoria, du möchtest sicherlich über deinen Sohn reden und die Erinnerungen an Casimir wach halten. Und Sabrina möchte über Miguel und seine Entwicklung reden. Welche Balance findet ihr miteinander?

Viktoria Kleber: Das Gute an Sabrina ist: Sobald sie was auf dem Herz hat, hat sie das auch auf der Zunge und spricht die Dinge an. Ich glaube, das Besondere an unserer Freundschaft ist, dass wir klar über Dinge sprechen können und du ganz oft gefragt hast: "Wie machen wir das?" Natürlich habe ich mich gefragt: Kann so eine Freundschaft überhaupt funktionieren? Nicht nur aus der Perspektive, dass ich mich Situationen aussetze, die für mich im Nachhinein vielleicht schmerzlich sind, sondern auch aus der Perspektive, dass es Sabrinas Kinder sind. Das ist ein großer Teil von ihrem Leben. Kann eine Freundschaft so funktionieren? Das waren Dinge, die mich am Anfang sehr beschäftigt haben, bis wir einfach darüber gesprochen haben.

Sabrina N'Diaye: Es gab aber so viele Momente, wo ich selber auch überrascht war. Sie hat sich gemeldet, als mein Sohn eins wurde. Ich war so gerührt, dass sie an uns denkt. Es war gerichtet an mich, an meinen Sohn, an den Tag. Ich weiß gar nicht, wie schwer ihr das gefallen sein muss. Das sind Momente, über die ich mich natürlich freue. Aber ich hätte es auch nicht schlimm gefunden, hätte ich es nicht gemacht.

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Ihr habt zusammen einen Film gemacht über etwas, das schwerer nicht sein kann: über den Tod von Victorias Sohn Casimir. Was war dir wichtig, Viktoria? Was wolltest du über Casimir erzählen?

Viktoria: Mein erster Gedanke war: 'Es gibt so viele Eltern, denen es ähnlich geht wie mir. Und ich würde gerne eine Bedienungsanleitung machen, wie man mit trauernden Eltern oder insgesamt mit trauernden Menschen umgeht.' Der andere Gedanke war, dass es schön wäre, wenn es ein kleines Denkmal für Casimir gibt.

Es gibt oft die große Angst, man könnte etwas Falsches sagen. Manche Menschen wissen gar nicht, wie sie reagieren sollen, ziehen sich vielleicht zurück. Andere ringen nach Worten. Gibt es Reaktionen, die du dir gewünscht hättest?

Viktoria Kleber: Es gab Reaktionen, die ich mir gewünscht habe. Aber es gab auch Reaktionen, die gekommen sind und die mich total gefreut haben. Am Tag nachdem Casimir gestorben ist, ist eine Freundin unangemeldet mit einem Blumenstrauß vorbeigekommen. Eine andere Freundin kam am Nachmittag mit Blumen und etwas Zuessen, auch unangemeldet. Das war so schön, dass in diesen Momenten Leute da sind, ohne dass man irgendetwas organisieren muss oder ohne dass gefragt wird - dass die Leute dann einfach da sind.

Grab des kleinen Casimir | Quelle: rbb

Du hast dich mit einer Frau getroffen, der Ähnliches widerfahren ist. Was hast du daraus gelernt?

Viktoria Kleber: Ich habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die das gleiche Schicksal teilen. Wir waren in einer Selbsthilfegruppe und saßen mit anderen, verwaisten Eltern zusammen. Wir sind da rausgegangen, und es war total gut zu sehen, dass es andere gibt. Aber irgendwie war es auch eine Horrorshow. An was können Kinder alles sterben?

Über Instagram habe ich dann eine ganz tolle Frau gefunden, Ginka. Und für mich ist der Blick mit Ginka immer so ein kleiner Blick in die Zukunft. Ihr Sohn ist auch mit einem Jahr verstorben, das ist aber schon ein paar Jahre her. Durch Ginka habe ich erfahren, dass Trauer eben eine Lebensaufgabe ist. Sie meinte zu mir: "Es wird einen Schmerz geben. Der Schmerz wird bis zum Ende unseres Lebens dauern. Aber man lernt, mit diesem Schmerz umzugehen."

Sabrina N'Diaye: Ich fand diesen Satz so schön von der Hebamme, die auch Sterbebegleiterin ist: "Die Trauer ist der Ausdruck der Liebe zum Verstorbenen". Casimir wurde so sehr geliebt. Deswegen ist es auch klar, dass die Trauer so groß ist und auch niemals weggehen wird. Er war der Sohn meiner Freundin, und selbst die paar Male, die ich ihn gesehen habe, bin ich schon explodiert, weil: Er war ein Supertyp. Immer am Lachen.

Viktoria Kleber: Er ist ja nur neun Monate alt geworden, und trotzdem war er für uns einfach schon so ein vollständiger Charakter. Es gab so viele Situationen, wo er uns so zum Lachen gebracht hat und wo wir wirklich dachten, was für eine coole Type. Und natürlich hätten wir gerne noch so viel mehr Lebenszeit mit ihm verbracht.

Vielen Dank für eure Offenheit. Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Liane Gruß für rbb24 Inforadio. Es handelt sich um eine redigierte Fassung des Gesprächs.

Sendung: rbb Doku & Reportage, 15.11.2023, 22:15 Uhr

Seit dem 31.07.2024 finden Sie in der ARD-Mediathek dazu auch den Podcast "Deep Doku: Kleiner Casimir – Sein Tod und unsere Freundschaft"

Der Film "Kleiner Casimir - Sein Tod und unsere Freundschaft" läuft am Mittwochabend um 22 Uhr im rbb-Fernsehen. Schon jetzt in der Mediathek streambar.

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