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Audio: rbb24 Inforadio | 08.11.2023 | Wolf Siebert | Quelle: dpa-Zentralbild

Pilotprojekt in Berlin

Zusammenarbeit bei Mini-Häusern für Obdachlose steht vor dem Aus

Obdachlosen Menschen ein Zuhause geben, ihnen ein geordnetes Leben ermöglichen: Eigentlich wollen der Verein "Little Home" und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dasselbe. Aber über Mini-Häuser für Obdachlose haben sie sich heillos zerstritten. Von Wolf Siebert

Sozialstadtrat Oliver Nöll (Die Linke) führt hinter das Künstlerhaus Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz. Auf einem kleinen Hof stehen große Bäume und darunter drei beigefarbene, kleine Holzhäuser, jeweils auf einer Palette, die auf Rollen montiert ist. Rund 3,5 Quadratmeter sind die mobilen Unterkünfte groß. Sie haben Fenster, ein Bett, eine Camping-Toilette und einen Feuerlöscher. Die Häuser sind abgeschlossen und durch ein stabiles Vorhängeschloss gesichert. Seit Juni stehen die Häuser hier, am Ostbahnhof gibt es drei weitere, schon seit Januar.

Quelle: rbb/Wolf Siebert

"Wir haben einen Safe Place geschaffen, an dem obdachlose Menschen nicht nur vor Regen und Kälte geschützt sind, sondern auch vor körperlichen Angriffen", sagt Oliver Nöll vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Mit dem Angebot sollen Menschen erreicht werden, die es in Massenunterkünften nicht aushalten, die nicht stundenlang auf Alkohol oder andere Drogen verzichten können. Ihnen macht der "Safe Place" ein sogenanntes "niedrigschwelliges Angebot". Dennoch gibt es auch hier Regeln: Alkohol wird toleriert, aber keine illegalen Drogen im öffentlichen Raum, keine Gewalt, kein offenes Feuer und keine Vermüllung.

Video | rbb24 Explainer

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Ihre Tage starten sie entweder beim Weißen Kreuz oder in der Bahnhofsmission – Aufwärmen, Kaffee, Frühstück, Toilette. Danach geht’s los, Leute um Geld bitten, Flaschen sammeln, Türen aufhalten – so bekommen Oliver, René und Toni Tag für Tag ihr Geld zusammen. Sie verbringen ihr Leben auf der Straße.

"Little Homes" als "Zwischenstation in eine eigene Wohnung"

Sozialstadtrat Nöll sagt, dass er neun Monate nach dem Start des Modellprojekts positiv überrascht sei: "Alle Bewohner haben inzwischen eine Meldeadresse, eine Krankenversicherung, und sie beziehen Sozialleistungen. Damit ist unser Mindestanspruch erfüllt."

Kleine Fortschritte im Leben obdachloser Menschen, die nur durch Betreuung möglich wurden, denn Betreuung ist ein wesentlicher Teil des Modellprojekts: Sozialarbeiter des Bezirksamts und von zwei sozialen Trägern kümmern sich um die Bewohner. Sie versuchen zunächst, zu ihnen eine Beziehung aufzubauen. Das klingt einfach, ist aber oft schwierig. Denn viele Obdachlose haben psychische oder Suchtprobleme. Das eigentliche Ziel des Modellprojekts ist ehrgeizig: "Die Little Homes sollen eine Zwischenstation, eine Drehtür sein - von der Obdachlosigkeit in eine eigene Wohnung. Daran arbeiten wir", sagt Oliver Nöll.

An diesem Tag ist am Bethanien keiner der Bewohner in seinem kleinen Haus, um ihn nach seiner aktuellen Situation zu fragen. Und die Nachbarn der nun-nicht-mehr-obdachlosen Menschen? Gab es in den ersten Monaten des Projekts negative Reaktionen? Bislang sei alles friedlich geblieben, sagt Oliver Nöll. Vor kurzem wurde aber eine der Hütten am Ostbahnhof angezündet, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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"Little Home" hat nach eigenen Angaben 300 Mini-Häuser bundesweit gebaut

Zum Erfolg sollte auch der Verein "Little Home" aus Köln beitragen. Im "Safe Place"-Konzept des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg wurde "Little Home e.V." mal als "geeigneter und erfahrener Kooperationspartner" bezeichnet.

Sven Lüdecke ist Vorsitzender des Vereins "Little Home". Der 47-Jährige ist eigentlich gelernter Restaurantfachmann und Barkeeper. Er wollte etwas für obdachlose Menschen tun und entwickelte die Idee der Little Homes, wie er sagt. Dann gründete er den Verein, suchte Sponsoren und Spender. In sieben Jahren hat er nach eigenen Angaben bundesweit mehr als 300 Mini-Häuser bauen und aufstellen lassen, auf öffentlichen aber auch auf privaten Grundstücken.

Ein Schild des Bezirks an den Mini-Häusern appelliert an Respekt vor den Bewohnern. | Quelle: rbb/Wolf Siebert

Streit über Zuständigkeit bei Betreuung der Obdachlosen

Sven Lüdecke zeichnet ein anderes Bild vom Zustand des Modellprojekts und von der Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt: "In den ersten Monaten wurden die Bewohner vom Bezirksamt nur verwaltet, es wurde viel zu wenig für sie getan. Einem Bewohner des Standorts Ostbahnhof wird eine sexuelle Belästigung vorgeworfen. Und es gab Probleme mit der Einhaltung der Regeln vor Ort." Lüdecke kritisiert aber auch direkt den Bezirk. "Der Bezirk spielt ein falsches Spiel mit uns. Wir wollten eine Kooperation auf Augenhöhe, aber das wollte der Bezirk nicht."

Monatelang hätten Verein und Bezirksamt über eine "Kooperationsvereinbarung" verhandelt, bis heute ohne Erfolg. "Der Bezirk will nicht, dass wir ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Bewohner der Häuser haben. Wir sollen auch das Kostenrisiko tragen, wenn etwas kaputt geht und repariert werden muss." Strittig ist auch, ob und wieweit der Verein die Bewohner betreut. "In anderen Kommunen hat Little Home ein Mitspracherecht und stimmt sich immer mit den Sozialarbeitern vor Ort ab", sagt Sven Lüdecke. Ursprünglich wollte das wohl auch der Bezirk. Im "Safe Place"-Konzept heißt es: "Der Verein unterstützt den Bezirk bei der Instandhaltung und der Betreuung des Safe Place."

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Verein "Little Home" darf Modell-Gelände nicht mehr betreten

Aus schriftlichen Unterlagen Lüdeckes, die die Kommunikation des Bezirksamts mit dem Verein beinhalten, geht hervor, dass zunächst alle Beteiligten voller Optimismus waren und sich noch duzten. Nach einigen Monaten wird der Ton jedoch rauher, wechselseitig droht man sich schließlich rechtliche Schritte an. Am 14. September 2023 eskaliert der Streit: Das Bezirksamt verhängt ein "Betretungsverbot" für den "Safe Place" am Ostbahnhof. Sven Lüdecke und Mitarbeiter des Vereins "Little Home" - also die Kooperationspartner beim Modellprojekt - haben nun Hausverbot. Wenig später wird das auch auf den zweiten Standort am Bethanien ausgeweitet.

Verein pocht auf Einhaltung von Regeln

Es geht dabei auch um die Frage, wie man mit Obdachlosen umgeht: harte Linie oder verständnisvoller Beziehungsaufbau plus Überzeugungsarbeit und Einübung von Regeln? Sven Lüdecke sagt: "Obdachlose sind manchmal wie Kinder, denen man klare Grenzen setzen muss, vor allem bei der Einhaltung von Regeln." So sollen zwei Bewohner der Häuser am Ostbahnhof aus den Häusern uriniert haben. Eine Matratze sei durch Fäkalien extrem verschmutzt worden. Später habe es weitere Fälle von "wildem Urinieren" gegeben, sagt Lüdecke. "Ein solches Verhalten haben wir in den Jahren unserer Vereinsarbeit noch nicht erlebt."

Zum Konzept des Vereins "Little Home" gehört, dass die Häuser den Bewohnern geschenkt werden. Sie können die Häuser aber auch wieder verlieren, wenn sie bestimmte Regeln nicht einhalten. Diese Regeln sind im Schenkungsvertrag fixiert.

Mit grünen, gelben und roten Karten, die an die Häuser gehängt werden, weist der Verein Bewohner auf Regelverstöße hin. Rot bedeutet, dass der Bewohner seinen Stellplatz verliert. | Quelle: rbb/Wolf Siebert

Für Lüdecke war das Pinkeln ein klarer Regelverstoß. "Da die Sozialarbeiter darauf nicht angemessen reagiert haben, sind wir selber eingeschritten." Die Tür eines Little Homes wurde zugeschraubt, so dass der Bewohner nicht mehr an seine Sachen kam und ausgesperrt war. Und ihm wurde vom Verein angedroht, sein Haus versetzen zu lassen: "Wir als Little Home sagen den Obdachlosen: Du musst dich verändern, damit du eine Chance hast, die Straße zu verlassen. Du musst dein Schicksal selber anpacken. Wir als Verein bieten nur die Plattform." Mit grünen, gelben und roten Karten, die an die Häuser gehängt werden, weist der Verein Bewohner auf Regelverstöße hin. Die rote Karte kündigt den Entzug des Stellplatzes oder des Little Homes an.

Das alles geschah rechtlich in einem diffusen Schwebezustand. Denn es gab ja noch immer keine Kooperationsvereinbarung, die die Rechte und Pflichten der Projektpartner definiert hätte.

Bezirk sieht "Erfolg des Projekts gefährdet"

Für das Bezirksamt war nun das Maß voll. Man befürchtete, dass der Bewohner, der die rote Karte bekommen hatte, erneut obdachlos werden könnte. Das Verhalten des Vereins sei "unverhältnismäßig und inhuman", heißt es deshalb im August in einem Schreiben der "Sozialen Wohnhilfe" des Bezirksamts. Es sei nicht im Einklang mit "sozialpädagogischen und rechtlichen Grundsätzen". Dadurch werde der "Erfolg des Projekts gefährdet." In dem Schreiben wird die Position des Bezirksamts noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht: Die Belegung der kleinen Häuser im Rahmen des Modellprojekts und die Beurteilung von Fehlverhalten der Bewohner seien aus fachlichen Gründen Aufgabe des Bezirksamts.

Zwei Perspektiven auf ein und dasselbe Modellprojekt "Safe Place". Auf erneute Nachfrage beim Bezirksamt schreibt Sozialstadtrat Oliver Nöll: "Ich spreche Herrn Lüdecke in aller Form die fachliche Eignung ab, obdachlose Menschen zu betreuen." Sein Verhalten sei "völlig empathielos und willkürlich."

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Bezirk will Mini-Häuser mit neuem Partner betreiben

Den Vorwurf, die Probleme der Bewohner lange nur verwaltet zu haben, weist Nöll zurück. Bei der Arbeit mit Obdachlosen gebe es selten schnelle Erfolge. Nöll schreibt von "Stabilisierungen" der Situation der Bewohner. Wichtig sei eine kontinuierliche Sozialarbeit.

Derzeit sind am Standort Bethanien und am Ostbahnhof nicht alle Häuser bewohnt, teilt das Bezirksamt auf Nachfrage mit. Und die Kooperation mit dem Verein "Little Home" stehe kurz vor dem Ende. Das Amt sei inzwischen mit einem neuen Kooperationspartner im Gespräch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.11.2023, 6 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

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