Krieg in Nahost
Von Beginn an führte die Hamas ihren Krieg gegen Israel auch über die sozialen Medien. Unterstützung bekommen sie von Influencern, auch aus Deutschland. Von Daniel Donath, Daniel Laufer und Chris Humbs
Etwa 4.000 Demonstrierende ziehen Richtung Potsdamer Platz. Sie schwenken die palästinensische Flagge, heben selbstgebastelte Schilder, auf denen "Satanjahu" steht, "Widerstand ist kein Terrorismus" oder "Ein Holocaust rechtfertigt keinen weiteren". Ein vermummter junger Mann brüllt ins Mikrofon: "Deutsche Medien lügen, lasst euch nicht betrügen."
Viele Jugendliche sind unter den Demonstranten. "Ein großer Teil informiert sich fast ausschließlich über soziale Medien - vor allem Tiktok," erklärt Burak Yilmaz dem ARD-Magazin Kontraste. Er ist Pädagoge und Antisemitismus-Berater der Bundesregierung. Tiktok werde geflutet mit Opferbildern aus Gaza-City, schildert er die Lage.
Schüler, die Yilmaz bei seinen Seminaren trifft, sagten ihm immer wieder: "Das emotionalisiert, das macht mich wütend, das macht mich traurig und dann like ich das oder ich kommentiere das." Der Algorithmus von Tiktok bewirkt, dass mit diesen Reaktionen immer neue, hoch emotionalisierende Opfervideos aus Gaza auf die Timeline gespült werden.
Dabei wird meist auf Einordnungen verzichtet. So bleibt vor allem hängen: Bewohner von Gaza sind die Opfer, Israel der Täter. Dass die israelische Armee mehrfach die Bevölkerung aufgefordert hat, Gaza-City zu verlassen, weil ein Gegenschlag gegen die Hamas geplant sei, droht dabei völlig unterzugehen. Unterschlagen wird auch, dass die Hamas Familien daran gehindert haben soll, zu flüchten, weil sie um ihre Schutzschilder fürchteten.
Dabei hat die Hamas-Führung selbst die Opfer als Teil ihres Propagandakonzepts bezeichnet: "Wir brauchen dieses Blut, um den Geist der Revolution in uns zu wecken", sagte Ismail Haniye, Chef der Hamas. Leichen stützen das Narrativ der Terrororganisation, die auf die Opferumkehr setzt.
"Die Hamas will diese Bilder, sie produziert diese Bilder, sie verursacht die toten Zivilisten, um eben das Narrativ zu bedienen, das Narrativ zu bebildern: Israel ist völlig unverhältnismäßig, übt hier Rache am palästinensischen Volk", erklärt Hans Jakob Schindler gegenüber Kontraste. Der Senior Director der internationalen Organisation "Counter Extremism Project" sitzt in Berlin und forscht zu Terror-Strategien.
Und die Demo in Berlin zeigt, wie gut die Propaganda der Hamas verfängt. Ganz im Sinne der Terrororganisation publizieren inzwischen auch Influencer, die vor Kurzem noch über Schminkartikel und Modeaccessoires berichteten. Die deutschsprachige Nora Achmaoui aus Dubai hat auf Instagram etwa eine halbe Million Follower und erklärt in ihrem Video: "Hamas ist nicht dafür verantwortlich, was heute passiert. Hamas existiert, weil Palästinenser einen aktiven Widerstand benötigen."
Die Influencerin Sara Nagato zählt große Firmen auf, die eine Verbindung zu Israel haben: "Falls du Palästina unterstützt, solltest du diese Marken boykottieren." Der Berliner Clanchef und Influencer Arafat Abou-Chaker erklärt auf Tiktok: "Ich sage Dir ganz ehrlich. Für mich ist so ein Adolf Hitler besser als Netanjahu."
Die Aufrufzahlen bei Tiktok sind eindeutig: Während Videos mit dem Hashtag "standwithisrael" binnen 30 Tagen 270 Millionen Mal angesehen wurden, wurden Posts mit dem Hashtag "standwithpalestine" eine Milliarde Mal aufgerufen, wie eine Auswertung der "Süddeutschen Zeitung" [Bezahlinhalt] aus dem November ergab.
Die israelische Regierung hat darauf verzichtet, die schlimmsten Bilder vom Terrorangriff der Hamas und der Sympathisanten am 7. Oktober und den Folgetagen zu veröffentlichen. Die Würde der Opfer sollte geschützt werden. Nicht um jeden Preis emotionalisieren - das bringt Israel in Zeiten der sozialen Medien in eine schwierige Position.
Für den Terrorexperten Schindler hat die israelische Regierung den Kampf um die Meinungshoheit in weiten Teilen bereits verloren: "Wenn wir uns den jetzigen Zeitpunkt ansehen, muss man leider feststellen, dass das Hamas-Narrativ einflussreicher ist als die israelische Kommunikationsstrategie. In dieser Auseinandersetzung wird der Propagandist immer gewinnen."
Hinzu kommen Bilder, die um die Welt gingen und die Faktenchecker als Fälschung ausgemacht haben. Pascal Siggelkow prüft Fotos und Videos für die Tagesschau und erkennt ein neues Ausmaß an Desinformation seit dem Gaza-Krieg.
Er zeigt ein Bild mit einem blutverschmierten Jungen, neben ihm seine offenbar tote Mutter: "Die linke Hand, die er hebt, da hat er fünf Finger und ein Daumen, also insgesamt sechs Finger. Das Bild ist sehr gut ausgeleuchtet, was auch sehr unrealistisch ist." Dazu der Text: "Hebt eure Hand, wenn ihr für Palästina seid." Das Bild wurde von einer künstlichen Intelligenz generiert. Noch macht die KI Fehler im Detail. Ein anderes Bild zeigt einen flüchtenden Vater mit acht Zehen. Das Kind, das er trägt, hat drei.
Vor allem sind es aber Bilder und Videos mit falschem Kontext, die in den sozialen Medien herumgeistern. Ein Bild zeigt ein von Huthi-Rebellen erschossenes Kind aus dem Jemen. Dazu steht, dass es sich hierbei um ein palästinensisches Kind handelt, das kürzlich von einem israelischen Soldaten ermordet wurde. "Solche Fakes lassen sich schnell durch Suchmaschinen entlarven", erklärt Siggelkow und zeigt das Ergebnis auf dem Bildschirm. Das Bild ist aus dem Jahr 2020.
Sendung: ARD Kontraste, 30.11.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Daniel Donath, Daniel Laufer und Chris Humbs
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