Trabi-Jubiläum
Vor 50 Jahren lief der millionste Trabant vom Band. Unser Autor Max Ulrich ist 1987 geboren und hat sich mit Mitte 20 einen Trabi gekauft. Was fasziniert ihn noch heute an diesem Auto, das langsam, eng und oft kaputt ist? Eine emotionale Annäherung.
Ich versuche, meine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen. "Nicht erschrecken, ich kann gerade nicht vom Gas gehen. Aber kein Problem. Schneller als 120 werden wir eh nicht." Die kleine Sprungfeder, die beim Trabant das Gaspedal zurückzieht, ist gerissen. Ein typischer Defekt. Der Wagen gibt jetzt Vollgas und ich kann nichts dagegen tun. Nur die Kupplung treten und mit schreiendem Zweitaktmotor zum Stehen kommen.
Eben fand meine Kollegin die Fahrt zur Frühschicht über die A100 noch amüsant. Jetzt ist sie wahrscheinlich erleichtert, aus dem Trabi lebend raus zu sein. "Erichs Rache" sage ich und zucke mit den Schultern. Ich weiß in diesem Moment wirklich nicht, warum ich mir das antue. Wie so oft. Warum habe ich dieses Pannenauto, das technisch gesehen eher ein überdachtes Motorrad ist und in einer Diktatur gebaut wurde?
Das Land, in dem ich 1987 geboren wurde, gibt es nicht mehr. Ich kenne die DDR aus Erzählungen meiner Eltern und aus Fernsehdokumentationen, in denen es entweder um Stasi, Schießbefehl und Stacheldraht geht oder um FKK-Baden, Kati Witts Goldmedaillen und lachende Ossis in durchgerüttelten Trabis auf dem Weg nach Westberlin am 9. November 1989.
Das war mir schon immer zu wenig. Im Trabant zu sitzen, hat mir das Land nähergebracht. Genau wie die DDR ist der Trabi eng, langsam und die Türen gehen schwer auf. Er hat keine Tankanzeige, keinen Drehzahlmesser, keinen Komfort. Aber zwei Aschenbecher. In der DDR wurde offenbar viel geraucht und es ging wenig voran. Der Trabi ist Sinnbild für das totale Versagen der Planwirtschaft und den Mangel an Luxus. Über 25 Jahre wurde das Auto fast unverändert in Zwickau gebaut. Wie bescheuert! Es klingt komisch, aber ausgerechnet der Trabi bewahrt mich vor Ostalgie. In einem Land, das so eng und rückschrittlich ist wie dieses Auto, möchte ich nicht leben.
Und doch denken heute viele nicht nur an Enge und das Eingesperrtsein, sondern verbinden die DDR auch mit Behaglichkeit und Sorglosigkeit. Auch das höre ich bei Gesprächen in meinem Trabi.
"Oh! Der Geruch!" - Wenn Menschen das ehrfurchtsvoll beim Einsteigen sagen, weiß ich sofort, dass sie aus dem Osten sind. Der Trabant riecht nach Kunstleder, DDR-Weichmachern und natürlich nach Zweitaktöl.
Und auch ich verspüre Melancholie, wenn ich den "Ostgeruch" in der Nase habe. Warum eigentlich? Ich habe das Land nicht erlebt. Nicht gerochen. Aber ich merke, dass ich anders bin. Manchmal fühle ich mich ausgebremst wie ein Trabant zwischen lauter Porsches. Seit ich arbeite, habe ich fast immer westdeutsche Vorgesetzte und ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen. Auch heute beim rbb ist das so. Meine gleichaltrigen, westdeutschen Bekannten erben jetzt so langsam die ersten Häuser und Wohnungen. Ich habe vor zwei Wochen die alte (DDR-)Smalcalda-Bohrmaschine meines Großvaters geerbt.
Das ist okay. Die laute Smalcalda wird meine westdeutschen Nachbarn in ihren Eigentumswohngen nerven, genau wie die schwäbischen Mütter aus dem Prenzlauer Berg sich erschrocken die Münder und Nasen zuhalten, wenn ich im Trabi an ihnen vorbeiknattere.
Denn ich will gar kein Eigenheim. Aber ich wünsche mir mehr Wissen und Interesse vom Westen. Als der Trabi mal wieder liegengeblieben war, schleppten mich zwei freundliche Polizisten von der A115 per Abschleppseil ab. Der eine sagte zu seinem Kollegen: "Du bist aus dem Osten. Du musst dich in den Trabi setzen, ich weiß ja nicht, wie das geht." Der Ostpolizist wusste tatsächlich sofort, wie man beim Trabi die Lenkradsperre ausschaltet und den Leerlauf einlegt. Ich fragte ihn, ob die Rollenverteilung denn auch immer andersherum sei, wenn sie einen alten Golf oder Benz abschleppen würden. "Natürlich nicht." Wir beide lachten. Klar können wir Ossis auch Westautos fahren.
Und ich liebe den Westen! Ich fahre zum Karneval nach Köln, in den Biergarten nach München und in die Hamburger Schanze. Ich singe "Bochum" von Herbert Grönemeyer so energisch mit, als wäre meine Heimat "tief im Westen". Aber genauso textsicher bin ich bei "Hier bin ich geboren" des Lausitzer Musikers Gundermann. Und ich kenne einfach keinen Westdeutschen, der Gundis tolle Texte drauf hat.
Auch Westdeutsche erkennt man meist beim Einsteigen in den Trabi. Sie stellen dann oft die vermeintlich interessierte Frage: "Und bekommt man dafür heute noch Benzin?" - "Ja", sage ich dann kurz und denke: "Natürlich! Glaubst du ich fahre seit 30 Jahren mit der gleichen Tankfüllung rum?"
Wahrscheinlich ist mein Trabant auch Trotz: Seht her, ich bin Ossi und stolz drauf!
Dabei schäme ich mich so oft. Für Pegida, für Corona-Leugner, für rassistische Fangesänge in der Regionalliga Nordost, für die Schule in Burg, der zwei aufrechte Lehrer den Rücken gekehrt haben. Ich bin nicht stolz auf den Osten. Nicht die DDR, und nicht den Osten heute. Ich kann erklären, wie man einen Trabi tankt. Aber ich habe Angst davor, meinen westdeutschen Freunden im nächsten Jahr die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erklären zu müssen.
Vielleicht liebe ich meinen Trabi auch, weil er das Stückchen Heimat ist, das ausschließlich positive Reaktionen hervorruft. Er ist Symbol der Wiedervereinigung, wird am Flughafen BER als Miniaturauto an Menschen aus aller Welt verkauft. Meine Motorhaube ist völlig zerkratzt, weil sich ständig Touris draufsetzen und Selfies machen. Die Faszination zeigt sich auch am Anlass dieses Textes: Vor 50 Jahren rollte in Zwickau der millionste Trabi vom Band. Wer würde einen Text über den Opel Corsa oder VW Polo beim gleichen Anlass veröffentlichen? Aber der Trabi zieht eben.
Seit einigen Monaten ist mein Trabi in Rente. Er steht in der Prignitz bei meinem Freund Hanno. Ich habe ein Deutschlandticket und brauche kein Auto mehr. Als Kind saß ich auf Hannos Schoß und lernte Trabi fahren, jetzt verbringen mein Trabi und Hanno gemeinsam ihren Ruhestand. Vor ein paar Wochen war ich mit zwei meiner besten Freundinnen aus Westberlin bei Hanno. Ich erklärte ihnen die Trabant-Krückstockschaltung und wir bretterten über Wald- und Feldwege. Es gab ihr neues Lieblingsgericht: panierte Jagdwurst mit Nudeln und Tomatensauce, bei uns Jägerschnitzel genannt. Am Ende waren wir alle nackt in der Sauna. Für mich ist die Deutsche Einheit damit im Freundeskreis vollzogen. Wie schön, dass mein Trabi auf seine alten Tage ein weiteres Mal dabei sein durfte.
Beitrag von Max Ulrich
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